Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 239(†) Benediktusk. 1554

Beschreibung

Wappenplatte und Platte mit Grabinschrift als zweiteiliges Epitaph für den Generalvikar Georg Stenglin. Die Wappenplatte im nördlichen Seitenschiff im ersten Joch von Westen (Barbarakapelle) an der Nordwand. Ursprünglich beide Platten im Dom, nach Ziegler im Chor an der Wand nahe dem Bildnis Christi, also beim Sakramentshaus unweit der Grablegungsgruppe1). Zwischen beiden Platten vermutlich ein heute verlorenes Bildrelief. Wohl im Zuge der ersten barocken Umgestaltung des Domes 1621–1624 entfernt2), später – wohl nach Mitte des 18. Jahrhunderts – Sekundärverwendung der Wappenplatte als Verschlußplatte der 1690 durch Bischof Eckher in der Barbarakapelle angelegten Familiengruft3), dabei mit der Textseite nach unten in die Bodenöffnung eingesetzt. Nach der Untersuchung der Gruft im Jahre 1910 die Wappenplatte wieder in den Boden eingesetzt4) und vermutlich erst im Zuge der Verlegung eines neuen Pflasters (evtl. 1957) an der Wand angebracht5). Die Platte mit der Grabinschrift (III) verloren. Adneter Kalkstein. Etwas unterhalb der Mitte einem Rechteck eingeschrieben ein kreisrundes Wappenmedaillon mit seitlichen Spangen, die Zwickel des Rechtecks mit Pflanzenornamenten im Flachrelief; darüber im annähernd quadratischen Feld ein mehrzeiliger Bibeltext (I), ebenso im querrechtigen Feld darunter (II). Beide Inschriften erhaben gearbeitet. Die erhaltene Wappenplatte am oberen, linken und unteren Rand auf die Größe der Gruftöffnung abgearbeitet und dabei beschädigt, Bruch in der Mitte von links unten nach rechts oben.

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/1]

Maße: H. 179 cm, B. 90 cm, Bu. 5,6 cm (I, II).

Schriftart(en): Kapitalis.

I.

  1. [S]CIO QVOD REDEMPTORa) / MEVS VIVITb) · ET IN NO/VISSIMO DIE DE TERRA / SVRRECTVRVS SVM: ET / RVRSVM CIRCVMDABOR / PELLE MEA ET IN CARNE / MEA VIDEBO DEVM SAL=/VATOREMc) MEVM · IOB · XIX

Übersetzung:

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und am Jüngsten Tag werde ich mich über die Erde erheben und ich werde umgeben werden von meiner Haut und in meinem Fleisch werde ich Gott, meinen Erlöser, schauen.

II.

  1. MEMORa) ESTO IVDITIId) MEI / SIC ENIM ERIT ET TVVM : / MIHI HERI ET TIBI HODIE / EC(C)LESI(ASTICVS)e) : : XXXVIIIf) ·

Übersetzung:

Denk daran, daß mein Jüngstes Gericht auch deines ist: Gestern ich und heute du. Ecclesiastes 38.

III. Text nach Ziegler, Oratio funebris.

  1. D(EO) M(AXIMO) S(ACRVM) / GEORGIVS STENGLIN AVGVSTANVS S(ACRO) S(ANCTAE) THEOLOGIAE DOCTOR, QVI CONSVMPTIS ATLANTIS LABORIBVS IN ERVDIENDIS IVVENIBVS, AD MVNVS ECCLESIASTICVM HVC VOCATVS, CANONICVS HVIVS CATHEDRALIS ECCLESIAE ASSVMPTVS EST : CVM MVNERI PRAEDICANDI, ATQVE SIMVL AD S. GEORGIVM PAROCHIAE PER PLVRES ANNOS PRAEFVISSET, AB ILLVSTRISS(IMO) BOIORVM PRINCIPE VVILHELMO MONACHIVM EVOCATVS, AD D. VIRGINEM IBIDEM DECANVS CONSTITVTVS, VBI CVM PER INTEGROS DVODECIM ANNOS DECANATVI ATQVE OFFICIO PRAEDICATORIS CVM FRVCTV AVDITORIVM PRAEFVISSET, SENIO CONFECTVS, ET VARIIS AEGRITVDINVM GENERIBVS ONVSTVS QVIETIS LOCVM QVAERITANS HVC REDIIT. VERVM VIX QVATVOR QVIETIS SVAE MENSIBVS TRANSACTIS, NATVRAE DEBITA CANONICVS FRISINGENSIS ATQVE DVARVM ECCLESIARVM COLLEGIATARVM AD S. VITVM FRISINGAE ET IN HEYBACH PRAEPOSITVS CHRISTIANAEg) PERSOLVIT. VIX(IT) AN(NOS) LVII. M(ENSES) VII. D(IES) VII. O(BIIT) ANNO DOMINI M. D. LIIII. DIE NOVEMBRIS X. CVI FRATRES GERMANI MICHAEL ET CHRISTOPHERVS SVPERSTITES ET MOESTISSIMI, FRATRI OPTIME’ DE SE MERITO H. L. L. Mh). ATQVE INSVPER HOC SOLATII ET PIETATIS ERGO’ P(IE) P(OSVERVNT)

