Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 34 Domschatzkammer 11. Jh.

Beschreibung

Rundes Altarsepulchrum mit Deckel.1) Blei. Die Dose und der Deckel sind dickwandig und aus je einem Stück getrieben. In die Innenseite des Deckels ist ein Reliquienverzeichnis (A), in die Außenseite ein Heiligenname wohl als Altarzugehörigkeitsvermerk (B) eingeritzt, dazu findet sich am Rand der Dose eine ebenfalls eingeritzte römische Zahl (C). In dem Behältnis befinden sich in Stoff eingewickelte, z. T. vergangene Reliquien. Es war ursprünglich wahrscheinlich im Altar des heiligen Stephanus im südlichen Querhaus eingelassen, der nach der Säkularisation abgebrochen wurde.

Maße: H. 2,2 cm; Dm. 8,2 cm (Dose); H. 0,6 cm; Dm. 8,4 cm (Deckel); Bu. 0,2 cm (A), 0,4 cm (B), 0,3 cm (C).

Schriftart(en): Karolingische Minuskel mit Versalien (A), Kapitalis (B).

Domschatz Essen [1/1]

  1. A

    Reliquię s(an)c(t)or(um) m(a)r(tyrum) / Stephani p(ro)tom(artyris) · Laurentii · / ypoliti · Cyriaci · pancratii · / Sixti p(a)p(e) · Tyburtii · Ste/phani p(a)p(e) · Romani militis · / Vincentii ·

  2. B

    P(RO)TOMAR(TYRIS)2)

  3. C

    VI

Übersetzung:

Reliquien der heiligen Märtyrer Stephanus, des Erzmärtyrers, Laurentius, Hippolyt, Cyriacus, Pankratius, des Papstes Sixtus, Tiburtius, des Papstes Stephanus, des Soldaten Romanus, Vincentius. (A) Erzmärtyrer. (B)

Kommentar

Inschrift A ist so tief graviert, dass das Blei an den Buchstabenrändern Grate bildet. Die Schriftausführung wirkt eckig, die Schwierigkeiten des Schreibers oder der Schreiberin mit dem Material Blei sind sichtbar, z. B. an der e caudata, deren Häkchen verrutscht aussieht. Die Ausführung von Inschrift A ist im Vergleich zu den Minuskelinschriften der anderen Essener Altarsepulchren aus dem 11. Jahrhundert etwas schmaler und gedrängter. Als Worttrenner wurden Punkte verwendet. Die tief eingeritzte, eckige Ausführung ist auch bei den Minuskelinschriften in Nr. 30, 31, 32, 33 festzustellen. Im Gegensatz dazu sind die Minuskelinschriften in Nr. 11, 17 und 29 weniger tief und flüssiger geschrieben. Trotz dieser Unterschiede weisen alle diese Inschriften charakteristische Gemeinsamkeiten auf, z. B. R mit stachelförmiger Cauda, deutliche Ober- und Unterlängen bei h, l, p, Schaft-s und y, im Mittelband stehendes t sowie einfacher Punkt über y. Auch die -orum-Kürzungen, bei denen der wenig ausgeprägte Bogen des mit dem o ligierten r direkt auf die Cauda stößt, sind gleich gestaltet.3) Die Inschrift B auf der Außenseite des Deckels markiert vielleicht die ehemalige Zugehörigkeit zum Altar des Erzmärtyrers Stephanus, in dem sich auch Reliquien des heiligen Laurentius befanden. Eine sichere Datierung von B ist nicht möglich, die flüchtige Ausführung der Schrift ist aber vergleichbar mit der ebenfalls an der Außenseite angebrachten Inschrift in Nr. 35. Auch wenn der Schriftduktus nicht mit dem der Inschrift auf der Außenseite von Nr. 17 übereinstimmt, soll doch eine Datierung ins 11. Jahrhundert vorgeschlagen werden. Dafür sprechen die sich schneidenden Schrägschäfte des M und die Nähe zur Inschrift Nr. 35, die allerdings ebenfalls nur unter Vorbehalt ins 11. Jahrhundert eingeordnet werden kann.

Eine römische Zahl wie in Inschrift B wurde auch in die Ecke einer Außenseite des Altarsepulchrums Nr. 51 geritzt. Eine Datierung ist nicht möglich, und auch die Bedeutung dieser römischen Zahlen an den Essener Altarsepulchren ist nicht geklärt.4)

Bei den genannten Heiligen handelt es sich ausnahmslos um römische Märtyrer.5) Ihre Festtage sind in den Essener Kalendarien des 10. Jahrhunderts eingetragen, zu Stephanus und Laurentius waren zudem liturgische Texte im Stift vorhanden.6) Reliquien dieser beiden Heiligen befanden sich in dem 1336 erstmals genannten Altar; das Stift zählte zudem einen Stein von der Steinigung des heiligen Stephanus zu seinem Reliquienschatz.7) Reliquien des heiligen Hippolyt waren seit 870 in der Frauengemeinschaft Gerresheim vorhanden, von wo aus sie im ersten Viertel des 10. Jahrhunderts nach Köln kamen. Auch das Kloster Werden war seit 875 im Besitz von Reliquien dieses Heiligen.8) Eine direkte Verbindung zwischen den Stiften Essen und Gerresheim bestand während des Abbatiats von Theophanu (1039–1058), die beiden Frauengemeinschaften vorstand. Reliquien der heiligen Cyriacus und Pancratius waren laut der Altarinschrift auch im Jacobusaltar in der Krypta enthalten.9)

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 226 (E/r3).
  2. Die Auflösung der Abkürzung als Genitiv ist denkbar, vgl. Nr. 51 und Nr. 52, möglich ist aber auch der Nominativ, vgl. Nr. 29.
  3. Bei Nr. 17, 30, 32, 33.
  4. Röckelein, Reliquienbehältnisse, S. 123.
  5. Dies., Kult, S. 59.
  6. Bodarwé, Martyrs, S. 302; dies., Sanctimoniales, S. 390f., 394, 404; Röckelein, Reliquienbehältnisse, S. 142.
  7. Arens, Liber ordinarius, S. 27; Reliquienverzeichnis von 1626 bei Humann, Kunstwerke, S. 36.
  8. Ilisch/Kösters, Patrozinien, S. 309.
  9. Vgl. Nr. 14.

Nachweise

  1. Bodarwé, Martyrs, S. 359 (A).
  2. dies., Sanctimoniales, S. 202, Anm. 50 (B).
  3. Röckelein, Reliquienbehältnisse, S. 142, mit Abb. 10, S. 130.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 34 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0003406.