Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 9† Domschatzkammer nach 982/983–1011 oder nach 982/983–1058

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Reliquienschrein (sog. Marsusschrein). Gold, Silber, Kupfer, Email, Edelsteine, Perlen.1) In dem ursprünglich als Sammelreliquiar konzipierten Schrein waren Reliquien mehrerer Heiliger enthalten.2) Erst Quellen aus dem 17. Jahrhundert sprechen von einem Schrein für Reliquien des heiligen Marsus3) bzw. für Reliquien der Heiligen Marsus und Liuttrudis.4) Die ältesten Überlieferungen der Inschriften stammen aus dem 17. Jahrhundert.5)

Der Kölner Kanoniker und Historiograph Aegidius Gelenius sah den Schrein anlässlich der großen Reliquienprozessionen 1634 in Köln vermutlich mit eigenen Augen und bemühte sich um die korrekte Wiedergabe der Inschriften mit Kennzeichnung der Fehlstellen.6) Deshalb wird seiner Überlieferung der größte Zeugniswert zugesprochen. Gelenius überliefert Inschrift A (Stiftervermerk mit Gedenkinschrift) mit einem vertauschten Halbvers und den verstümmelten Versen 5 und 6 sowie den Stiftervermerk B, den er in zwei zweizeiligen Spalten mit einer Lücke in der Mitte wiedergibt. Außerdem teilt er die Existenz einer griechischen Inschrift und einer „effigies Ottonis II. Imperatoris“ in einem Medaillon mit. Aloys Maciejczyk und nach ihm Werner Ohnsorge und Otto Kresten haben diese griechische Inschrift als Beischrift eines byzantinischen Kaisersiegels erkannt,7) folglich muss es sich bei der Darstellung um einen byzantinischen Kaiser gehandelt haben, den Gelenius irrtümlich als Otto II. identifiziert hat. Zur Gestaltung des Schreins werden darüber hinaus keine Angaben gemacht. Die Einschmelzung der Beschläge des Schreins ergab insgesamt mehr als 12 Pfund Gold und etwa 6 Pfund Silber.8) Etwas weniger als die Hälfte des Goldes stammt vom „Schmelzwerk“, d. h. es diente Emailplatten als Rezipient des Glasflusses. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass der Schrein reich mit Email verziert war.9)

Die Überlieferung der Inschriften A und C (Widmung und Stiftervermerk) in Gabriel Bucelinus’ 1662 gedrucktem Werk „Germania ... sacra et profana …“10) basiert vermutlich auf Informationen, die ihm der Werdener Konventuale Gregor Overham zukommen ließ.11) Overham gibt diese beiden Inschriften mit leichten Abweichungen zu Bucelinus in seinen Annalen wieder.12) Beide Autoren überliefern im Unterschied zu Gelenius die Inschrift A mit fünf vollständigen Versen sowie die Inschrift C, die bei Gelenius ganz fehlt. Möglicherweise konnte Overham auf eine schriftliche Überlieferung der Inschriften zurückgreifen, welche die vermutlich 1634 nicht mehr vorhandene Inschrift C enthielt.

Näher an der Überlieferung von Gelenius ist der Wortlaut der Inschrift A, den Bucelinus an Daniel Papebroch, den Bearbeiter der Acta Sanctorum, lieferte.13) Die Inschrift ist hier, wie in Bucelinus’ Druck von 1662, vollständig mit fünf Versen wiedergegeben, der Text weicht aber in Details von dieser Druckversion ab. Wegen der Nähe zu Gelenius wird der Überlieferung von Inschrift A in den Acta Sanctorum mehr Gewicht beigemessen als Bucelinus’ Druckversion. Der Editionstext wurde auf Grundlage der Überlieferung von Gelenius erstellt und mit der darüber hinaus gehenden Überlieferung in den Acta Sanctorum ergänzt bzw. in den Versen 3 und 5 von Inschrift A emendiert. Der Text von Inschrift C basiert auf der Überlieferung von Bucelinus.