Übersetzung:

Dem höchsten Gott geweiht. Georg Stenglin aus Augsburg, Doktor der allerheiligsten Theologie, welcher, nachdem er die Lasten des Atlas im Unterrichten der Jugend ertragen hatte, zum kirchlichen Amt hierher nach Freising berufen und als Kanoniker dieser Domkirche mit der Pflicht des Predigers angenommen wurde, zugleich der Pfarrei bei St. Georg viele Jahre hindurch vorgestanden hatte, wurde er vom durchlauchtigsten Fürsten der Bayern Wilhelm nach München berufen und zum Dekan bei Unserer Lieben Frau ernannt, wo er volle 12 Jahre dem Dekanatsamt und dem Predigeramt zum Nutzen der Zuhörer vorstand. Altersschwach und durch vielerlei Arten von Krankheit beschwert, kehrte er, einen Ort der Ruhe suchend, hierher zurück. Kaum hatte er aber vier Monate seines Ruhestandes verlebt, bezahlte der Kanoniker von Freising und Propst der beiden Kollegiatskirchen von St. Veit in Freising und Heybach das der Natur Geschuldete christlich. Er lebte 57 Jahre 7 Monate 7 Tage und starb am 10. November 1554. Seine beiden ihn überlebenden und sehr betrauernden Brüder Michael und Christoph haben ihm, der sich um sie bestens verdient gemacht hatte, zum Trost und aus Frömmigkeit fromm dieses Monument gesetzt6).

    Bibel- und Schriftstellerzitat(e):

    Nach Iob 19,25s. (I)
    Sir 38,23. (II)
 
Wappen:
Stenglin7).

Kommentar

Zu den Schriftformen s. Einleitung CXIII.

Georg Stenglin kam 1497 in Augsburg als Sohn des Patriziers Georg Stenglin und seiner Frau Anna, geb. Roch, zur Welt8). Ein Stipendium der Stadt Augsburg ermöglichte ihm den Besuch der Universität Ingolstadt, wo er Dialektik, Rhetorik und die übrigen Artes liberales studierte9). 1518 wurde er Baccalaureus, bald darauf Magister artium et philosophiae. In weiteren Studien widmete er sich der hebräischen und der griechischen Sprache sowie der Rechtswissenschaft, bevor er schließlich das Studium der Theologie aufnahm. Wegen der in Ingolstadt herrschenden Pestgefahr kehrte er 1521 nach Augsburg zurück und empfing dort die Priesterweise. Ab 1523 hielt er sich wieder in Ingolstadt auf und nahm in den folgenden Jahren an mehreren Disputationen unter Johannes Eck teil10). 1533 erlangte er das Baccalaureat und die Doktorwürde der Theologie11). Bereits 1527 hatte er eine Predigtstelle in Aichach erhalten12). Wenig später war ihm vom Freisinger Bischof Philipp das Amt des Weihbischofs angetragen worden, das er jedoch ablehnte. Dagegen konnte ihn der Bischof für die Jahre 1529 bis 1538 als Prediger in der Freisinger Domkirche gewinnen13). 1530 ist Stenglins Teilnahme am Reichstag in Augsburg belegt, bei dem er als Verteidiger der römisch-katholischen Lehre auftrat. 1534 wurde er Domherr in Freising14), daneben wirkte er von 1535 bis 1538 als Pfarrer an St. Georg15). Ab 1539 war er Domkapitular16), ab 1542 Dekan der Kollegiatstifts- und Stadtpfarrkirche Unserer Lieben Frau in München17) und ab 1552 Propst des Kollegiatstifts St. Veit18), außerdem laut Inschrift auch Propst des Kollegiatstifts Habach19). Georg Stenglin starb am 10. November 1554. Sein Schüler Hieronymus Ziegler verfaßte eine Leichenpredigt, die 1555 im Druck erschien20).

