Inschriftenkatalog: Stadt Essen
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 81: Stadt Essen (2011)
Nr. 79 Domschatzkammer 1487, 1512
Beschreibung
Hostienmonstranz.1) Silber vergoldet, getrieben, gegossen, graviert. Die Monstranz stammt aus St. Johann. Der Sechspassfuß ist mit Apostelpaaren und Ranken graviert. Unter dem Fuß befinden sich drei eingeritzte Inschriften: Inschrift A mit Auftraggebernennung und Meisterinschrift (?), Inschrift B mit Amtsträgernennung und eine Inschrift des 20. Jahrhunderts.2) Der Ständer ist mit einem Kapellennodus ausgestattet und wird durch einen Trichter in den Aufsatz mit Lunula und Glaszylinder überführt. Links und rechts neben dem Glaszylinder befinden sich Strebepfeilergruppen mit je einer silbernen Statuette (Johannes Baptista links, Maria rechts). Die äußeren Streben sind mit silbernen Statuetten (Cosmas und Damian, Johannes Evangelista und Paulus) verziert. Über dem Glaszylinder erhebt sich hinter einem verschränkten Wimperg- und Fialenkranz eine Kuppel, auf der eine Turmlaube steht. Im Turm steht auf einem Sockel eine silberne Statuette der Muttergottes mit Kind.
Georg Humann berichtet von umfangreichen Restaurierungsmaßnahmen, bei denen u. a. der Glaszylinder anstelle einer flachen Kapsel angebracht und der Turmhelm erneuert wurde.3)
Maße: H. 77 cm; B. 25,7 cm (Fuß); Bu. 0,2 cm.
Schriftart(en): Gotische Bastarda mit Versalien.
- A
Anno M cccclxxx vij / jo(hannes) bedericka) pastor / jo(hannes) hilgehant krichmesterb) / Mester Wolfgang
- B
Mester beṛṇḍ ṿọṇ/ hozeden pastor sancti / Iohaniß an(n)o X V XII
Textkritischer Apparat
- bedrvct Braun-Balzer
- Sic! bruchmester Braun-Balzer.
Anmerkungen
- Inv.-Nr. 27.
- 1326 A Erdmann. Die Inschrift ist trotz der deutlich zu erkennenden Jahreszahl zweifellos im 20. Jh. ausgeführt worden.
- Humann, Kunstwerke, S. 373f.
- Vgl. Glaser/Bornschlegel, Datierungen, S. 532.
- Fritz, Goldschmiedekunst, S. 312, Nr. 905; Perpeet-Frech, Monstranzen, S. 151, Nr. 40; Appuhn, Meister E. S., Nr. 194–196.
- Fritz, Bilder, S. 110f. Vgl. Lehrs, Katalog 2, Nr. 198, Abb. bei Lehrs, Vorlagen, Abb. 1; Appuhn, Meister E. S., Nr. 201.
- Fritz, Goldschmiedekunst, S. 312, Nr. 905.
- Repertorium Germanicum 9,1, Nr. 2697.
- Belege z. B. bei Schaefer/Arens, Urkunden, Nr. 201 (1479 Mai 13), 217 (1492 September 27), 225 (1502 Mai 7).
- Dausend, Sakramentar, S. 19.
- Schroeder, Stadtschreiberbuch, S. 66, 88, 97, 182; Schaefer/Arens, Urkunden, Nr. 194 (1477 September 12), 214 (1490 März 23), 220 (1500 Januar 31); StadtA Essen, Rep. 100, Nr. 184, fol. 32ff. (in den Ratslisten bis 1501).
- Petry, Rechnungen, S. 25. Vgl. Schaefer/Arens, Urkunden, z. B. Nr. 15 (1357 April 20), 24–28 (1373 Januar 22, November 12, 1374 August 21, 1375 März 20, Juli 7), 30 (1376 Februar 22).
