Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 95 Dom Mariä Geburt und St. Korbinian um 1450, 1596

Beschreibung

Figurale Deckplatte eines Hochgrabes für Bischof Johannes III. Grünwalder. In der Vorhalle an der Südwand. Das Hochgrab noch zu Lebzeiten des Bischofs um 1450 im Dom vor dem Kreuzaltar errichtet, nach Protesten des Domkapitels abgebrochen und die Deckplatte in die Thomaskapelle transferiert1), dort 1724 beim Einsturz eines Teil des südlichen Seitenschiffes beschädigt2), anschließend an den heutigen Standort versetzt. Tegernseer Kalkstein. Auf der abgeschrägten Randleiste erhaben gearbeitete Umschrift (I), nach außen gerichtet, die Schrift schwarz nachgezogen. In dem von einer Stableiste umzogenen Mittelfeld Darstellung des Verstorbenen als Bischof im reich verzierten bischöflichen Ornat mit Mitra, in seiner Rechten der Bischofsstab, dessen Pannisellus mit einem erhaben gearbeiteten Jesus-Monogramm (III), das Haupt auf einem mit Quasten besetzten Kissen ruhend, am Kragen des Amikts eine erhaben gearbeitete Schrift (II), als Standfläche eine nach unten geneigte, trapezoide Konsole; im Hintergrund ein schachbrettartiges Flechtmuster. Am Saumumschlag der Kasel unterhalb der Rechten des Bischofs eine vertikal abwärts laufende Ritzinschrift (IV). Die Platte im oberen Drittel quer gebrochen, besonders an den Rändern beschädigt, hier die Unterlängen der Inschrift teilweise durch Putz verdeckt.

Maße: H. 246 cm, B. 131 cm, Bu. 12 cm (I), 3,5 cm (II), 2,3 cm (III).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien (I-III), Kursive (IV).

© BAdW München, Inschriftenkommission [1/3]

  1. I.

    Anno · d(omi)ni · mo · cccco / 〈lij ·〉 obyt · Reu(er)endus · pater · et · d(omi)n(u)s · d(omi)n(u)s · Jo/hannes · h(uius) · sancte / Frising(e)n(si)s · Ecc(les)ie · Ep(iscop)us 〈· S(e)c(un)da · me(n)sis · dece(m)brisa)

  2. II.

    ib) · avec) · // · mari(a)d)

  3. III.

    · ie(su)se) ·

  4. IV.

    Christoff Schuester von Buchloe gedynett hab / Ich Bey dem Herrn Antoni Wellsser Bis In die / Jahr 〈– – – ·1·5·9·6f)

Übersetzung:

Im Jahre des Herrn 1452 starb der Hochwürdige Vater und Herr Herr Johannes, Bischof dieser geweihten Freisinger Kirche, am zweiten (Tag) des Monats Dezember. (I)

Gegrüßet seist du, Maria. (II)

Bibel- und Schriftstellerzitat(e):

  • Ave Maria. (II)

Datum: 1452 Dezember 02.

Kommentar

Die Platte wurde zunächst dem Wiener Bildschnitzer Jakob Kaschauer zugewiesen, dann dem Regensburger Bildhauer Wolfgang Ebner und jüngst dem Münchner Bildhauer Hans Haldner3). Die Schrift, die ebenso reiche Zierelemente aufweist wie die Darstellung, zeigt einige für den Bildhauer Hans Haldner charakteristische Merkmale: So ist der Versal A zu Textbeginn als Figureninitiale gestaltet und tritt in dieser Form auch auf der Grabplatte des Nikolaus von Gumppenberg auf, vgl. Nr. 86. Das E erscheint in Form eines Minuskel-e, das durch einen vorangestellten Schrägschaft gestützt wird, wiederum durch einen feinen Haarstrich mit dem oberen Teil des Minuskel-e verbunden. Der Versal R ist aus der Kapitalis abgeleitet, mit leicht nach links gebogenem Schaft, kleinem gebrochenem Bogen und einer gewölbten Cauda, die den Schaft durchschneidet. Das S besitzt einen stark nach außen gewölbten oberen Teil des unteren Bogens. Zu den Minuskelbuchstaben vgl. Einleitung XCIXf.

