Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 273 Domkreuzgang 1562, 1566

Beschreibung

Epitaph des bischöflichen Kanzlers Markus Tatius Alpinus und seiner Frau Euphrosina. Im Ostflügel im sechsten Joch an der Westwand. Ursprünglich in der Kollegiatstiftskirche St. Johannes Baptist, im Zuge der Säkularisation ausgebaut und im Dombereich verwahrt, seit 1901 am heutigen Standort1). Heller Kalkstein. Als Rahmung des Bildfeldes eine Ädikula, die seitlichen Pilaster mit einem kreisrunden Spiegel in der Mitte und darauf zulaufenden Dreiecken, jeweils in Flachrelief, verziert. Das linke Schräggesims des Giebels mit Beschriftung (I); im Giebelfeld in einem seitlich gerundeten Medaillon das Vollwappen des Verstorbenen. Im Bildfeld Darstellung der Auferstehung Christi: Die abgeschrägte Kante des beiseite gerückten Sarkophagdeckels und der obere Rand des Sarkophags mit Inschrift (II); auf dem Deckel der auferstandene Christus, die Linke segnend erhoben, in der Rechten die Siegesfahne, hinter ihm eine Wolkenglorie. Unterhalb und rechts des Sarkophags zwei im Schlaf versunkene Soldaten, drei weitere Soldaten – zwei links des Sarkophags, einer rechts davon – erscheinen durch das Geschehen aufgeschreckt. Darunter Darstellung der Familie des Verstorbenen: Auf der linken Seite knien Tatius und seine sieben Söhne, neben ihm größer dargestellt sein Sohn Marcus Marcellus, der Stifter des Epitaphs; auf der rechten Seite die Ehefrau mit sieben Töchtern kniend2). Unten im Schriftfeld links die neunzeilige deutsche Grabinschrift (III), rechts daneben die neunzeilige lateinische Grabinschrift (IV). Die linke Seite des Epitaphs mit Schadstellen und teilweisem Textverlust, ebenso die Giebelspitze mit größerer Fehlstelle3).

Maße: H. 132 cm, B. 85,5 cm, Bu. 2,5 cm (I), 1-1,5 cm (II, IV), 1,8 cm (III).

Schriftart(en): Kapitalis (I-II, IV), Gotische Minuskel mit Versalien, mit Elementen der Fraktur.

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/1]

  1. I.

    CAENOTH[APHIVM – – –

  2. II.

    EGO / SVM RESVRRECT(IO) ET VITA, Q(VI) CRED(IT) IN / ME //[ETI]A(M) SI MORTV(VS) FVERIT VIVE[T / I]OHAN(ES) 11

  3. III.

    A(nn)oa) 1562 den 12 Junj starb der Edel Vnd hochgelert / Herr Marcus Tatci(us) der Rechten Docter fürstlicher / Rath Vnd Cantzler alhie, Etwa khay(serlichen) Camergerichts / zu Speyr ASSESSOR gewesen · hieneben Ruet alhie die Tug=/[enthaft] fraw Eufrosina sein Eöliche hausf(raw) so 2 Jar vor Jme / vershiden den · G(ot) · G(enad) · zue welicher gedechtn(us) des herrn D(octer) / TATI(VS) Eölicher son herr Marc(us) Marcell(us) TA(T)I(VS) Etwan Thumbher / zu Chur Pfarherr zue kindting Eystett(er) Bist(um) dise figur hieher sa(m)btb) / [..]i[…]schri[f]t setzen lasen . A(nn)oa) 15.66c).

  4. IV.

    HIC TACIT(VS)d) FESSOSe), MVLTIS SVDORIB(VS) ART(VS) ·DESTITVI / MORIENS, ANIMA(M)Q(VE) AD SIDERA VEXI ·PARCEREf) CVI / FAS EST, POST FATA PIEQ(VE) FAVENDV(M) ·SED VITAE FAMAMg) / QVAM PVBLICVS IPSE P(RO)FESSOR ·CESARIVSQ(VE) TVLI VATESf) / IVRISQ(VE) PERITVS · ET SALZBVRGIACA P(RO)MOT(VS) IN ARCE / SENATOR · HINC ASSESSORISh) P(ER)FVNCT(VS) MVNERE SPIR(AE) / IN FRISINGENSI Q(V)OQ(VE)i) CANCELLARI(VS) AVLA · IVS DIXI / MORIENS, D(OMI)NI POST FATA LEONIS · HIC TRADVCENDAMk) / TIBI Q(V)OLIBETi) ORE · RELIQ(VI)c)

Übersetzung:

Kenotaph ... (I) Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt. (II) Hier habe ich verstummend meine von vielen Anstrengungen ermüdeten Glieder zurückgelassen und sterbend meine Seele in den Himmel erhoben, der man gerechterweise Nachsicht und fromme Gunst zuteil werden lassen sollte. Hingegen habe ich den Ruhm des Lebens, das ich geführt habe als bestallter Professor, kaiserlicher Dichter und Jurist und als auf der Salzburger Burg zum Senator Beförderter, nachdem ich daraufhin das Amt eines Assessors in Speyer versehen und auch als Kanzler am Freisinger Hof Recht gesprochen hatte, nach dem Tod meines Herrn Leo selber sterbend hier hinterlassen, den du nun mit welchen Worten auch immer verbreiten magst. (IV)

Bibel- und Schriftstellerzitat(e):

  • Io 11,25. (II)

Versmaß: Hexameter. (IV)

Datum: 1562 Juni 12.

