Inschriftenkatalog: Stadt Freising

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 69: Stadt Freising (2010)

Nr. 12† Dom Mariä Geburt und St. Korbinian 1159–1205

Beschreibung

Bildbeischriften zu einem gemalten Korbinianszyklus. Vermutlich in der Krypta an einer Wand nahe dem Korbinians-Sarkophag. Wohl im Zuge des Domneubaus von 1159 bis 1205 entstanden, um 1495 noch von Veit Arnpeck gesehen, spätestens im Zuge der ersten Barockisierung 1621–1624 beseitigt. Überschriften zu vierzehn Darstellungen aus der Vita des hl. Korbinian.

Text nach BSB Clm 2230. Die Kapitelnumerierung nach Fassung B der Korbiniansvita.

  1. I.

    Die Sendung Korbinians durch Papst Gregor III. (Kap. VI).Mittit hica) p(re)sulem : Gre(gorius) ∙ iuniorb) Corbinianu(m) ∙

  2. II.

    Der trotz herausgefallenen Zapfens bewahrte Wein (Kap. II).Spina concutit(ur) : sed mustu(m) no(n) violat(ur) ∙

  3. III.

    Der Dieb bringt das gestohlene Maultier zurück (Kap. III).Presulis reducit : fur mula(m) furtim sublata(m)c)

  4. IV.

    Der Adler bringt den Fisch (Kap. XII).Defert pisce(m) aquila : p(re)suli celit(us) emissu(m)d)

  5. V.

    Die Zähmung des Bären (Kap. X).Domitate) hic vrsu(m) : p(ost) equu(m) p(er)emptu(m) ∙

  6. VI.

    Die Fürbitte für den zum Tod verurteilten Räuber (Kap. VII).Judice(m) p(re)cat(ur) : ne latro morte puniat(ur)f)

  7. VII.

    Der Räuber wird nach drei Tagen am Galgen gerettet (Kap. VII).Latrone(m) redimit : ab exiciog) triduanu(m)h)

  8. VIII.

    Der vom Kreuz Gerettete wird zum Mönch geweiht (Kap. VII).Hic ordinat monachu(m) : a cruci(s) mo(r)te r(e)de(m)ptu(m) ∙

  9. IX.

    Die Auffindung der Quelle (Kap. XXIII).Vir virga monte(m) : compellit mitte(re) fonte(m) ∙

  10. X.

    Der Bischof predigt (unbestimmtes Kap.).Reficit eternis : Episcop(us) populu(m) verbis ∙

  11. XI.

    Der Tod nach Empfang der Wegzehrung (Kap. XXVII).Sumpto viatico : transfert(ur) a(n)i(m)a celo ∙

  12. XII.

    Der Leib wird nach 30 Tagen erhoben (Kap. XXVII).Corpus sacratu(m) : ter deno die tollu(n)t tumulatu(m) ∙

  13. XIII.

    Korbinian wird nach Freising rücküberführt (Kap. XXXIII).Frisingam vehit(ur) : p(re)sul inclit(us) sepeliend(us) ∙

  14. XIV.

    Er heilt Krankheiten und Besessene (Kap. XXXVI, XXXVII).Languores sanat : arreptos a demone curat ∙

Übersetzung:

Hier entsendet (Papst) Gregor der Jüngere (III.) den Vorsteher Korbinian. (I)

Der Zapfen wird heftig erschüttert, aber der Most nimmt keinen Schaden. (II)

Der Dieb bringt heimlich das entwendete Maultier des Vorstehers zurück. (III)

Es bringt der vom Himmel entsandte Adler dem Vorsteher einen Fisch. (IV)

Er zähmt den Bären, nachdem dieser das Pferd gerissen hat. (V)

Er bittet den Richter, den Räuber nicht mit dem Tode zu bestrafen. (VI)

Er erlöst den Dieb nach drei Tagen vom Untergang. (VII)

Hier weiht er den vom Kreuzestod Erretteten zum Mönch. (VIII)

Der (heilige) Mann drängt den Berg durch seinen Stab, daß er eine Quelle hervorbringe. (IX)

Der Bischof richtet das Volk durch ewige Worte auf. (X)

Nach Empfang der Wegzehrung gelangt die Seele in den Himmel. (XI)

Sie erheben nach dreimal zehn Tagen den geheiligten Leib, der bestattet ist. (XII)

Der weit berühmte Gottesmann wird nach Freising gebracht, um (dort) begraben zu werden. (XIII)

Er heilt die Ermatteten und macht die vom Teufel Besessenen gesund. (XIV)

Versmaß: Hexameter1). (IX)

Kommentar

Der Text ist als Bildüberschrift durch die Beschreibung bei Veit Arnpeck gesichert: Ante vite e(ius) pictura(m) exh(ib)et(ur) sup(ra)sc(ri)pt(i)o2). In einer anderen Handschrift gibt Arnpeck an, daß ein Freisinger so über die Wunder des hl. Korbinian schreibe: De miracul(is) h(uius) s(an)cti viri p(er) frisingen(sem) scribit(ur)3). Die Existenz einer Darstellung des Bärenwunders setzt als Textvorlage die erweiterte, spätere Fassung der Korbiniansvita voraus, der auch die obige Kapitelnumerierung folgt.