Der Schrein wurde 1794 auf Anordnung von Äbtissin Maria Cunigunda von Sachsen in seine Einzelteile zerlegt, um ihn vor den französischen Truppen in Sicherheit bringen zu können.14) Da 1797 eine Rekonstruktion nicht möglich war, wurden die Einzelteile eingeschmolzen.

Nach Gelenius (A, B; A ergänzt nach AASS) und Bucelinus (C).

Maße: H. ca. 60 cm; L. ca. 160 cm.15)

  1. A

    Hoc opus eximium16) gemmis auroque17) decorumMathildis vouit Theophanva) quod bene soluitb)Abbatissa bonac) Mathildt haecd) crysea donaRegi dans regum quae rese) deposcit in aevumf)Spiritus Ottonis pausetg) coelestibus orish)18)

  2. B

    Domina / Mathildt // me fieri / iussit

  3. C

    Hocce decus gemmis Cosma Damianeque vobisFecit Mathildis mercansi) aeterna caducisj)Theophanu caelis [ – – –

Übersetzung:

Dieses hervorragende, mit Edelsteinen und Gold geschmückte Werk gelobte Mathilde, und Theophanu hat es wunderbar bezahlt. Die vorbildliche Äbtissin Mathilde gab dieses goldene Geschenk dem König der Könige. Dieser Gegenstand (d. h. der Schrein) drückt das Anliegen aus, dass die Seele Ottos ewig in den himmlischen Gefilden ruhen möge. (A)

Oder:

Dieses hervorragende Werk der Mathilde, geschmückt mit Edelsteinen und Gold, hat Theophanu gelobt, es hat die gute Äbtissin Mathilde wunderbar eingelöst, indem sie dieses goldene Geschenk dem König der Könige gab. Dieser Gegenstand (d. h. der Schrein) drückt das Anliegen aus, dass die Seele Ottos ewig in den himmlischen Gefilden ruhen möge. (A)

Domina Mathilde befahl, mich zu machen. (B) Diesen Schmuck aus Gemmen hat Mathilde für euch, Cosmas und Damian, gemacht, indem sie das Vergängliche gegen die Ewigkeit eintauscht (…). (C)

Versmaß: Hexameter, leoninisch ein- und zweisilbig rein und assonierend gereimt (A). Hexameter, einsilbig rein zäsur- und endgereimt (‚Unisoni’)(C).

Kommentar

Die Übersetzung von Inschrift A machte aufgrund der unklaren Bezüge bereits den Geschichtsschreibern des 17. Jahrhunderts Probleme. Dies geht aus der unterschiedlichen Zeichensetzung19) und den verschiedenen Endungen von Theophanu in den ältesten Überlieferungen hervor: Gelenius:20) Hoc opus eximium, gemmis auroque decorum: Mathildis vouit, Theophanv quod bene solvit (Dieses … Werk, …: Mathilde hat es gelobt, das hat Theophanu angemessen eingelöst); Overham21) und Bucelinus:22) Hoc opus … Mechtildis vovit, quae Theophanou (Bucelinus: Theophanum) quoque solvit: (Mathilde, die auch Theophanu ausgelöst hat, hat dieses Werk gelobt); Acta Sanctorum:23) Hoc opus … Mathildis vovit Theophano, quod bene solvit Abbatissa bona Mathildt (Mathilde hat Theophanu dieses Werk gelobt, das von der guten Äbtissin Mathilde eingelöst wurde). ‚Vovere’ wird in sakralem Kontext allerdings vor allem in Bezug auf Gott gebraucht, weshalb diese Interpretation, die Theophanu als Empfängerin des Gelübdes sieht, unpassend erscheint.24) Der erste Übersetzungsvorschlag bezieht sich auf die Überlieferung von Gelenius, die als die vertrauenswürdigste eingestuft wird.