Johannes Grünwalder, dessen Name sich von dem herzoglichen Jagdschloß Grünwald ableitet, in welchem er um 1392 geboren wurde, war ein illegitimer Sohn Herzog Johannes’ II. von Bayern-München, als Mutter wird einerseits Anna, Tochter des herzoglichen Pflegers und Jägermeisters zu Grünwald, Ulrich des Pirßers4), andererseits eine Münchner Schneiderstochter genannt5). Seine Erziehung erhielt er in einem Augustinerkloster – möglicherweise in Indersdorf –, wo er u. a. eine Regula S. Augustini verfaßte6). Nachdem er in den Besitz des Benefiziums des Kreuzaltars in der Münchner Frauenkirche gelangt war, erhielt er 1411 ein Kanonikat am Domstift Freising7) und nahm im selben Jahr das Studium der Artes liberales an der Universität Wien auf8), ab 1415 gefolgt vom Studium des Kirchenrechts in Padua, das er 1418 mit der Promotion zum Doctor iuris canonici abschloß9). Bereits während seiner Studienjahre gelangte er in den Genuß mehrerer Pfründen: So war er von 1414 bis 1421 Propst des Kollegiatstifts zu Isen10), von 1416 bis 1442 Pfarrer zu St. Peter in München11) und von 1420 bis 1446 Propst zu Innichen12). Nachdem Bischof Hermann von Cilli zu Ende des Jahres 1421 verstorben war, wurde Johannes Grünwalder um den 30. Januar 1422 vom Freisinger Domkapitel auf dem Wege des Kompromisses zum Bischof gewählt. Doch verwarf Papst Martin V. die Wahl unter dem Vorwand des Alters des Gewählten und bestimmte stattdessen im März 1422 Nikodemus della Scala zum Bischof, der von Herzog Heinrich XVI. dem Reichen von Bayern-Landshut unterstützt wurde. Nach Protesten des Domkapitels und Herzog Wilhelms III. von Bayern-München wurde unter Vermittlung des Salzburger Erzbischofs Eberhard 1423 festgelegt, daß Grünwalder auf die Bischofswürde verzichtet und im Gegenzug in dem schon seit ca. 1419 ausgeübten Amt des Generalvikars bestätigt wird, außerdem eine jährliche Entschädigung von 200 fl. erhält13).

Ab 1426 war Grünwalder als Generalvikar an der Visitation mehrerer bayerischer Benediktinerklöster und Augustinerchorherrenstifte beteiligt, mit dem Ziel der Verbreitung und Umsetzung der Melker Klosterreform14). Dabei kam es im Zuge der Absetzung des Scheyerner Abtes Simon Kastner zu einer Klage gegen Grünwalder, die ihm sogar die zeitweise Exkommunikation einbrachte15). Als Vertreter des Hochstifts Freising und des Herzogtums Bayern-München nahm er ab 1432 am Basler Konzil teil, wo er sich besonderes in der deputatio pro reformatione engagierte. Seine in diesem Zusammenhang entstandenen Schriften lassen ihn dabei als emphatischen Befürworter des konziliaren Gedankens und Gegner des päpstlichen Primats – und damit des römischen Papstes Eugen IV. – erkennen. In Anerkennung seiner Verdienste wurde er im Jahre 1440 durch Konzilspapst Felix V. zum presbiter cardinalis sub titulo S. Martini in montibus ernannt. Daraufhin kam es zum offenen Bruch mit dem konservativen Bischof Nikodemus della Scala, der zum Entzug des Generalvikariats führte, welches nun Johannes Simon (Nr. 121) erhielt16). Nach der Resignation des Nikolaus von Gumppenberg im Amt des Freisinger Dompropstes 1440 erhob Grünwalder darauf Anspruch, konnte sich jedoch nicht gegen den von Bischof Nikodemus favorisierten Ulrich von Nußdorf durchsetzen. Am 5. Juli 1443, nur wenige Wochen vor dem Tode des Bischofs, wurde Grünwalder vom Basler Konzil erneut als Dompropst postuliert, gab dieses Amt jedoch mit Erlangung der Bischofswürde wieder an Nußdorf ab17).