Bereits Leidinger ging von einer Ausführung als Wandbild und nicht von einem Zyklus der Buchmalerei aus4). Später hat Sigmund Benker zutreffend die im chronologischen Ablauf vertauschte Reihenfolge der Einzelbilder als Indiz gegen eine Übernahme aus der in Handschriften stets eingehaltenen, gleichbleibenden Reihenfolge der Begebenheiten gewertet: So dürfte die Vertauschung der Szenen dem Umstand geschuldet sein, daß sich der Kopist die Texte der zu einzelnen Registern und auf verschiedene Wände verteilten Bilder vor Ort nach erstem Augenschein zusammenstellte, ohne sich näher mit dem tradierten Geschehnisablauf der Korbiniansvita auseinanderzusetzen5). Dazu deuten einige strittige bzw. unklare Textstellen auf Vorlagen hin, die zum Zeitpunkt ihrer Erfassung durch Arnpeck bereits verderbt waren: Neben den oben angemerkten Textvarianten wäre in Beischrift V eine Ergänzung zu post equum suum inhaltlich und metrisch angebracht, wogegen in Beischrift XII aus metrischen Gründen tollunt zu tilgen wäre6).

Als Entstehungszeitraum ist wohl die Bau- und Ausstattungsphase des 1159 begonnenen und 1205 geweihten romanischen Doms anzusetzen. Damit korrespondiert die Kürze der leoninischen Hexameter, die eher eine Anfertigung im 11.–12. Jahrhundert als in spätmittelalterlicher Zeit nahelegt. Der Bilderzyklus war wohl in unmittelbarer Nähe zum Sarkophag des Heiligen in der Krypta angebracht. Das Aussehen der vierzehn Darstellungen aus dem Leben des hl. Korbinian ist nicht überliefert, doch konnte Sigmund Benker zwei Holzschnitte einer Bildfolge des Korbinianlebens aus der Zeit um 1500 eruieren, deren Bildüberschriften (in Gotischer Minuskel) sich als wortgetreue Übersetzungen der romanischen Beischriften herausgestellt haben, so daß auch von einer Übernahme der Bilddarstellungen auszugehen ist (hier: II zu Kap. II; V zu Kap. X)7). Da sich Meichelbeck bei seiner Textedition ausdrücklich auf Veit Arnpeck beruft8), dürfte der Bilderzyklus bereits längere Zeit vorher, möglicherweise im Zuge der Domrenovierung 1621–1624, entfernt worden sein9).

Textkritischer Apparat

  1. Pez, Meichelbeck: hunc.
  2. HABW Cod. Helmst. 205: t(er)ci(us), zusätzlich iunior über der Überschrift angemerkt; UBM 2° Inc. lat. 1108: tercius.
  3. UBM 2° Inc. lat. 1108: sublati; Pez, Meichelbeck: subactam.
  4. Sic, irrig für emissa.
  5. HABW Cod. Helmst. 205: Demitat.
  6. UBM 2 Inc. 1108: prematur.
  7. UBM 2° Inc. lat. 1108: euculeo; HABW Cod. Helmst. 205: Links am Rand korrigiert aus ciřcēd.
  8. UBM 2° Inc. lat. 1108: triduani; BSB Clm 1212: triduanis.

Anmerkungen

  1. Grundsätzlich scheint das metrische Schema eines Hexameters angestrebt worden zu sein, doch entspricht es ihm nur in einem einzigen Fall exakt (IX). Die übrigen Texte weisen eine überwiegend rhythmische Prosa in Anlehnung an das metrische Schema des leoninischen Hexameters auf.
  2. HABW Cod. Helmst. 205 fol. 208v; Leidinger, Veit Arnpeck 65 Anm. 6; Benker, Leben des hl. Korbinian 163f.
  3. BSB Clm 2230 fol. 56v; Leidinger, Veit Arnpeck 65; Benker, Leben des hl. Korbinian 163.
  4. Leidinger, Veit Arnpeck 65 Anm. 6.
  5. Vgl. Benker, Leben des hl. Korbinian 164f.
  6. Vgl. die Edition von HABW Cod. Helmst. 205 fol. 208v bei MGH SS rer. Germ. XIII 183.
  7. Vgl. Benker, Leben des hl. Korbinian 165-168.
  8. Meichelbeck, Historia Frisingensis I,1 26.
  9. Die in UBM 2° Inc. lat. 1108 enthaltene Kopiale der Inschrift stammt von einer Hand aus der Zeit um 1560/70, evtl. vom Freisinger Poeten Joachim Haberstock. Die gegenüber dem Text von Veit Arnpeck abweichenden Kürzungen könnten einem Rückgriff des Kopisten auf das damals noch vorhandene Original zu verdanken sein.

Nachweise

  1. BSB Clm 2230 fol. 56v; HABW Cod. Helmst. 205 fol. 208v; UBM 2° Inc. lat. 1108 fol. 16v; Pez, Thesaurus III Viti Arnpeckhii Chronicon Sp. 78; Meichelbeck, Historia Frisingensis I,1 7 (VI-VIII), 26 (I-XIV); BSB Clm 1212 fol. 45v; Leidinger, Veit Arnpeck 65f.; MGH SS rer. Germ. XIII 183; Benker, Leben des hl. Korbinian 164.

Zitierhinweis:
DI 69, Stadt Freising, Nr. 12† (Ingo Seufert), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di069m012k0001207.