Denkbar wäre auch, dass Mathildis in der zweiten Zeile als Genitiv zu hoc opus steht, d. h. dass Theophanu ursprünglich dieses Werk (der für die Ausführung hauptsächlich verantwortlichen Mathilde) gelobt hat, und dass die Äbtissin Mathilde, die damit zweimal erwähnt wird, es schließlich bezahlt hat. Auf dieser Zuordnung basiert der zweite Übersetzungsvorschlag.25)

Auch über die Identifizierung der inschriftlich genannten Personen herrscht keine Einigkeit. Gelenius bezeichnet den Schrein als Geschenk Kaiser Ottos und seiner Ehefrau Theophanu, der während des Abbatiats ihrer Tochter Mathilde dem Stift Essen übergeben worden sei.26) Auch Bucelinus hält die Essener Äbtissin für die Tochter des Kaiserpaares und sieht in ihr die Stifterin des Schreins.27) Allerdings wird bereits von Overham und in den Acta Sanctorum auf die Verwechslung der Kaisertochter Mathilde mit der Essener Äbtissin hingewiesen.28) Die Kaisertochter wurde zwar in Essen erzogen und sollte dort vermutlich auch Äbtissin werden, heiratete aber um 991 den Pfalzgrafen Ezzo von Lothringen und trat ab 1024 besonders als Förderin des von ihr und Ezzo gestifteten Klosters Brauweiler hervor.29) Dieser Verbindung entstammte die Essener Äbtissin Theophanu.

Nach dem Hinweis auf die zwei Frauen mit dem Namen Mathilde wird in den Acta Sanctorum geschlussfolgert, dass die Inschriften am Marsusschrein beide Mathilden nennen: die Pfalzgräfin Mathildis, Tochter der Kaiserin Theophanu, welche die Stiftung des Schreins gelobt, und die bona abbatissa Mathildt, die ihn einlöst.30) Diese Interpretation würde auch die unterschiedliche Schreibweise der Namen Mathildis / Mathildt und die für eine Essener Äbtissin ganz untypische Bezeichnung als Domina in Inschrift B erklären.31) Die Identifizierung der Domina Mathildt mit der Pfalzgräfin wurde 1874 von Wilhelm Tönnissen aufgegriffen.32) Er sah in dem Schrein ein von der Pfalzgräfin gelobtes Geschenk, das von ihrer Tochter, der Äbtissin Theophanu, schließlich eingelöst wurde. Gegen eine Beteiligung der Pfalzgräfin spricht allerdings, dass nach ihrer Heirat mit Ezzo keinerlei Verbindungen zum Essener Stift mehr belegt sind. Ihr Engagement richtete sich offensichtlich ganz auf ihre Stiftung Brauweiler.33) Trotz der nicht gelösten Probleme (die unterschiedliche Namensschreibweise und die Bezeichnung als Domina) ist es am wahrscheinlichsten, dass die Inschrift die Essener Äbtissin Mathilde bezeichnet.34) Auf die wichtige Rolle einer Mathilde weist neben Inschrift A besonders auch der Stiftervermerk B hin.

Problematisch bleibt vor allem die Identifizierung von Theophanu. In den ältesten Überlieferungen von Gelenius und Bucelinus wurde der Schrein stets in Verbindung mit der Kaiserin Theophanu gebracht. Erst Jodocus Nünning, dem die Acta Sanctorum und das Werk von Bucelinus vorlagen, ordnet den Schrein der Amtszeit der Äbtissin Theophanu zu.35) So werden die Inschriften auch von Georg Humann interpretiert, der die Äbtissin Mathilde als Stifterin ansieht und die Vollendung des Schreins der Äbtissin Theophanu zuschreibt.36) Dieser Zuordnung wurde bis in die jüngste Zeit nicht widersprochen.37)

Erst Christina Nielsen und Klaus Gereon Beuckers stellen diese Identifizierungen wieder infrage.38) Beuckers weist darauf hin, dass der Schrein bei dieser Interpretation der Inschriften nach der Initiierung durch die Äbtissin Mathilde mindestens 28 Jahre, vom Tod Mathildes 1011 bis zum Abbatiat Theophanus 1039, unvollendet geblieben wäre. Er hält es für unwahrscheinlich, dass Mathildes Nachfolgerin als Essener Äbtissin, Sophia, seit 1002 Äbtissin von Gandersheim und eine Tochter Ottos II. und Theophanus, dieses für die Memoria ihres Vaters bestimmte Kunstwerk nicht vollendet hätte. Folgt man dem zweiten Übersetzungsvorschlag und den Überlegungen von Nielsen und Beuckers, dann sind die an der Stiftung beteiligen Personen als Äbtissin Mathilde und Kaiserin Theophanu zu identifizieren; es läge folglich keine lange Zeitspanne zwischen der Initiierung des Schreins und der Vollendung. Die Kaiserin Theophanu wird in ihren Inschriften normalerweise mit ihrem Titel gekennzeichnet, genau wie die Könige und Kaiser der ottonischen Familie.39) Dass dies hier nicht der Fall ist, könnte mit der metrischen Form der Inschrift erklärt werden.