Bereits unmittelbar nach dem Ableben von Bischof Nikodemus della Scala am 13. August 1443 versuchte der königliche Kanzler Kaspar Schlick mit Hilfe von Papst Eugen IV. und König Friedrich III. den Freisinger Bischofsstuhl für seinen Bruder, den Freisinger Domherrn Heinrich Schlick, zu sichern. Doch wählte das Freisinger Domkapitel im September 1443 einstimmig Johannes Grünwalder zum neuen Bischof, die Bestätigung durch das Konzil erfolgte am 13. November 1444. Über Schlick, der zwischenzeitlich durch Papst und König providiert worden war, wurde daraufhin vom Konzil die Exkommunikation verhängt. 1448 jedoch ergriff Friedrich III. Partei für Johannes Grünwalder, der sich wieder mehr dem Apostolischen Stuhl angenähert hatte, und erreichte die Resignation Schlicks. Am 23. Mai 1448 erfolgte die Belehnung Grünwalders mit den Regalien; die Bestätigung durch Papst Nikolaus V., die an die Bedingung der Aufgabe des Kardinalstitels gebunden war, datiert vom 15. Januar 144918).

In der kurzen Regierungszeit, die ihm bis zu seinem Tode blieben, gelang es Grünwalder nur ansatzweise, dem von ihm früher mit Vehemenz vertretenen Reformgedanken Taten folgen zu lassen. Dazu gehören u. a. drei Diözesansynoden, die er 1444, 1449 und 1452 abhielt19). Am 2. Dezember 1452 starb er in Wien, wo er sich in diplomatischer Mission aufgehalten hatte. Sein Leichnam wurde nach Freising überführt und vor dem Kreuzaltar begraben, wohin er bereits 1434 eine Frühmesse und 1439 einen Jahrtag mit Vigil und Seelenmesse gestiftet hatte20). An dieser Stelle ließ Bischof Eckher später eine quadratische Bodenplatte mit der Inschrift einsetzen: IOANNES III. GRIE[N]/WALDER. EP(ISCOP)US XLI[II.] / FRIS[INGENSIS] O(BIIT) 2. DEC(EMBRIS) / A(NN)o 145[2]21). Außerdem war von Johannes Grünwalder eine Jahrtagsmesse an die Kollegiatstiftskirche St. Johannes Baptist gestiftet worden22).

Die heute vertikale Stellung der Ritzinschrift kann als Beleg dafür dienen, daß die Platte nach dem erzwungenen Abbruch des Grabmals 1451 oder 1452 vor der Thomaskapelle in querliegender Position, möglicherweise in Form einer Scheintumba, angebracht war23).

Der für die Ritzinschrift verantwortliche Christoph Schuster aus Buchloe24) verewigte sich in einer Reihe weiterer Inschriften, s. Nr. 242/VI, XII, XVIII, XIX und Nr. 248/XII.

Zu Dompropst Anton Welser vgl. Nr. 387, 388†.

Textkritischer Apparat

  1. Worttrennzeichen in Blütenform.
  2. Sic!
  3. Unterbrechung durch Kragenöffnung.
  4. Worttrennzeichen paragraphenförmig.
  5. Gekürzt: ihs.
  6. Die nach einem Freiraum nachgetragene Jahreszahl zentrisch gesetzt, danach ein rautenförmiges Zeichen und ein Schlingenornament.

