Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 184 Domkreuzgang 1521

Beschreibung

Figurale Grabplatte des Stiftskanonikers Petrus Kalbsor. Im Ostflügel im ersten Joch an der Ostwand. Ursprünglich beim Sebastiansaltar nahe der Grabstätte1), seit 1716 am heutigen Standort. Adneter Kalkstein. Darstellung einer Ädikulaarchitektur, darin der Verstorbene im Chorgewand mit Almucia, auf dem Kopf ein Birett, in seiner Linken ein Kelch, die Rechte segnend darüber erhoben. Vor ihm eine balkonartige, von Pilastern gerahmte Brüstung mit Balustersäulen, Gebälkstücken und einem rückspringenden Segmentbogengiebel; im Giebelfeld vor Muschellamellen der Wappenschild des Verstorbenen, über den seitlichen Gebälkstücken links eine geflügelte Kugel mit Initialen (I), rechts ebenfalls eine Kugel, über dieser ein Täfelchen mit Datierung (II), aufgehängt an einer quadrangelförmigen Öse, im Hintergrund eine weitere Arkadenarchitektur. Die Brüstung belegt mit einer großen Schriftrolle, darauf die erhaben gearbeitete Grabinschrift2) mit zeilenweisen Trennleisten (III).

Die untere Schmalseite der Platte besonders zum rechten Rand hin sehr schlecht erhalten. Dort ursprünglich am Fuß des Pilasters die Meistermarke des Steinmetzen im Schild3).

Maße: H. 194 cm, B. 84 cm, Bu. 6 cm (I), 3 cm (II, III).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/1]

  1. I.

    A(ndreas) P(üell)

  2. II.

    1521

  3. III.

    Anno · D(omi)ni · M · D · XX · / Die · XXVIII · Septe(m)bris / Morit(vr) · Ven(erabi)lis · Et · Egre/· givs D(ominvs) · Petrvs · Kalbsor / · D(ecretorum)a) · lic(entia)tvs · Can(oni)cvs · Fri/singen(sis) · Sp(irit)us · Etherea c(vivs) / Nv(n)c · pace · Qviescatb)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1520 am 28. Tag des September starb der ehrwürdige und ausgezeichnete Herr Petrus Kalbsor, Lizentiat des Kirchenrechts, Freisinger Kanoniker. Sein Geist ruhe nun im himmlischen Frieden. (III)

Wappen:
Kalbsor4).

Kommentar

Der Stein wird aufgrund des Steinmetzzeichens, das sich ursprünglich in der rechten unteren Ecke der Platte auf der Basis des Pilasters befand, dem Landshuter Bildhauer Stephan Rottaler zugeschrieben5). Die Schrift zeigt einige charakteristische Merkmale dessen älterer Arbeiten (vgl. Kaspar Marolt, 1513, Nr. 165), der Duktus hat sich jedoch insgesamt verändert. Das Spatium zwischen den Buchstaben ist nun so eng, daß sich diese an den Schäften berühren; damit verbunden ist ein teils unausgewogenes Schriftbild (z.B. bei Septembris). Zackenleisten verstärken die Schäfte und gebrochenen Bögen der Versalien. Auch werden einzelne Buchstaben anders aufgebaut: Der linke Teil des oberen Bogens des a endet in einem flachen Bogen, nicht in einem Häkchen; der Schaft des g wird an seinem unteren Teil nicht mehr gebrochen, sondern gerade heruntergeführt; das s kommt in sechs verschiedenen Variationen am Wortende vor. Ob die veränderte Schriftgestaltung auf eine Weiterentwicklung des Meisters Stephan Rottaler zurückzuführen ist, oder ob ein anderer führender Mitarbeiter der Werkstätte die Inschrift ausgeführt hat, muß ungeklärt bleiben. Vgl. auch das Einleitungskapitel CV.

Das Monogramm (I) bezieht sich mit einiger Sicherheit auf den Nachfolger Kalbsors im Kanonikat, Andreas Püell, der damit als Auftraggeber des Epitaphs anzusehen ist.

