Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 139 Ruhr Museum 2. H. 16. Jh.

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Abendmahlsbecher mit Deckel. Dauerleihgabe der evangelischen Gemeinde Altstadt-Mitte. Silber, teilvergoldet, getrieben, gegossen, graviert. Der konische Becher ist im oberen Drittel mit einem gravierten Ornamentband mit Stiftername (A) und Bibelzitat (B) geschmückt. Darunter befinden sich vier gravierte Wappenschilde, vermutlich als Ahnenprobe. Der Becher wird durch eine Kehle in den runden Fuß mit gravierter Zarge überführt, der Übergang ist durch ein aufgesetztes Ornamentband verdeckt. Der Fuß ruht auf drei kugeligen Beeren (Weintrauben?) mit Stielen. Der Deckel besteht aus einem breiten, flachen Rand, in den ein Wappenschild1) und umlaufend der Beginn des ‚Gloria’ (C) graviert sind, einem gewölbten Mittelteil mit gravierter Anrufung (D) und einem Knauf.

Maße: H. mit Deckel 21,5 cm; Bu. 0,7 cm (A), 0,5 cm (B), 0,6 cm (C, D).

Schriftart(en): Kapitalis mit Elementen der frühhumanistischen Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/14]

  1. A

    · ANNAa) : VAN : ASBECK : IONFFER : ZOb) : SAILL :

  2. B

    SPES : MEA : IN : DEO2)

  3. C

    GLORIA · IN · EXCELSIS · DEO · c)3)

  4. D

    O : HEER GOTT : GERAEDT

Übersetzung:

Meine Hoffnung (ist) in Gott. (B) Ehre sei Gott in der Höhe. (C) O Herr Gott, herrsche (?)4) (D)

Wappen:
Asbeck;5) Asbeck, op dem Berge,6) Diepenbrock?,7) Wachtendonk?8).

Kommentar

Die Inschriften sind in Kontur graviert und waagerecht schraffiert und haben ornamentalen Charakter, teilweise sind noch Reste von Vergoldung an den Schriftbändern zu sehen. Die Buchstaben sind teilweise mit Details der frühhumanistischen Kapitalis versehen: A oft mit langem, nach links überstehendem Deckbalken, H mit nach unten ausgebuchtetem Balken, M ist konisch mit kurzem Mittelteil, alle N sind retrograd, und O weist die für die frühhumanistische Kapitalis charakteristische spitzovale Form auf. Die Buchstaben sind mit teilweise dreieckig gestalteten Sporen ausgestattet. Zur Markierung des Beginns von Inschrift A dient eine gravierte Ranke. Als Worttrenner wurden Rankenfriese und paarweise übereinander gesetzte, schraffierte Punkte verwendet.

Das Abendmahlsgerät hat die Form eines Bechers, der durch den Fuß wie ein Pokal wirkt. Diese Gestalt, die sich in ihrer Grundform nicht von profanen Trinkgefäßen unterscheidet, war besonders bei Anhängern der reformierten Konfession beliebt, wogegen in lutherischen Gemeinden meist an der bekannten spätgotischen Kelchform festgehalten wurde.9)

