Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 100 St. Gertrud 1521

Beschreibung

Hostienmonstranz. Silber vergoldet, getrieben, gegossen, graviert. Auf dem Stehrand des seitlich geschweiften Sechspassfußes befindet sich ein graviertes Datum (A). Der Fuß ist mit Renaissanceornamenten, darunter eine Schale mit Initialen (B), und Gestalten der Wurzel Jesse graviert. Aus einer sternförmig abgesetzten Fläche erhebt sich der Schaft mit Kapellennodus, in den Statuetten der Heiligen Antonius, Rochus, Cosmas, Damian, Johannes Baptista und Johannes Evangelista eingestellt sind. Auf der Sockelplatte steht in der Mitte ein Glaszylinder, links und rechts daneben befinden sich Figuren der Apostel Petrus und Paulus. Die Platte hat an beiden Seiten rechteckige Ansätze, auf denen sich die Seitenstreben mit den Heiligen Christophorus und Sebastian befinden. Der Glaszylinder und der darauf aufgesetzte dreigeschossige Turm mit der Statuette der heiligen Gertrud sind möglicherweise im 19. Jahrhundert als Ersatz für den ursprünglichen Turm angebracht worden.1)

Die Monstranz gehörte ursprünglich der Pfarrgemeinde St. Gertrud in der Marktkirche. Nach deren Übernahme durch die Protestanten ab 1563 gelangte sie zuerst an die Pfarrkirche St. Johann2) und später in den Schatz der Münsterkirche. Dies ist durch die schwach eingepunzte Nummer an der Zarge belegt.3) Bei der Teilung des Schatzes zwischen den Gemeinden St. Gertrud und St. Johann kam die Monstranz in den 1870er Jahren an ihren heutigen Aufbewahrungsort.4)

Maße: H. 94 cm; Dm. 29 cm (Fuß); Ziffern 0,6 cm; Bu. 0,2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/3]

  1. A

    1521

  2. B

    · A · N · T · R · M ·

Kommentar

Die Initialen werden seit Karl Witte zu ANT(ONIUS) R(OCHUS) M(ITTWEG) aufgelöst.5) Witte gibt an, ein Antonius Mittweg sei um 1500 in den Stiftungsurkunden des Pfarrarchivs von St. Gertrud zu finden, und folgert, dass es sich möglicherweise bei diesem um den Hersteller der Monstranz handelte, oder dass der Goldschmied ein gleichnamiges Mitglied dieser Familie war. Das R löst er unter Hinweis auf die Darstellung des heiligen Rochus im Kapellennodus dementsprechend auf. Tatsächlich sind Angehörige der Familie als Goldschmiede nachweisbar, als erster Johann Mittwech (1500–1559), später Heinrich Mittweg (gest. 1659?), von dem sich vermutlich ein Kelch und eine Patene mit Hausmarke erhalten haben.6) Wittes Hinweise sind recht vage, und auch im Familienarchiv Mittweg finden sich keine weiteren Informationen zu einem Antonius Mittweg; der Name wird von späteren Generationen anscheinend nicht benutzt.7) Gegen Wittes Auflösung der Initialen spricht zudem, dass A, N und T ebenfalls durch Punkte getrennt sind, die Buchstaben gehören kaum zum selben Wort. Die grobe Ausführung der Buchstaben steht im Gegensatz zu der qualitätvollen Goldschmiedearbeit, was zusätzlich gegen die Anbringung durch den Goldschmied spricht. Eine Auflösung der Initialen ist bislang nicht möglich.

Der Aufbau der Monstranz orientiert sich an der 1487 für die Pfarrkirche St. Johann geschaffenen Monstranz.8) Vergleichbar sind v. a. der Kapellennodus und die beiden ansteigenden Sockel der seitlichen Strebepfeilergruppen mit den auf hohen Pfeilern stehenden Heiligen. Möglicherweise bekam der Goldschmied den Auftrag, die Hostienmonstranz aus St. Johann als Vorbild zu nehmen.9)

Anmerkungen

  1. Braun-Balzer, Turmmonstranzen, S. 153. Die Einzelbuchstaben A, B, C, D, E und F an den Pfeilersockeln am Übergang zum zweiten Geschoss sind vermutlich bei dieser Restaurierung angebracht worden. Die Monstranz wurde erst 1890 vollständig vergoldet, vgl. Witte, Monstranz, S. 23.
  2. Witte, Monstranz, S. 21, ohne Quellenbeleg.
  3. Sicher zu erkennen ist allerdings nur 4 und ein senkrechter Strich. Vermutlich war die Zahl 44 eingehauen, das würde jedenfalls zu dem Eintrag im 1797 erstellten Inventar des Münsterschatzes passen: „eine große silberne Monstranz zum Theil vergoldet, welche bei der Solemnen procession in Festo Corporis Christi gebraucht wird“, bei Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, S. 30. Von den heute in der Domschatzkammer aufbewahrten Monstranzen trägt keine die Nummer 44.
  4. Witte, Monstranz, S. 21; zur Aufteilung des Schatzes vgl. Falk, Domschatz, S. 43f.
  5. Witte, Monstranz, S. 22; vorsichtig: Fritz in Kat. Köln 1970, S. 115, Nr. 231, der zudem eine Essener Werkstatt für die hochwertige Arbeit für unwahrscheinlich hält; Burghard, Stadtbürger, S. 136, Anm. 51.
  6. Vgl. Nr. 157; Scheffler, Goldschmiede 1, S. 227.
  7. Vogeler, Familienakten, passim; StadtA Essen, Findbuch zu Bestand 464.
  8. Vgl. Nr. 79.
  9. Braun-Balzer, Turmmonstranzen, S. 157f.

Nachweise

  1. A[…], Kunstschätze, S. 28 (A).
  2. KDM Essen, S. 56 (A).
  3. Witte, Monstranz, S. 21.
  4. Perpeet-Frech, Monstranzen, S. 152, Nr. 4.
  5. Kat. Köln 1970, S. 115, Nr. 231 (J. M. Fritz).
  6. Schulte, Kirchenschatz, S. 53, Nr. 14.
  7. Kat. Essen 1995, S. 170, vgl. dazu Burghard, Stadtbürger, S. 136, Anm. 51.
  8. Braun-Balzer, Turmmonstranzen, S. 152.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 100 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0010005.