Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 83 Rellinghausen, St. Lambertus 1500

Beschreibung

Kreuzglocke. Bronze. Die gerundete Haube ist mit zwei Doppelstegen ausgestattet. Um die Schulter verlaufen einzeilig drei Inschriften mit Anrufung (A), Nomen sacrum (B) und Datum (C). Das Inschriftenband wird oben und unten von je zwei Stegen begleitet, darunter befindet sich ein hängender Palmettenfries mit kleinen Lilien (H. 4 cm). Der Mantel ist mit einem 10,8 cm hohen Kreuzigungsrelief mit Kreuztitulus (D) verziert. Der Wolm ist mit einer Kombination aus fünf Stegen ausgestattet, der Schlagring mit einem Doppelsteg. Die Glocke stürzte 1944 bei dem durch einen Bombentreffer ausgelösten Turmbrand ab. Dabei ist die Flanke gerissen und die Haube teilweise herausgebrochen.1) Die Glocke steht vor der Kirche.

Maße: H. 80 cm; Dm. 92 cm; Bu. 2 cm (A, B, C), 0,1 cm (D).

Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/15]

  1. A

    Salue crux digna ·super omnia ligna benigna ·Tu me consigna · moriar ne morte maligna · 2)

  2. B

    (Jesus) (christus)a) ·

  3. C

    Anno d(omi)ni mo ccccco · · ·

  4. D

    i n r i3)

Übersetzung:

Sei gegrüßt, würdiges Kreuz, gütig über allen Hölzern, segne mich, damit ich nicht eines bösen Todes sterbe (A).

Versmaß: Hexameter, zweisilbig rein zäsur- und endgereimt (‚Unisoni’) (A).

Kommentar

Das Mittelband der Inschrift ist von dünnen Stegen als Linierung gerahmt. Die Gestaltung der Buchstaben und der Worttrenner weist Ähnlichkeit zu der Inschrift der 1522 gegossenen Glocke auf, die sich im Dachreiter des Doms befindet.4) Als Verstrenner wurden vergleichbare fünfblättrige Rosetten verwendet. Der Balken des e ist oben überstehend und oben und unten nach links bzw. nach rechts hakenförmig umgebogen. Der obere Bogen des g ist unten nicht ganz geschlossen, der untere Bogen liegt waagerecht auf der Grundlinie und ist nicht direkt mit dem oberen Bogen verbunden. Die Ausführung des A-Versals ist prinzipiell vergleichbar mit der Gestaltung auf der Glocke von 1522 und weicht nur in kleinen Details davon ab, beispielsweise verläuft der Balken bei der Glocke von 1522 von links unten nach rechts oben, bei dieser Glocke von links oben nach rechts unten. Bei der Rellinghauser Glocke wurden der S-Versal als Schlange und der T-Versal als rundes T gestaltet. Beide Glocken können u. a. wegen der Gestaltung des Frieses und der Versalien als Erzeugnisse aus dem Umfeld einer Nachfolgewerkstatt des Dortmunder Gießers Johann Wynenbrock identifiziert werden.5) Franz Feldens weist auch die 1944 zerstörte und anschließend umgegossene Marienglocke (Nr. 84), die mit dem gleichen Fries verziert war und ebenfalls 1500 gegossen wurde, dieser Werkstatt zu, genau wie eine zerstörte Glocke der Marktkirche.6)

Die beiden Verse der Kreuzanrufung sind in mehreren Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts überliefert, wo sie teilweise bildliche Darstellungen des Kreuzes begleiten oder in Verssammlungen aufgenommen sind.7) Inhaltlich greifen sie die Hymnensequenzen auf, die das Holz des Kreuzes als Lebensbaum thematisieren und dabei Hilfe und Schutz erbitten.8) Die Verse sind leicht abweichend als Inschrift einer 1481 gegossenen, heute aber verlorenen Glocke aus Trier und auf einem verlorenen Andachtsbild (1521?) aus dem Braunschweiger Marienspital überliefert; nur der erste Vers findet sich leicht abweichend auf einer vor 1478 datierten Reliquienmonstranz aus dem Welfenschatz.9) Anrufungen des Kreuzes finden sich verhältnismäßig selten in Glockeninschriften,10) die Bitte um Schutz und Hilfe ist dagegen weiter verbreitet.11)

Textkritischer Apparat

  1. Buchstabenbestand: Jhs xps, auf dem Kopf stehend und rückläufig, mit je einem Kürzungsstrich, s wird für beide Namen verwendet. Fehlt bei Feldens und Potthoff.

Anmerkungen

  1. Schaeben, Denkmalglocken, S. 96, Nr. 3, nennt eine der beiden Rellinghauser Glocken von 1500 (vgl. Nr. 84), ohne dass klar ist, um welche es sich handelt. Er gibt das Gewicht mit ca. 400 kg und den Schlagton as’ an. Beide Glocken waren gleich groß, vgl. Feldens, Glocken, S. 92.
  2. Daniel, Thesaurus 2, S. 317; Chevalier, Repertorium 2, S. 502, Nr. 17869.
  3. Io 19,19.
  4. Vgl. Nr. 101.
  5. Poettgen, Glocke, S. 42 (Glockenregister, Stichwort Rellinghausen); vgl. die Abb. in Dornschneider, St. Patrokli, S. 17f. Ich danke Claus Peter, Hamm, für Erläuterungen zur Dortmunder Werkstatt des Johann Wynenbrock und ihren Nachfolgern.
  6. Feldens, Glocken, S. 92; vgl. Nr. 84, 85.
  7. Strömberg, Manual, S. 17; Schneider, Handschriften Cgm 691–867, S. 399, Nr. 30, S. 452, Nr. 75 (beide Handschriften aus Tegernsee); Schneider, Handschriften Cgm 888–4000, S. 92, Nr. 40; DI 70 (Stadt Trier 1), Nr. 302, Anm. 4.
  8. Vgl. z. B. Analecta Hymnica 53, S. 144, Nr. 82; Analecta Hymnica 54, S. 12, Nr. 6.
  9. DI 70 (Stadt Trier 1), Nr. 302; DI 35 (Stadt Braunschweig 1), Nr. 202, 376 (hier ist für prosodische Korrektheit im ersten Vers quam zu omnia zu emendieren).
  10. Vgl. DI 54 (Landkreis Mergentheim), Nr. 124 (Glocke von 1522 mit der Anrufung o crvx ave spes vnica).
  11. Vgl. z. B. die Glockeninschriften mit Marienanrufungen: Nr. 84, 85.

Nachweise

  1. Feldens, Glocken, S. 92, Nr. 3.
  2. Potthoff, Rellinghausen, S. 47.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 83 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0008309.