Wie aus der Ergänzung IONFFER ZO SAILL hervorgeht, war die Stifterin Anna von Asbeck Nonne im (freiadligen) Zisterzienserinnenkloster Mariensaal in Saarn (Mülheim/Ruhr).10) Sie ist dort vom 6. September 1582 bis zum 25. August 1594 nachgewiesen.11) Innerhalb der Klostergemeinschaft kam es ab 1576/77 zu Auseinandersetzungen zwischen protestantisch gewordenen Klosterfrauen, zu denen auch Anna und Dorothea von Asbeck zählten, und der katholisch gebliebenen Äbtissin.12) Die Protestantinnen, die seit etwa 1568 das Abendmahl unter beiderlei Gestalt einnehmen durften, wurden gewaltsam aus dem Kloster vertrieben und mussten auf ihren Unterhalt verzichten. Sie wandten sich mit der Bitte um Vermittlung an ihre adeligen Standesgenossen der klevisch-märkischen und bergischen Landstände. Unterstützt wurden sie dabei von Graf Wirich VI. von Daun-Falkenstein, einem prominenten Vertreter der reformatorischen Glaubensrichtung, der als Herr der bergischen Unterherrschaft Broich als Schutzherr des Klosters auftrat. Der Graf war seit 1578 mit der resignierten Essener Äbtissin Elsabeth von Manderscheid-Blankenheim verheiratet, die auch nach ihrer Hochzeit noch engen Kontakt nach Essen hielt.13) In die Auseinandersetzung waren auch der Abt des Zisterzienserklosters Kamp als Visitator des Saarner Klosters und die Regierung des Herzogtums Jülich-Kleve-Berg einbezogen. Die Konventualinnen konnten zwar ins Kloster Mariensaal zurückkehren, sahen sich aber 1580/81 und, nach einer erneuten Rückkehr, 1594 wieder gezwungen, nach Duisburg zu flüchten. Neben konfessionellen Fragen betrafen die Auseinandersetzungen besonders die Einkünfte der Klosterfrauen, die durch die Vertreibung ihren Unterhalt und ihre soziale Stellung verloren hatten, sowie die Wirtschaftsführung der Äbtissin, die von den Konventualinnen stark kritisiert wurde. Während ihres Aufenthalts in Duisburg waren die geflohenen Klosterfrauen auf die Unterstützung durch Graf Wirich angewiesen, da sie offenbar keine Zahlungen oder Lebensmittel mehr aus dem Kloster erhielten. Der Graf konfiszierte dafür Klostergut und ließ seine Soldaten gewaltsam in das Kloster eindringen, um Lebensmittel zu beschaffen. Die Konventualinnen kehrten nach 1594 anscheinend nicht mehr nach Saarn zurück. Möglicherweise siedelte Anna von Asbeck nach Essen über. Dort waren die Marktkirche St. Gertrud und der Stadtrat fest in protestantischer Hand und auch die Äbtissin des Stifts Essen, also die Nachfolgerin der resignierten Elsabeth von Manderscheid-Blankenheim, war vermutlich eine Anhängerin der evangelischen Lehre.14) Außerdem gehörten Mitglieder der aus Westfalen stammenden, weitverzweigten Familie von Asbeck der Essener Honoratiorenschicht an.15) Die Existenz des Bechers war in Saarn bislang nicht bekannt,16) was auf seine frühe Überführung nach Essen hinweist.

Textkritischer Apparat

  1. Davor eine Zierranke zur Bezeichnung des Inschriftenbeginns.
  2. ZO] fehlt in Kat. Unna 1977; 30 Kat. Köln 1965, Kat. Unna 1983, Kat. Essen 1995.
  3. Worttrennung durch Rankenfriese.

Anmerkungen

  1. Asbeck, vgl. Anm. 5.
  2. Ps 61 (62),8.
  3. Beginn des Gloria im Ordo missae, nach Lc 2,14.
  4. GERAEDT vielleicht von ‚raden’ = herrschen, vgl. Schiller/Lübben, Wörterbuch 3, S. 413; oder „O Herr Gott, rate (mir)“.
  5. Spießen, Wappenbuch 2, Tf. 11.
  6. Ebd., Tf. 23.
  7. Ebd., Tf. 96.
  8. Ebd., Tf. 324.
  9. Heppe, Gestalt, S. 13.
  10. Vgl. die niederdeutsche Schreibweise des Namens „onser Vrouwen zael“ bei von Roden, GS Saarn, Duissern, Sterkrade, S. 13.
  11. Ebd., S. 63.
  12. Ebd., S. 16f.; Mostert, Wirich von Daun, S. 115–144; ausführlich Mostert, Kloster Saarn, passim.
  13. Müller, Reformation, S. 186.
  14. Vgl. Müller, Reformation, S. 186ff.
  15. Vgl. ebd., S. 84, 117, 143.
  16. Vgl. Horn, Ausstattung, S. 32f.: „aus der (…) Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts (…) sind keine Bildwerke erhalten.“

Nachweise

  1. Kat. Köln 1965, S. 172, Nr. 496.
  2. Kat. Unna 1977, S. 50f., Nr. 94.
  3. Kat. Unna 1983, S. 171, Nr. 20 (B. J[ahn], K. B. H[eppe]).
  4. Kat. Essen 1995, S. 183, mit Abb.
Addenda & Corrigenda (Stand: 14. März 2017):

Übersetzung Inschrift D: streiche "O Herr Gott, herrsche (?)" setze "O Herrgott, steh mir bei". Korrektur nach Heinrich Tiefenbach, Rez. DI 81, in: Beiträge zur Namenforschung 47 (2012), S. 474.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 139 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0013903.