Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 59 Domschatzkammer 1385

Beschreibung

Reliquienostensorium.1) Silber vergoldet, getrieben, gegossen, graviert. Der ausladende Fuß aus vier geschweiften Bögen und durchbrochener Zarge läuft in einen sechskantigen Ständer aus. In ein Schriftband auf dem Fuß ist ein Name mit Datum als Stiftervermerk (A) in Kontur vor kreuzschraffiertem Schriftgrund graviert, auf der Vorderseite des Fußes und der Rückseite des sechsseitigen Kapellennodus Einzelbuchstaben (B, C) in Kontur mit Kreuzschraffurfüllung vor glattem Schriftgrund. Die Überleitung in den Oberbau ist mit Weinranken überfangen, links und rechts befindet sich eine Engelsfigur. In der Mitte der Basis ruht auf einer Konsole, die von vier Engeln mit Musikinstrumenten umgeben ist, eine Bergkristallkapsel, in der Herrenreliquien und eine Reliquienauthentik enthalten sind. Die Kapsel wird von Strebewerk begleitet. Darüber erhebt sich ein turmartiger Baldachin. Das unterste Geschoss besteht aus einer über Eck gestellten viereckigen Grundfläche mit Brüstung über vier Kielbögen. Im darüber liegenden Geschoss sind in die vier Fensterbrüstungen Heiligennamen (D–G) graviert, darüber befinden sich Maßwerkfenster, an den Ecken stehen musizierende Engel unter Baldachinen. Im dritten Geschoss steht eine Statuette, darüber befindet sich die Turmspitze mit Kruzifix. Das Ostensorium wurde 1917 von August Witte restauriert.2)

Maße: H. 57,5 cm; B. 37 cm (Fuß); Bu. 0,4 cm (A), 1 cm (B, C), 0,3 cm (D–G).

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/9]

  1. A

    eliz · abet de nassauwe // abb(atiss)aa) essnden(sis)a) · m° c°c°c°lxxxvb)

  2. B

    e

  3. C

    e

  4. D

    s(anctus) geor/gius

  5. E

    s(anctus) (ch)ri/stoforc)

  6. F

    s(ancta) ursu/la

  7. G

    pingn/osa

Übersetzung:

Elisabeth von Nassau, Äbtissin von Essen 1385. (A)

Kommentar

Die Ober- und Unterlängen reichen nicht (besonders in den Inschriften D–E) oder nur wenig über das Mittelband hinaus. Zierformen am e finden sich in den Inschriften A–D, hier ist der Balken zu einem unten nach rechts umgebogenen Schrägstrich reduziert, vereinzelt ist der Schrägstrich auch am oberen Ende nach links eingerollt. In den Inschriften D–F sind die Buchstaben f, g, r und t mit angesetzten Zierstrichen, die sich unten nach rechts einrollen, gestaltet. Auffällig ist die Platzierung der hochgestellten o in der Jahreszahl, beim m steht es über dem zweiten Bogen, bei den c über der Knickstelle des oberen gebrochenen Bogenabschnitts. Die Worttrenner in Inschrift A sind rautenförmig, der Worttrenner mitten im Stifternamen ist ungewöhnlich.

In Inschrift E wird das griechische Christusmonogramm xp als Ersatz für die lateinischen Buchstaben ch benutzt, d. h. r kommt doppelt vor, als griechisches p und als lateinisches r . Diese Schreibweise ist auch an der Essener Glocke aus dem Ende des 13. Jahrhunderts zu beobachten.3)

Bei den beiden Minuskel-e (B, C) am Fuß und am Knauf handelt es sich vielleicht um außergewöhnlich ornamental ausgeführte Versatzmarken. Solche Zeichen wurden in Architektur und Goldschmiedekunst benutzt, um Einzelteile richtig zusammenzusetzen.4) Hier wurde der Nodus anscheinend um 180° verdreht montiert, vielleicht bei einer späteren Reinigung oder Reparatur des Objekts. Die Verwendung von e steht wohl im Zusammenhang mit dem Namen der Stifterin Elisabeth von Nassau.