- Lange, Neubau, S. 103; auch die Werkmeister des 15. und 16. Jh. werden regelmäßig in den Urkunden des Stifts genannt, vgl. die Registereinträge bei Schaefer/Arens, Urkunden.
- Petry, Rechnungen, S. 38, 42. In den Stadtrechnungen der Jahre 1484, 1487–1489 findet sich allerdings kein Hinweis auf die Bezahlung eines Goldschmieds, vgl. Lux, Stadtrechnungen 2, 835–972.
- Hsia, Gesellschaft, S. 113; Lahrkamp, Führungsschichten, S. 31; Ketteler, Geschlechterkreis, S. 427.
- Steinbicker, Liebfrauen-Bruderschaft, S. 308, Nr. 183.
- Matrikel Köln 2, 1498, 438,58; Matrikel Erfurt 2, 1507, S. 251.
- Zum Gebrauch von Meister bzw. Mester für einen Gelehrten vgl. Lexer, Taschenwörterbuch, S. 137; Grimm, Wörterbuch 12, Sp. 1953, 3c; vgl. auch DI 73 (Hohenlohekreis), Nr. 870, 872.
- Bernd von Hozeden ist nicht als Werkmeister nachweisbar, ab 1514 wird das Amt von dem Kanoniker Adam Inckhausen ausgeübt.
- Schaefer/Arens, Urkunden, Nr. 241 (1508 November 2), 242 (1508 Dezember 11). Prozessakten befinden sich auch im HStAD, Stift Essen, Akten, Nr. 153.
- Schaefer/Arens, Urkunden, Nr. 306 (1535 Oktober 15).
- Humann, Kunstwerke, S. 370. Ihm folgt fast die gesamte Literatur mit Ausnahme von Goebel und Arens, der zwar in seiner in den EB 21 (1901) abgedruckten Untersuchung des Liber ordinarius die korrekte Jahreszahl angibt (S. 99), nicht aber in der 1908 zusammen mit der Edition gedruckten Ausgabe, vgl. Arens, Liber ordinarius, S. 223. Die korrekte Lesung von Inschrift A findet sich bereits im Zettelverzeichnis des Nachlasses Ribbeck im StadtA Essen, Sachkartei, Karton III, Umschlag 483.
- Fritz, Goldschmiedekunst, S. 312, Nr. 905.
- Auch Humann, Kunstwerke, S. 29, vermerkt ihre Zugehörigkeit zu St. Johann. Zu den Schatzinventaren Humann, Kunstwerke, S. 32, Anm. 4; Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, passim.
- MüA, B 322.
Nachweise
- StadtA Essen, Best. 654 (Nachlass Ribbeck), Sachkartei, Karton III, Umschlag 483 (A).
- Braun-Balzer, Turmmonstranzen, S. 149 (A).
Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 79 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0007902.
Kommentar
Für die Inschriften wurde keine typisch epigraphische Schrift, sondern eine Schreibschrift gewählt, deren Ausführung in Metall etwas eckig geraten ist. In Inschrift A sind die Oberlängen als Schlaufen gestaltet, von denen z. T. nur der Abschwung zu erkennen ist. Der Bogen des h ist tief unter die Grundlinie geführt, der untere Bogen des g holt weit nach rechts aus. Das unziale M der Jahreszahl ist links geschlossen, in der Größe aber den restlichen Minuskelbuchstaben der Jahreszahl angepasst. Inschrift B ist von anderer Hand nur sehr dünn eingeritzt. Hier ist die Jahreszahl nach dem Prinzip, die Jahrhunderte mit Multiplikationsfaktor anzugeben, dargestellt.4) Die dünne, an dieser Stelle kaum sichtbare Ausführung lässt ein hochgestelltes c allerdings nicht (mehr?) erkennen.
