Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 90 Domschatzkammer 2. H. 15. Jh.

Beschreibung

Schwertscheide.1) Holz, Goldblech, getrieben, graviert, Silberblech, graviert, Email, Filigran, Edelsteine. Der Holzkern ist von Goldblech umgeben, das mit kunstvoll getriebenen Rankenornamenten und Tierdarstellungen verziert ist. Am Mundblech (das ist die obere Einfassung der Scheide) und am Ortstück (an der Spitze der Scheide) wurden bei Restaurierungsarbeiten im 15. Jahrhundert gravierte Silberbleche befestigt. In die Vorderseite des Ortstücks sind die Heiligen Cosmas und Damian mit Bildbeischriften (A, B) graviert, auf der Rückseite ein stark gewundenes Schriftband mit einer historischen Nachricht (C).

Maße: L. 82,5 cm; B. 8 cm (Scheide); Bu. 0,1 cm (A, B), 0,2 cm (C).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/4]

  1. A

    S(anctus) cosmas

  2. B

    S(anctus) damianus

  3. C

    Gladius cu(m) quo fueru(n)t / decollatia) / p(at)ronib) / n(ost)ri

Übersetzung:

Das Schwert, mit dem unsere Patrone enthauptet wurden. (C)

Kommentar

Die Inschriften sind trotz der geringen Größe sehr sorgfältig ausgeführt. Sie wirken durch die rechtwinkligen Abknickungen (besonders bei c, m, n, p, q, r und u) gitterartig. Die Schrift ist eng verwandt mit den Minuskelbuchstaben der Inschrift Nr. 88, sie hat den gleichen ‚stacheligen‘ Duktus. a ist zweistöckig und kastenförmig ausgeführt. Die Oberlängen von f, l und langem s reichen deutlich über das Mittelband hinaus, bei l in Gladius ist die Oberlänge gespalten. Die Unterlängen gehen unter die Grundlinie, sie sind allerdings weniger deutlich ausgeprägt als die Oberlängen. Die Versalien mit Doppellinien sowie runden und stark gebrochenen oberen Bögen (bzw. bei G mit gebrochenem oberem Bogenabschnitt) legen eine Datierung der Inschrift frühestens in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts nahe.2)

Das im dritten Viertel des 10. Jahrhunderts entstandene Schwert verdankt die aufwendige Ausstattung der Scheide seiner Umwidmung von einer hochwertigen, etwa 20 Jahre lang benutzten Waffe in ein Prunkschwert.3) Die ornamentale Treibarbeit der Schwertscheide und der mit Emails, Goldfiligran und Edelsteinen geschmückte Griff lassen sich vor oder um das Jahr 1000 datieren, woraus sich schließen lässt, dass das Schwert zur Regierungszeit der Äbtissin Mathilde (um 973–1011) in den Besitz des Essener Stifts gelangte.4) Im 15. Jahrhundert wurden das Ortstück und das Mundblech aus Silberblech erneuert, dabei wurden in das Ortstück Heiligenfiguren und Inschriften graviert. Dies ist der erste Beleg für eine Verehrung des Schwerts als Reliquie, die Scheide wurde demnach als Reliquiar betrachtet.5) Die Heiligen Cosmas und Damian sind neben Maria die ersten Patrone des Stifts.6) Auch die Verehrung von städtischer Seite aus ist seit dem 15. Jahrhundert belegt: Das Schwert findet sich sowohl im Briefsiegel der Stadt Essen von 1474 als auch auf der 1483 gegossenen Essener Ratsglocke.7) Bis heute ist das Schwert Bestandteil des Stadtwappens. An seiner Echtheit als Hinrichtungsinstrument wurde allerdings schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts von dem Essener Geschichtsschreiber und Stiftskanoniker Wirich Hiltrop (gest. 1617) gezweifelt. Er berichtet auch, dass die Äbtissin das Schwert als Zeichen „der höheren Würde, der Gerichtsbarkeit und des strengen Regiments“ bei Prozessionen voran trug,8) später schritt der Erbmarschall des Stifts der Äbtissin bei der Fronleichnamsprozession mit dem Schwert voran.9)

Textkritischer Apparat

  1. fuerunt decollati] decollati fuerunt Humann, Arens, Küppers/Mikat, Kat. Essen 1990 1, Kat. Hildesheim 1993 2.
  2. Kürzungsstrich über n.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 13. Bei einer Inventarisierung 1797 wurde an der Vorder- und an der Rückseite des Ortstücks die Zahl 48 eingeschlagen, vgl. Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, S. 31.
  2. Vgl. z. B. die Zusammenstellung der Versalien in DI 73 (Hohenlohekreis), S. 59 (besonders zu Nr. 71).
  3. Geibig, Bestimmungen, S. 83f.
  4. Westermann-Angerhausen, Entstehungszeit, S. 113f.; Kat. Bonn/Essen 2005, S. 269, Nr. 146 (B. F[alk]).
  5. Vgl. Pothmann, Zeremonialschwert, S. 6–11.
  6. Zu Cosmas und Damian vgl. Nr. 20.
  7. Vgl. Nr. 75.
  8. Müller, Geschichtsschreibung, S. 67f.
  9. Pothmann, Zeremonialschwert, S. 8f.; ders., Kirchenschatzverzeichnis, S. 31.

Nachweise

  1. HStAD, Großherzogtum Berg, Nr. 868, S. 125 (C).
  2. aus’m Weerth, Kunstdenkmäler, S. 36, mit Tf. 27,2.
  3. KDM Essen, S. 49, Nr. 8 (C).
  4. Goebel, Münsterkirche, S. 31 (C).
  5. Arens, Siegel, S. 7, Anm. 1.
  6. Humann, Kunstwerke, S. 104 (C), mit Tf. 11.
  7. Arens, Münsterkirche, S. 48 (C).
  8. ders., Liber ordinarius, S. 222.
  9. Mews, „swertteyken“, S. 127 (C).
  10. Messerer, Goldschmiedewerke, S. 20 (C).
  11. Müller, Geschichtsschreibung, S. 84, Anm. 15 (C).
  12. Küppers/Mikat, Münsterschatz, S. 53 (C), mit Übersetzung.
  13. Kat. Essen 1990 1, S. 62, Nr. 41 (C), mit Übersetzung (A. Pothmann).
  14. Kat. Hildesheim 1993 2, S. 388, Nr. VI-54 (C), mit Übersetzung (H. F[illitz]).
  15. Pothmann, Zeremonialschwert, S. 6 (C), mit Abb. 1, 2, S. 19f., und Übersetzung.
  16. ders., Kirchenschatz, S. 153 (C), mit Übersetzung.
  17. Röckelein, Leben, S. 94 (C), mit Übersetzung und Abb. S. 93 (A, B).
  18. Kat. Bonn/Essen 2005, S. 270, Nr. 146 (C), mit Übersetzung (B. F[alk]).
  19. Kat. Magdeburg 2006, S. 44f., Nr. II.1 (C), mit Übersetzung (B. Falk).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 90 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0009007.