Die Identifizierung des in Inschrift A genannten Otto ist weniger umstritten; seit Gelenius wird allgemein angenommen, dass die Rede von Kaiser Otto II. ist. Allerdings wird bereits in den Acta Sanctorum auch die Überlegung geäußert, dass es sich um Kaiser Otto III. handeln könnte, der die Überführung der Marsusreliquien nach Essen vermittelt hatte.40) Auch Georg Humann schlägt vor, in der von Gelenius genannten „effigies“ ein Bildnis des Kaisers Ottos III. zu sehen.41) Er begründet seine Vermutung mit der engen Beziehung Ottos III. zu Essen und zur Äbtissin Mathilde, die beispielsweise durch Ottos Schenkungen an das Stift belegt sind. Darüber hinaus bezweifelt er, dass Mathilde am Ende ihrer Amtszeit, an das Humann die Stiftung des Schreins datiert, ein Memorialobjekt für den 983 verstorbenen Otto II. initiierte; er hält es für naheliegender, dass Mathilde den Schrein für den 1002 verstorbenen Otto III. anfertigen ließ. Beuckers argumentiert gegen diese Identifizierung u. a. mit der politischen Situation nach dem Tod Ottos III:42) Mit der Wahl Heinrichs II. wurde ein Konkurrent der schwäbischen Linie der Ottonen König, der daraufhin Anspruch auf das Erbe dieser Familie erhob, deren letzte Vertreterin Mathilde war. Damit hätte die Essener Äbtissin die finanziellen Mittel zur Fertigstellung ihrer Essener Stiftungen verloren bzw. wäre jedenfalls nicht mehr in der Lage gewesen, den Schrein in Auftrag zu geben.

Obwohl die von Gelenius erwähnte „effigies Ottonis II Imperatoris“ nicht den ottonischen Kaiser zeigte, sondern als byzantinisches Siegel identifiziert wurde,43) kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Schrein mit einer Darstellung Ottos II. geschmückt war. Die Existenz zweier Bilder ottonischer Kaiser ist durch Aufzeichnungen belegt, die anlässlich der Inventarisierung des Stiftsschatzes und des in seine Einzelteile zerlegten Marsusschreins angefertigt wurden.44) Diese Einzelteile lagen zusammen mit anderen Objekten aus dem Schatz, z. B. dem Theophanu-Evangeliar und eben einem „mit einem goldenen Rand und Steinen verzierte[n] Brustbild des Kaisers Otto in Emaille“ und einem „große[n] Glas mit Edelsteinen und Bild Ottos II.“, in einer Truhe. Dem Schriftstück ist allerdings nicht zu entnehmen, ob diese Emailbilder ursprünglich Teil des Schreins waren, es scheint eher so, als wären sie unabhängig von den Einzelteilen des Schreins in die Truhe gelegt worden.