Die heilige Pinnosa wurde bereits im 10. Jahrhundert in Essen besonders verehrt.5) Ihre Reliquien kamen sicher gemeinsam mit Reliquien der heiligen Ursula aus Köln nach Essen. Die ungewöhnliche, bis jetzt an anderer Stelle nicht belegte Schreibweise pingnosa statt Pinnosa in Inschrift G hängt mit der Velarisierung des Lautwertes 〈n〉 zusammen, die im Frühneuhochdeutschen im main- und rheinfränkischen Gebiet für einige Dialekte belegt ist.6) Reliquien der Heiligen Georg und Christophorus sind bereits im 11. Jahrhundert inschriftlich im Stift Essen nachgewiesen.7)

Elisabeth von Nassau wurde am 26. März 1370 zur Äbtissin gewählt.8) In ihre Amtszeit fielen Auseinandersetzungen mit der Stadt um die Frage der Landesherrschaft und mit dem Kölner Erzbischof Friedrich von Saarwerden, der vergeblich das kirchliche Aufsichtsrecht über das Stift beanspruchte.9) Die von dieser Äbtissin angestoßene Neuordnung der Verwaltung der Stiftsgüter spiegelt sich in der Anlage eines Güterverzeichnisses, des sog. Liber catenatus, wider. Von ihrer Absicht, auch innerhalb des Kapitels Missstände zu beseitigen, zeugt der Erlass neuer Statuten für das Kanonikerkapitel.10) Sie starb am 30. Dezember 1412 und wurde vor dem Elisabethaltar bestattet.11)

Textkritischer Apparat

  1. Ohne Kürzungszeichen.
  2. Endungs-o jeweils etwas links versetzt über die drei c gesetzt.
  3. Sic! Buchstabenbestand in griechischen und lateinischen Buchstaben: xpri/stofor.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 26. Bei einer Inventarisierung 1797 wurde die Zahl 55 auf dem Fuß eingeschlagen, vgl. Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, S. 31. Das Ostensorium ist im Reliquienverzeichnis von 1626 aufgenommen, vgl. Humann, Kunstwerke, S. 35, Nr. 51.
  2. MüA, B 322.
  3. Vgl. Nr. 47.
  4. Vgl. auch Nr. 57.
  5. Röckelein, Leben, S. 98f. Vgl. Nr. 20, 73, 162.
  6. Ebert, Grammatik, S. 145. Velarisierung bedeutet, dass bestimmte Konsonanten hinten im Rachen oder am Gaumen artikuliert werden, was sich dann auch in der Schreibweise widerspiegelt. Ein weiteres Beispiel für dieses Phänomen ist die Umformung von Severinus zu Frings im kölnischen Dialekt.
  7. Vgl. Nr. 14, 17.
  8. Seemann, Aebtissinnen, S. 13.
  9. Ribbeck, Geschichte, S. 300f. Im Mai 1382 bestätigte Papst Urban VI. die Exemtion des Stifts.
  10. Eger, Herrscherinnen, S. 117.
  11. HAStK, Best. 1039 (Farragines Gelenii) 8, fol. 483r; Ribbeck, Geschichte, S. 341.

Nachweise

  1. KDM Essen, S. 51, Nr. 21 (A).
  2. Goebel, Münsterkirche, S. 41 (A).
  3. Humann, Kunstwerke, S. 326 (A), S. 329 (B, C), mit Tf. 47.
  4. Arens, Münsterkirche, S. 63 (A).
  5. Ribbeck, Geschichte, S. 340 (A).
  6. Küppers/Mikat, Münsterschatz, S. 88, mit Tf. 44 (A).
  7. Küppers, Essen, S. 74 (A), mit Abb.
  8. Kat. Köln 1978 1, S. 199 (A).
  9. Kat. Hamm 2006, S. 118ff., Nr. 35 (B. Falk) (A).
  10. Kat. Essen 2009, S. 120, Nr. 43 (S. Hermann) (A).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 59 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0005900.