Petrus Kalbsor entstammte einer in Velden ansässigen Bürgerfamilie6). Nach einem 1479 begonnenen Studium an der Universität Ingolstadt7), das er als Doktor des Kirchenrechts abschloß, wurde er im April 1482 Kanoniker des Kollegiatstifts St. Andreas in Freising8) und sogleich mit einer Pfründe an der Kirche in Krems providiert9). 1489 resignierte er auf das Benefizium des Vitusaltars der Alten Kapelle in Regensburg10). Nachdem er 1506 auch Freisinger Domherr geworden war, resignierte er sein Kanonikat bei St. Andreas11).

1509 bis 1523 war er Scholaster am Stift Isen12), später auch Pfarrer zu Aibling13) und Hofkirchen14). 1515 wurde er ins Domkapitel aufgenommen15). Er veranlaßte Meßstiftungen nach St. Andreas16) und an die Domkirche17).

Über der Platte befindet sich eine gemalte Tafel mit Inschrift von 1716, die voraussichtlich 2011 nach kopialer Überlieferung rekonstruiert wird: PETRVS KALBSOR D(OCTO)R CAN(ONICVS) O(BIIT) / A(NN)O 1520. 28 SEPT(EMBRIS)18).

Textkritischer Apparat

  1. Gekürzt: D · D.
  2. Worttrennzeichen in Form von Punkten.

Anmerkungen

  1. BSB Cgm 1716 Catalogus Canonicorum fol. 22r.
  2. Eine Kurzfassung der Inschrift in HVO Geissiana 454 p. 12 Nr. 88.
  3. Halm, Studien II 125 Abb. 119.
  4. Ein Kalbskopf in Frontalansicht.
  5. Halm, Studien II 166, Anm. 3; Liedke, Rottaler 133 Abb. 82.
  6. Liedke, Rottaler 130 (mit Quellenangaben); Velden, Lkr. Landshut, NB.
  7. Matrikel LMU I Sp. 89 Z. 11, 5. Mai 1479.
  8. Scherg, Bavarica 81 Nr. 594; dagegen irrig BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 162 p. 58: ca. 1400; AEM FS 118 p. 32: 1490; Prechtl, St. Andreas: ohne Datum.
  9. Starzer, Regesten 390; Krems, Niederösterreich, Österreich.
  10. Schmid, Urkunden-Regesten d. Alten Kapelle I 265 Nr.1325.
  11. AEM FS 118 p. 32.
  12. AEM FS 118 p. 198; Isen, Lkr. Erding.
  13. Deutinger, Matrikeln III 437; Grassinger, Aibling 27; Bad Aibling, Lkr. Rosenheim.
  14. Deutinger, Matrikeln III 448; Hofkirchen, Gde. Taufkirchen, Lkr. Erding.
  15. BSB Cgm 1716 Catalogus Canonicorum fol. 22r.
  16. BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 163a fol. 3r, 28r; BayHStA KL Freising – St. Andreas Nr. 161 fol. 346v.
  17. BayHStA HL Freising Nr. 570 fol. 32v; BayHStA HL Freising Nr. 573; AEM H 80 p. 40.
  18. Vgl. AEM H 482a p. 428; BSB Cgm 1718 2 nach p. 192; AEM H 64 p. 610; AEM H 465 fol. 116r. Bei der Rekonstruktion wird aus Gründen der Symmetrie zur Überschrift der Platte für Heinrich von Schmiechen (Nr. 128) ein Zeilenumbruch vorgenommen, der in den Kopialen so nicht vorkommt.

Nachweise

  1. BSB Cgm 1716 Catalogus Canonicorum fol. 22r; BSB Cgm 1724 p. 111 Nr. 8; BSB Oefeleana 10 IV p. 115; BSB Cgm 1717 p. 407; AEM H 482a p. 428f.; BSB Cgm 1718 2 nach p. 192, p. 194; AEM H 76 p. 330; HVO Ms. 318 fol. 71r; AEM H 477 p. 751; AEM H 61 p. 205; AEM H 465 fol. 116r, 116v, Appendix fol. 11v; AEM H 466; HVF U XI 11 p. 10 Nr. 89; Schlecht, Inschriften III 69f. Nr. 34, Taf. XIV; Halm, Studien II 125f., Abb. 118-120; Halm, Rottaler 112f.; Alckens, Freising 56; Liedke, Rottaler 130-133; Glaser, Grabsteinbuch 354 Nr. 154.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 184 (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0018408.