Folgt man dem ersten Übersetzungsvorschlag, kann allerdings auch nicht ganz ausgeschlossen werden, dass es sich bei dem Schrein ursprünglich um eine von der Äbtissin Mathilde für die Memoria ihres 982 verstorbenen Bruders Otto initiierte Stiftung gehandelt hat. Die Betonung von Mathildes Stiftungstätigkeit in allen drei Inschriften lässt den Schluss zu, dass der Schrein bereits weitgehend fertiggestellt war, bevor die Äbtissin Theophanu ihn vollenden ließ. Theophanu unternahm während ihrer Amtszeit anscheinend den Versuch, eine besondere Verehrung ihrer Vorgängerin Mathilde anzustoßen45), und ließ in diesem Zusammenhang z. B. den von Mathilde begonnenen Westbau vollenden46). Möglicherweise gehörte auch der Schrein zu den während Mathildes Amtszeit begonnenen Objekten, die erst unter Theophanu fertiggestellt wurden. Wenn es sich bei Otto nicht um den Kaiser Otto II. gehandelt hat, könnte damit das Desinteresse der Äbtissin Sophia an dem Schrein erklärt werden. Allerdings steht auch Äbtissin Theophanu in keiner Beziehung zu Herzog Otto.

Die beiden Übersetzungsversuche von Inschrift A und die vorgeschlagenen Interpretationen des Inschriftenprogramms bieten keine hinreichende Erklärung des Stiftungszusammenhangs. Sicher ist, dass die Essener Äbtissin Mathilde maßgeblich an der Stiftung des Schreins beteiligt war. Es ist aber letztendlich nicht zweifelsfrei geklärt, ob die von ihr stark geförderte Stiftung ursprünglich eine Idee der Kaiserin Theophanu war oder von der Äbtissin Theophanu vollendet wurde. Die Identifizierung Ottos mit dem Kaiser Otto II. ist wahrscheinlich, aber ebenfalls nicht mit Gewissheit festzustellen.

Zur Datierung können aufgrund der geschilderten offenen Fragen nur Vorschläge gemacht werden, die sich an den Interpretationsmöglichkeiten der Inschriften orientieren. Der Schrein wurde sicher während des Abbatiats der Äbtissin Mathilde begonnen, entweder nach dem Tod des Kaisers Otto II. (gest. 983) oder nach dem ihres Bruders Otto, Herzog von Schwaben und Bayern (gest. 982). Wird mit Theophanu die Kaiserin identifiziert, müsste der Schrein noch in Mathildes Amtszeit (bis 1011) vollendet gewesen sein. Folgt man dagegen dem ersten Übersetzungsvorschlag, dann handelt es sich bei der genannten Theophanu um die Essener Äbtissin; der Schrein wäre demnach in ihrer Amtszeit (1039–1058) fertiggestellt worden.

Trotz dieser Probleme bei der Übersetzung und der Interpretation der Inschriften geht die Intention des Schreins, das Gedächtnis an die genannten Personen zu sichern, aus den Namensnennungen in den drei Inschriften deutlich hervor. Die Verdienste von Mathilde und Theophanu sind durch die Stiftervermerke festgehalten. Für Mathilde wird präzisiert, dass sie das Vergängliche, ihre finanziellen Mittel für die Stiftung des Schreins, gegen die Ewigkeit eintauscht, und für Otto wird die Bitte geäußert, er möge im Himmel ruhen.47)

Beuckers, der von einer Initiierung des Schreins durch die Kaiserin Theophanu ausgeht, sieht in ihm die Einlösung eines Versprechens der Äbtissin Mathilde an die Kaiserin Theophanu (gest. 991), in Essen einen Ort für die Memoria des 983 in Rom verstorbenen und dort begrabenen Otto II. einzurichten.48) Er vermutet, dass Mathilde die Herstellung des Schreins erst in Auftrag geben konnte, als sie durch Vermittlung Ottos III. zwischen 999 und 1002 in den Besitz von Reliquien des heiligen Marsus gelangt war.49) Vielleicht war die Übertragung der Reliquien des Heiligen nach Essen der Auslöser für die Äbtissin Mathilde, ein Kunstwerk mit Memorialcharakter für Otto zu stiften.50) So können die Hinweise in zwei vermutlich im 12. Jahrhundert verfassten hagiographischen Texten, der Brevis vita s. Marsi und dem Transitus s. Marsi, verstanden werden.51) Sie stellen die Translation der Reliquien des heiligen Marsus und ihre Bergung in einem von der Äbtissin Mathilde gestifteten Schrein in engen Zusammenhang.52) Hier wird auch von der Aufstellung des Schreins hinter dem Hochaltar berichtet, wo er sich auch im 17. Jahrhundert noch befand.53) Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass der Schrein bereits vor der Translation der Heiligen nach Essen hergestellt wurde, denn es fällt auf, dass Marsus und Liuttrudis nicht inschriftlich erwähnt sind. Aus Inschrift C geht klar hervor, dass der Schrein den Stiftspatronen Cosmas und Damian gewidmet ist,54) als Adressat des Kunstwerkes wird Christus, mit paronomastischem Intensitätsgenitiv rex regum, genannt.

