Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 149 Dom 1614

Beschreibung

Tumbenplatte für die Äbtissin Elisabeth von Bergh (s’Heerenbergh). Marmor, Alabaster. Die Tumba befand sich über dem Grab der Äbtissin im vierten Joch des nördlichen Seitenschiffs1) und wurde vor 1865 in die Nordwand dieses Jochs eingemauert.2) Auf den nach außen abgeschrägten Leisten der schwarzen Marmorplatte ist der Sterbevermerk mit Fürbitte (A) gegen den Uhrzeigersinn laufend und am Kopfende beginnend eingehauen. Die Figur der betend dargestellten Verstorbenen ist in hohem Alabasterrelief im eingetieften Mittelfeld angebracht. Sie trägt aufwendige Kleidung, der Kopf ruht auf einem Kissen. Über ihr halten zwei Genien mit umgekehrten Fackeln einen bekrönten rautenförmigen Wappenschild. Zu beiden Seiten befindet sich eine sechzehnfache Ahnenprobe aus je acht skulptierten, bekrönten3) Wappen aus Alabaster mit jeweils darunter eingehauenen Wappenbeischriften (B–Q). Einige Wappen und der Genius links sind beschädigt, an der Figur der Äbtissin wurden Ausbesserungen vorgenommen. Die goldfarbene Fassung der Buchstaben ist unterschiedlich gut erhalten. Auf dem Kissen sind links neben dem Kopf Graffiti des 19. und 20. Jahrhunderts eingeritzt.4)

Maße: H. 230 cm; B. 127 cm; Bu. 2,9 cm (A), 2,2 cm (B–Q).

Schriftart(en): Mischschrift aus humanistischer Minuskel und Fraktur (A), Kapitalis (B–Q).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/2]

  1. A

    Jm Jaer nach der geburta) Christi 1614 de(n) 12b) Januarijc) ist die Ho/chwyrdig hoch:d) vnd Wolgeborne furstin vnd frauw frauw Elisabeth desz kayserlichen freyweltlihene) stiffesf) / Essen auch zue Freckenhorst vnd Nottuln Ab/dissymg) geporne Grauinne zue dem Bergh Jnh) Gott seliglich entschlaffe(n) derer Seele der Allmechtig gnedig sey;

  2. B–C BERGH NASSAVW 
    D–E MOERS LOWE 
    F–G CLEVE HESSEN 
    H–I BAIEREN CATZENELN=/BOGHEN 
    J–K VELDENTZ STOLLBERGH 
    L–M EGMONT MANSFELD 
    N–O CVLENBORCH KONIGSTEIN 
    P–Q BAENTHEIM MARCK 
Wappen:
Bergh (s’Heerenbergh)5)
Bergh (s’Heerenbergh)5)Nassau6)
Moers-Saarwerden7)Loen-Heinsberg8)
Kleve-Mark9)Hessen10)
Pfalz-Bayern11)Katzenelnbogen-Diez12)
Veldenz-Sponheim13)Stolberg-Wernigerode14)
Egmond15)Mansfeld16)
Culemburg17)Eppstein-Königstein18)
Bentheim19)Mark20)

Kommentar

Inschrift A wurde in einer Mischschrift aus humanistischer Minuskel und Fraktur gestaltet. Einige Buchstaben gehören eindeutig zum Alphabet der humanistischen Minuskel (z. B. b, d mit senkrechtem Schaft, rundes g, h, rundes o, zweistöckiges z), andere zur Frakturschrift (rundes d, g, i-longa, h mit Bogenverlängerung unter die Grundlinie, l mit ausgezogenem Schaft, v und w mit Oberlänge am linkem Schaft). Bei der Mehrzahl der Buchstaben handelt es sich um Mischformen aus Grundformen der humanistischen Minuskel mit Charakteristika der Fraktur (z. B. umgebogene, ausgezogene oder gebrochene Schaftenden, eingerollte Bogenenden). y ist immer mit zwei i-Punkten versehen. Die Verwendung von Einzelbuchstaben aus verschiedenen Schriften in einem Wort ist ungewöhnlich. Die Inschrift ist sorgfältig ausgeführt, allerdings unterliefen dem Bildhauer orthographische Fehler. Die Anfangsbuchstaben der Inschriften B–Q sind höher. Wie bei den Kapitalisversalien in Inschrift A stößt der linke Schaft des N nicht am höchsten Punkt an den Schrägbalken, genauso beim M.