Textkritischer Apparat

  1. Vergrößerter Versal.
  2. Nachfolgender Punkt auf gleiche Höhe wie Deckbalken des T gestellt.
  3. Trennzeichen in Form eines schräggestellten Doppelstriches.
  4. Vergrößerter Versal, sic!
  5. I verkleinert, darüber Kürzungsstrich. Nach dem Doppelpunkt frei gelassener Raum.
  6. Worttrennzeichen quadrangelförmig. Die letzte Zeile zentriert gesetzt.
  7. Sic, für CHRISTIANE.
  8. Auflösung von H. L. L. M. unsicher, evtl. H(AEREDES) L(IBENTER) L(AETE) M(ONVMENTVM).

Anmerkungen

  1. Ziegler, Oratio Funebris Lage C2, zu Textabschnitt III: In Pariete Proxime’ Sepvlchrvm Ad Imaginem Christi scriptum leguntur ... Der allgemeine Standort nach Ziegler, Oratio Funebris Lage B5: Sepultus in Cathedrali Ecclesiae Frisingensi inter fratres suos Canonicos .... Zum ehemaligen Standort des Heiligen Grabes vgl. Abele, Dom (1919) 32; Otto, Heiliges Grab 408f.
  2. Das Grabmal war zu Zeiten Bischof Eckhers schon nicht mehr vorhanden, es wird in keinem seiner Werke erwähnt.
  3. Noch zu Zeiten von Heckenstaller lag über dem Gruftzugang eine auf der Laufseite beschriftete Platte (s. Anh. Nr. C16), die vier Halteringe aus Messing aufwies. Wann diese Platte durch die Wappenplatte für Georg Stenglin ersetzt wurde, ist ungewiß, ebenso, wo die Stenglin-Platte über fast 200 Jahre gelagert war, ohne daß sie Bischof Eckher oder ein anderer Freisinger Historiograph zu Gesicht bekommen hat. Da Schlecht auf der Rückseite dieser Platte weder die Halteringe noch die von Oefele überlieferte Beschriftung feststellen konnte, schloß er eine Identität beider Platten aus, s. Schlecht, Inschriften IV 113.
  4. Schlecht, Inschriften IV 114f.
  5. Die Bauakten des Staatlichen Hochbauamtes Freising geben über diese Maßnahme keine Nachricht. Vermutlich geschah die Neuverlegung des Bodens im nördlichen Seitenschiff in zeitlicher Nähe zur Renovierung der Domkrypta ab 1957.
  6. Die Übersetzung folgt leicht verändert Prechtl, St. Georg 34f.
  7. Bg4 39 (Tafel 47), abweichend hier zusätzlich Büffelhörner und Krone.
  8. Die biographischen Angaben folgen der Leichenpredigt von Ziegler, Oratio Funebris, und deren Zusammenfassung in AEM H 61 p. 163f. Eckher nimmt als Todesjahr 1566 an, wohl aufgrund des erst wieder 1566 durch Balthasar Eysenreich besetzten Kanonikats, s. BSB Cgm 1716 Catalogus Canonicorum fol. 55v.
  9. Mederer, Annales I 90; Matrikel LMU I Sp. 367 Z. 30, 5. April 1514.
  10. Mederer, Annales I 124.
  11. Das Datum der Promotion bestätigt durch Resch/Buzas, Doktoren 15; Vgl. Mederer, Annales I 149.
  12. Aichach, Lkr. Aichach-Friedberg, Schw.
  13. Vgl. Staber, Domprediger 127.
  14. BSB Cgm 1716 Catalogus Canonicorum fol. 55v.
  15. Nach Prechtl, St. Georg 34f., war Stenglin von 1535 bis 1542 Pfarrer an St. Georg.
  16. BSB Cgm 1716 Catalogus Canonicorum fol. 55v.
  17. Pfister, Kollegiatstift ULF Kap. Personal 426.
  18. AEM FS 118 p. 105.
  19. Habach, Lkr. Weilheim-Schongau.
  20. Ziegler, Oratio Funebris.

Nachweise

  1. Ziegler, Oratio Funebris Lage C2; AEM H 479 p. 169f.; AEM H 61 p. 164f.; HVF U XI 57 Nr. 2; Schlecht, Inschriften IV 114f. Nr. 41.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 239(†) (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0023901.