Textkritischer Apparat

  1. Theophanou Overham, AASS Mai 5, Theophanum Bucelinus, Theophana Seemann.
  2. Mechtildis vovit, quae Theophanou quoque solvit. Overham, Bucelinus. Bucelinus bringt Theophanum. Mechthildis vovit Theophanu sic quoque solvit aus’m Weerth.
  3. Abbatissa bona] Abbatisse bone Seemann; Regi dans regum (sic!) Gelenius.
  4. haec fehlt bei Overham und Bucelinus.
  5. rex Overham, Bucelinus, aus’m Weerth. Möglicherweise zu quaere(n)s zu emendieren, zu übersetzen wäre dann „es (das goldene Geschenk) drückt suchend das Anliegen aus, dass die Seele Ottos ewig in den himmlischen Gefilden ruhen möge“. Freundlicher Hinweis von Harald Drös, Heidelberg.
  6. Gelenius hat von dem ganzen Vers etwa an der Stelle von regum nur ...vm. Die Ergänzung erfolgt nach AASS.
  7. pascit Overham, Bucelinus; posuit aus’m Weerth.
  8. Gelenius überliefert vom letzten Wort nach einer längeren Leerstelle nach coelestibus nur o.
  9. mereans KDM Essen.
  10. Der Gedanke „das Vergängliche mit der Ewigkeit tauschen“ wird meist im Hinblick auf den Tod und die Hoffnung auf Auferstehung verwendet, vgl. Nr. 4, Vers 25, und Nr. 145.