Anmerkungen

  1. 1451 wandte sich das Domkapitel an den Erzbischof nach Salzburg, weil Grünwalder sein Begräbnis inmitten der Domkirche vor dem Kreuzaltar haben wolle und dazu bereits ein Grabmal errichtet habe, s. BayHStA HL Freising Nr. 369/1a; Freyberger, Cronica fol. (vv); BSB Cgm 1725 p. 252; Meichelbeck, Chronica 243f.; Meichelbeck, Historia Frisingensis II,1 242. Königer, Grünwalder 76.
  2. Meichelbeck, Historia Frisingensis II,1 242; Königer, Grünwalder 78.
  3. Benker, Jakob Kaschauer 3; Mayr, Studien 68-71; Liedke, Haldner 44-46, 161; Otto, Johannes Grünwalder 387.
  4. Wessinger, Kaspar Aindorffer 197; Königer, Grünwalder 4.
  5. Geiß, St. Peter 31; Königer, Grünwalder 4.
  6. Königer, Grünwalder 5.
  7. BSB Cgm 1716 Catalogus Canonicorum fol. 14v.
  8. Matrikel Wien I 87, 1411 II R Z. 7.
  9. Königer, Grünwalder 5f.
  10. BSB Cgm 1716 Praepositi S. Zenonis in Isen fol. 37v, Catalogus Canonicorum fol. 14v.
  11. Meuthen, Johannes Grünwalder 92; Geiß, St. Peter 390.
  12. BSB Cgm 1716 Praepositi S. Candidi in Inichen in Tyrolli fol. 34v; AEM FS 118 p. 172; Schlecht, Dispensbulle 807.
  13. Königer, Grünwalder 8-13.
  14. Königer, Grünwalder 13-22.
  15. Königer, Grünwalder 22-26.
  16. Königer, Grünwalder 26-52.
  17. Königer, Grünwalder 58; vgl. BSB Cgm 1716 Catalogus Praepositorum Frisingensium Ecclesiae Cathedralis fol. Er, 5r; Baumgärtner, Meichelbeck’s Geschichte 602 Nr. 37.
  18. Königer, Grünwalder 59-72; BSB Cgm 1716 Catalogus Canonicorum fol. 14v.
  19. Königer, Grünwalder 73.
  20. Königer, Grünwalder 39-41, 78f.; BayHStA HL Freising Nr. 569 p. 35, 49b; BayHStA HL Freising Nr. 570 fol. 29r; BayHStA HL Freising Nr. 573; AEM H 80 p. 8; MGH Necrologia III Liber Oblagiorum 93; Boegl, Jahrtagsverzeichnis 5.
  21. Vgl. AEM H 76 p. 339; AEM H 9 p. 301; Schlecht, Inschriften I 32 Nr. 25. Plattennummer der Bauaufnahme des staatlichen Hochbauamts Freising von 1993: H.054.
  22. BayHStA KL Freising – St. Johann Collegiatstift Nr. 31 fol. 3r.
  23. BSB Cgm 1725 p. 252: in S. Thomae capelle in wandt ein Mauren lassen.
  24. Buchloe, Lkr. Ostallgäu, Schw.

Nachweise

  1. AEM H 5 p. 141; HABW Cod. Helmst. 205 fol. 261r; AEM H 602 p. 80; Hundt/Gewold, Metropolis Salisburgensis I2 178, I3 119; BSB Cgm 5805 fol. 55v; AEM H 669 fol. 46r; AEM H 668 fol. 55v; AEM H 253 p. 59, 149; BSB Cgm 1725 p. 251; AEM H 58 p. 19 (B); AEM H 57 p. 172; Meichelbeck, Historia Frisingensis II,1 242; BSB Oefeleana 10 IV p. 23; BSB Clm 1294 p. 22; BSB Cgm 1717 p. 287; BSB Cgm 1715 p. 146; AEM H 482a p. 347; BSB Cgm 1718 1 nach p. 147; AEM H 59 p. 49; Bugniet, Versuch 71; AEM H 8a p. 47; AEM H 9 p. 301; AEM H 292 p. 143f.; AEM H 464 fol. 19r; HVO Ms. 318 fol. 24r; AEM H 465 fol. 92v; AEM H 467; AEM B 8 II p. 436; Deutinger, Kataloge 194; Deutinger, Viti Arnpeckhii 534; Schlecht, Inschriften I 31f. Nr. 24, Taf. V; Leidinger, Veit Arnpeck 898; Königer, Grünwalder 79; Bischofs-Chronik II 43; Benker, Jakob Kaschauer 3; Alckens, Freising 45; Benker, Dom und Domberg 7; Liedke, Haldner 41-46, 161; Bischofs-Chronik, Neuausgabe 53; Otto, Johannes Grünwalder 386f.; Glaser, Grabsteinbuch 313f. Nr. 42.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 95 (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0009500.