Die Monstranz lehnt sich im Aufbau an einen Entwurf des Meisters E. S. an.5) Für die gravierten Medaillons mit Darstellungen von Apostelpaaren auf dem Fuß wurden Vorlagenstiche desselben Meisters verwendet.6) Auch Ähnlichkeiten bzw. Übereinstimmungen in Architekturdetails mit Nürnberger Monstranzen legen nahe, dass der Schöpfer der Essener Monstranz auf verbreitete Vorlagen zurückgreifen konnte.7)
Johannes Bederick erhielt 1467 ein Kanonikat und die Pfarrstelle an St. Johann, 1471 wurde ihm das Amt des Küchenmeisters übertragen.8) Sein Name taucht in verschiedenen Schreibweisen mehrfach in Urkunden des Stifts auf.9) In einem Namensverzeichnis aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird sein Tod im Jahre 1507 mitgeteilt.10) Johannes Hilgehant ist von 1477 bis 1502 als Mitglied des Rats der Stadt Essen und als Richter nachweisbar.11) Das Amt des Kirch- oder Werkmeisters der Münsterkirche ist in Urkunden seit der Mitte des 14. Jahrhunderts belegt.12) Es wurde meist doppelt besetzt mit jeweils einem Stiftskanoniker und einem Essener Bürger, was auf ein Mitspracherecht der Stadt wohl aufgrund einer Beteiligung an den Baukosten schließen lässt.13) Die Kirchmeister treten in den Urkunden häufig auch allein auf. Die Mittel der Münsterfabrik dienten nicht nur für Baumaßnahmen der Münsterkirche und angrenzender Gebäude im Stiftsbezirk, bereits 1414 wurde davon auch die Arbeit eines Goldschmieds bezahlt.14) Ein Mester Wolfgang ist bislang weder in der Stiftsüberlieferung noch in Quellen zur Stadt, wie z. B. den Rats- oder Bürgerlisten, aufgetaucht. Es ist anzunehmen, dass es sich hier um den Goldschmied handelt.
Inschrift B wurde 25 Jahre nach Inschrift A eingeritzt. Der hier genannte Bernd von Hozeden entstammte einer im Fernhandel tätigen Münsteraner Familie der Honoratiorenschicht.15) In Münster war er Mitglied der Liebfrauen-Bruderschaft an St. Aegidii.16) Nach einem 1498 aufgenommenen Studium an der Universität Köln, nach dem er den Grad des Magister Artium erlangte, immatrikulierte er sich 1507 an der Universität Erfurt.17) Die Bezeichnung Mester vor seinem Namen bezieht sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf seinen akademischen Grad,18) es ist allerdings bemerkenswert, dass der Titel Mester auf einem Inschriftenträger in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wurde.19) Bernd von Hozeden erwarb 1508 das Kanonikat in Essen und das Pfarramt an St. Johann von dem vorherigen Inhaber dieser Präbenden. In deren Besitz gelangte er allerdings erst nach einem Prozess gegen das Stift. Anschließend übertrug er das Pfarramt für sechs Jahre dem Essener Kanoniker Georg Pelser.20) Bernd von Hozeden starb vor 1535.21)
Die Monstranz wurde bislang aufgrund einer falschen Lesung in das Jahr 1480 datiert und als eine Stiftung der von 1459 bis 1489 amtierenden Äbtissin Sophia von Gleichen angesehen.22) Erst Johann Michael Fritz weist auf die „teilweise schwer lesbaren Namen von Pastoren und Kirchmeistern“ hin und nennt die richtige Jahreszahl.23) Die Inschriften zeigen, dass die Monstranz ursprünglich aus Mitteln der Münsterfabrik und der Pfarrkirche St. Johann für den Gebrauch in letzterer angeschafft wurde. Deshalb ist sie auch nicht in den 1626 und 1798 erstellten Schatzinventaren aufgeführt.24) Spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie vermutlich in der Münsterkirche benutzt. Dies geht daraus hervor, dass der Goldschmied August Witte 1917 dem Kirchenrat der Gemeinde St. Johann die Umwandlung eines Reliquiars in eine Hostienmonstranz anbot, da eine solche zu dieser Zeit in St. Johann anscheinend nicht vorhanden war.25)