Elisabeth von Bergh erfüllte in zweifacher Hinsicht nicht die Voraussetzungen, um zur Äbtissin des Stifts Essen gewählt werden zu können. Sie gehörte weder dem Essener Damenkapitel an noch konnte sie väterlicherseits eine lückenlose Reihe hochadliger Ahnen vorweisen.21) Letzteres spiegelt sich allerdings nicht in der Ahnenprobe auf ihrer Tumbenplatte wider, alle Wappen der sechzehnfachen Ahnenprobe gehören zu mindestens gräflichen Familien. Auf mütterlicher Seite stammen alle Vorfahren aus hochadeligen Familien. Ihre Wappen sind so auf der Spindelseite (heraldisch links) angeordnet, dass jeweils die Wappen der Ururgroßelternpaare untereinander stehen.22) Die nicht standesgemäßen Vorfahren auf väterlicher Seite wurden durch hochadlige Vorfahren älterer Generationen ersetzt. Aus der Großelterngeneration wurden Elisabeth von Dorth und ihre Vorfahren nicht in die Ahnenprobe aufgenommen, aus der Generation der Urgroßeltern fehlt die Familie von Boxmeer.23) An die Stelle ihrer Wappen wurden die der gräflichen Familien von Veldenz-Sponheim, Bentheim und Culemburg sowie die Wappen der Herzöge von Kleve-Mark und Bayern gesetzt.

Auftraggeber der Tumbenplatte war Elisabeths Bruder Heinrich von Bergh (s’Heerenbergh) (1586–1638). Er berichtete in einem Brief vom 12. Juni 1614 an Elisabeths Nachfolgerin Maria Clara von Spaur von Verhandlungen mit einem Antwerpener und einem Lütticher Bildhauer.24) Wer bzw. ob einer dieser beiden die Platte letztendlich fertigte, ist nicht mit Sicherheit zu sagen.

Neben der Tumbenplatte erinnerten noch zwei weitere Inschriften an Elisabeth von Bergh: In ihrem Grab wurde eine gravierte Bleiplatte gefunden,25) und abschriftlich ist ein Chronostichon für sie überliefert.26)

Textkritischer Apparat

  1. Balken des e fehlt.
  2. Punkt als Zierhäkchen über der Zeilenmitte ausgeführt. 15 Goebel, KDM Essen, Zimmermann.
  3. Ligatur in Form eines y.
  4. Doppelpunkt in Quadrangel.
  5. Sic! Statt freyweltlichen.
  6. Sic! Statt stiftes, f statt t verhauen.
  7. Sic! Statt Abdissyn.
  8. i-longa.