Wappen:
Tatius4).

Kommentar

Zur Schriftgestaltung der Gotischen Minuskel s. Einleitung CVIII.

Markus Streicher, der den latinisierten Familiennamen Tatius sowie den häufigen Beinamen Alpinus führte, wurde 1509 in Zernez5) geboren. Ab Ende der 1520er Jahre Schüler bei St. Peter in München, war er ab 1532 als Erzieher im Hause Raimund Fuggers, ab 1535 im Hause Hieronymus Fuggers in Augsburg tätig. 1537 heiratete er Euphrosina, zu deren Herkunft jedoch nichts weiter bekannt ist, laut Inschrift verstarb sie 1560. 1539/40 wurde er Professor für Poesie in Ingolstadt und verfaßte bis 1544 zahlreiche neulateinische Dichtungen6). 1545 wurde er in Ingolstadt zum Doktor beider Rechte promoviert7). Neben seiner juristischen Tätigkeit übersetzte er einige klassische und humanistische Werke ins Deutsche. 1548 wurde er Assessor extraordinarius omnino, seit 1549 ordentlicher Assessor am Reichskammergericht und vertrat dort von 1551 bis 1556 das Herzogtum Bayern8). Ab 1556 bekleidete er das Amt des Kanzlers in Freising9). Der letzte Satz seiner lateinischen Grabinschrift weist auf den Regierungswechsel von Bischof Leo Lösch von Hilgertshausen (1552–1559, Nr. 250) zu Bischof Moritz von Sandizell (1559–1566, Nr. 274) hin. Das Epitaph entstand erst vier Jahre nach seinem Tod, 1566, und wurde von seinem Sohn Marcellus, einem Domherrn zu Chur und Pfarrer in Kinding, in Auftrag gegeben, wie sich der deutschen Grabinschrift entnehmen läßt10). Nur die Söhne Marcellus und Ernst überlebten den Vater. Eine seiner Töchter starb bereits 1558 und liegt in Freising in der ehem. Kollegiatstiftskirche St. Johannes Baptist begraben (Nr. 249†).

Unter der Platte befindet sich eine gemalte Tafel mit Inschrift, die voraussichtlich 2011 in Entsprechung zu den übrigen Tafeln von 1716 neu hergestellt wird: MARTINVS TATIVS ALPINVS D(OCTO)R CANCELL(ARIVS) / FRISING(ENSIS) ET POETA O(BIIT) A(NN)O 1562. 19 IVNIJ.

Textkritischer Apparat

  1. o hochgestellt.
  2. sa(m)bt nachträglich verkleinert eingefügt.
  3. Nachfolgendes Schlußzeichen in Form einer Quadrangel, an deren Spitzen kleine Häkchen ansetzen.
  4. CI-Enklave.
  5. Erstes S hochgestellt, wohl nachträglich ergänzt.
  6. Großes Minuskel-e, ähnlich einem O mit eingestellem Schwellzug.
  7. Erstes A hochgestellt, wohl nachträglich ergänzt.
  8. Schluß-S aus einem us-Häkchen korrigiert.
  9. Kürzung durch hochgestelltes o.
  10. DAM hochgestellt.

Anmerkungen

  1. Hailer, Marcus Tatius Alpinus 61; Schlecht, Inschriften IV 94f.
  2. Schöner, Tatius 428, gibt an, daß aus der Ehe mit Euphrosina sechs Söhne und acht Töchter hervorgingen.
  3. Die linke Seite der Schrifttafel des Epitaphs war bereits um 1734 beschädigt, s. die unvollständige Abschrift bei BSB Oefeleana 10 IV p. 233f.
  4. Schwan; Helmzier verloren, vgl. Beschreibung.
  5. Zu seiner Vita s. ausführlich Hailer, Marcus Tatius Alpinus; Zernez, Kt. Engadin, Schweiz.
  6. Dazu ausführlich Hailer, Marcus Tatius Alpinus 70-78; vgl. Wolff, Juristenfakultät 375; Benker, Dombibliothek 419 VI.21; Biographisches Lexikon LMU 428f.
  7. Resch/Buzas, Doktoren 81, 29. Januar 1545.
  8. Wolff, Juristenfakultät 311, 375.
  9. Geiß, Beamte 58, führt ihn erst seit 1559 als Kanzler. Da jedoch Wolfgang Hunger (Nr. 242), sein Vorgänger im Amt, 1555 starb, ist davon auszugehen, daß Tatius bald darauf die Nachfolge antrat. Auch wird Tatius bereits im Juni 1557 als Freisinger Kanzler genannt, s. BayHStA Oefeleana Nr. 23 prod. Cancellarij Frisingenses, Marcus Tatius Alpinus Cancellarius Frisingensis.
  10. Chur, Kt. Chur, Schweiz; Kinding, Lkr. Eichstätt.

Nachweise

  1. BSB Oefeleana 10 IV p. 233f.; Schlecht, Inschriften IV 94-96 Nr. 7; Alckens, Freising 57.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 273 (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0027309.