Anmerkungen

  1. Vgl. Zimmermann, Münster, S. 139f., Nr. 75 und Tf. IV mit der genauen Lage des Sargs und der sterblichen Überreste.
  2. MüA, B 204. Aus den Restaurierungsakten geht hervor, dass die Tumbenplatte bereits vor dem 16. Januar 1865 aufrecht an der nördlichen Seitenwand stand. Außerdem werden Beschädigungen an den Wappen vermerkt. Die Platte wurde wahrscheinlich bei den Restaurierungsarbeiten 1848–1855 versetzt.
  3. Die Wappen Kleve, Bayern und Hessen mit Fürstenkrone, die übrigen Wappen mit Grafenkrone.
  4. Leo Medler / 1934, darunter HEINRICH / A[.]ne./1833 / Mauer.
  5. Siebmacher, FstM, Tf. 211,4, hier, d. h. auf dem Inschriftenträger, Schild linksgewendet, der Löwe einschweifig.
  6. Siebmacher, FStA, Tf. 204.
  7. Siebmacher, Souv3, Tf. 65,7, hier Doppeladler ohne Halbmonde auf der Brust.
  8. Siebmacher, Si2, Tf. 19, hier ohne Herzschild mit Löwe; Löwen fälschlich in 1/4.
  9. Siebmacher, Souv3, Tf. 51,3.
  10. Siebmacher, Souv1, Tf. 58,1, das Wappen von Nidda im 3. Feld hat fälschlich einen Stern statt zwei.
  11. Vgl. Siebmacher, Souv1, S. 16, Nr. 4, mit Tf. 18,4.
  12. Siebmacher, Souv3, Tf. 33, hier Leoparden korrekterweise ungekrönt; der Löwe von Katzenelnbogen fälschlich nicht hersehend.
  13. Siebmacher, NaA, Tf. 16,5.
  14. Siebmacher, Gf, Tf. 100,1, hier Hirsche springend, in Feld 1 nach rechts gewendet, Fische voneinander abgewendet.
  15. Siebmacher, FstA, Tf. 79,1, hier mit vier Sparren.
  16. Ebd., Tf. 181,4, hier 1/4. nicht gerautet, sondern 9 (3:3:3) aneinanderstoßende schräggestellte Würfel.
  17. Vgl. Siebmacher, Si3, Tf. 20.
  18. Vgl. Siebmacher, NaA, S. 5 und Tf. 5,10, hier zwei Sparren, im gespaltenen Herzschild vorn Königstein (Löwe), hinten Diez (hier fälschlich ein Löwe statt zwei Leoparden).
  19. Siebmacher, FstM, Tf. 104.
  20. Siebmacher, Si2, Tf. 19.
  21. Küppers-Braun, Frauen, S. 118; Schwennicke, Europ. Stammtafeln N. F. 18, Tf. 34ff. Ein erster Versuch, Elisabeth von Bergh im Stift unterzubringen, scheiterte 1604, wobei die Gründe für die Ablehnung sowohl in ihrem katholischen Bekenntnis als auch in ihrer nicht standesgemäßen Abstammung zu suchen sind, vgl. Schmidt, Wahl, S. 122; Küppers-Braun, Frauen, S. 120f. Auch vor ihrer Wahl zur Äbtissin wurde eine Präbendierung mit dem Hinweis auf ihre Ahnenreihe abgelehnt: Küppers-Braun, Frauen, S. 121. Zur Wahl Elisabeths von Bergh vgl. Nr. 147.
  22. Diese Anordnung z. B. auch in DI 54 (Landkreis Mergentheim), Nr. 377. Die Behauptung von Potthoff, Grabmal, S. 95f., die Wappenschilde seien in falscher Reihenfolge angebracht worden, ist nicht zutreffend.
  23. Zur Genealogie Elisabeths von Bergh vgl. Potthoff, Grabmal, S. 91f.
  24. Der Brief ist abgedruckt in Kindlinger, Siegeloblaten, S. 23.
  25. Nr. 147.
  26. Nr. 148.

Nachweise

  1. StAM, Msc. (Kindlinger’sche Sammlung) 107, S. 5 (B–Q).
  2. Gooßens, Einfälle, S. 24, Anm. 2.
  3. KDM Essen, S. 35.
  4. Goebel, Münsterkirche, S. 23.
  5. Potthoff, Grabmal, S. 96, mit Abb. nach S. 88.
  6. van Schilfgaarde, Huis Bergh, S. 245f., mit Abb. 108.
  7. Zimmermann, Münster, S. 131, mit Abb. 113, S. 130.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 149 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0014909.