Anmerkungen

  1. Wilkes, Geschichte, S. 69.
  2. Vgl. die Auflistung der Reliquien bei Müller, Geschichtsschreibung, S. 44.
  3. Overham, Annalen, S. 66; Bucelinus, Germania 2, S. 143.
  4. Gelenius, Colonia, S. 48f.
  5. Die Überlieferungen und ihre Abhängigkeiten werden bei Beuckers, Marsusschrein, S. 35–43, dargestellt.
  6. Gelenius, Colonia, S. 49f.
  7. Maciejczyk, Bild, passim; Ohnsorge, Rotulus-Bulle, passim; Kresten, Correctiunculae, S. 148–153. Gelenius überliefert die griechische Inschrift blockartig zu beiden Seiten einer „effigies Ottonis II. Imperatoris“: † / ΜΙΑ / ΕΝ / ΧΩ / ΠΙΤΟΣ / ΚΑΣ/ΙΑ // ΑΥ/ΤΟ/ΚΡΑ/ΤΩΡ / ΡΩΜ/ΑΙΩΝ / Ε. Ο. Aus der lateinischen Übersetzung „una / in / Ch(rist)o / firma / germani/tas // imp/er/at/or / Ro/mano/rum / Gl(oriosus) Ot(to)“ geht hervor, dass er ungefähr Folgendes herauslas: μία ἐν Χ(ριστ)ῷ πιστὸς κασία. Αὐτοκράτωρ Ῥωμαίων ε(ὔδοξος) Ὄ(ττω). Hierin hat Ohnsorge zu Recht die Inschrift des Siegels eines (in der Mitte dargestellten) byzantinischen Kaisers namens Michael erkannt und wie folgt gelesen: Μιχ(αὴλ) / ἐν / Χ(ριστ)ῷ / πιστὸς / βασ/ιλ(εὺς) // Αὐ/το/κρά/τωρ / Ῥωμ/αίων / Ε. Ο., „Michael, der in Christus getreue König, Kaiser der Rhomäer ... “. Unsicherheiten bestehen darüber, ob das Siegel unten vollständig war und wie die beiden möglicherweise sogar verlesenen Buchstaben Ε. Ο. auf der rechten Seite zu verstehen sind. Die Kontroverse zwischen Ohnsorge, der für Kaiser Michael VI. Bringas (1056–1057), und Kresten, der für Michael II. von Epeiros (1231–1266/1267) plädiert, kann hier außer Betracht bleiben, da das Siegel sicher nicht zum ursprünglichen epigraphischen Bestand des Marsusschreines gehörte und sein Bezug zu dem Schrein unklar bleibt. Vgl. auch Schramm, Kaiser und Könige, S. 197, Nr. 2, 4.
  8. Wilkes, Geschichte, S. 69.
  9. Beuckers, Marsusschrein, S. 62.
  10. Bucelinus, Germania 2, S. 143f.
  11. Zum Verhältnis zwischen Overham und Bucelinus vgl. Neesen, Bucelin, S. 181f.
  12. Overham, Annalen, S. 66.
  13. AASS Maii 5 (1685) zum 21. Mai, S. 52; Septembris 6 (1762) zum 22. September, S. 450; Octobris 2 (1768) zum 4. Oktober, S. 98. Anscheinend hat Bucelinus brieflich nur die Inschriften A und B mitgeteilt, nur in den AASS Octobris 2 (1768) zum 4. Oktober, S. 98 wird unter Bezugnahme auf seinen Druck auch Inschrift C wiedergegeben.
  14. Wilkes, Geschichte, passim.
  15. Die Maße sind rekonstruiert aus den Maßangaben für den hölzernen Überkasten bei Humann, Kunstwerke, S. 13, Anm. 4.
  16. Der erste Halbvers ist mehrfach am Beginn von Künstler- und Stifterinschriften belegt, z. B. DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 4; MGH Poetae 1, hg. v. E. Dümmler, S. 95,1; Claussen, Künstlerinschriften, S. 270 (Pisa); Gädeke, Architektur, S. 9 (Königslutter).
  17. gemmis auroque: formelhaft, vgl. Kraus, Inschriften 2, S. 276, Nr. 591: gemmis et auro am verlorenen Reliquienschrein des hl. Severin aus St. Severin, Köln (1089–1099); DI 35 (Stadt Braunschweig 1), Nr. 3: gemmis auroque (vor 1077). Favreau, Commanditaires, S. 499, weist auf die Übereinstimmungen zwischen dem ersten Vers der Inschrift auf dem Ambo Heinrichs II. (DI 31 [Aachen Dom], Nr. 19: HOC OPVS AMBONIS AVRO GEMMISQVE MICANTIS [1002–1014]) und dem ersten Vers von Inschrift A hin, die er für mehr als bloßen Zufall hält. Zu Verbindungen zwischen Essen und Aachen vgl. auch Nr. 5, 6, 10.
  18. Ovid, met. 9,254.
  19. Da die Satzzeichen in den Überlieferungen des 17. Jh. auf der Interpretation der Autoren basieren, werden sie nicht ediert, vgl. Einleitung 1.
  20. Gelenius, Colonia, S. 49.
  21. Overham, Annalen, S. 66.
  22. Bucelinus, Germania 2, S. 143.
  23. AASS Maii 5 (1685) zum 21. Mai, S. 52, Anm. f; Octobris 2 (1768) zum 4. Oktober, S. 96.
  24. Vgl. Blaise, Dictionnaire, S. 860f.
  25. Ich danke Klaus Hallof, Berlin, und Fidel Rädle, Göttingen, für Hinweise zur Übersetzung der Inschriften.
  26. Gelenius, Colonia, S. 48.
  27. Bucelinus, Germania 2, S. 143.
  28. Overham, Annalen, S. 66; AASS Maii 5, S. 52, Anm. f.
  29. Zu Mathilde vgl. Fremer, Theophanu, S. 47f.
  30. AASS Maii 5 (1685) zum 21. Mai, S. 52, Anm. f.; Septembris 6 (1762) zum 22. September, S. 450.
  31. In Urkunden sind allerdings für die Essener Äbtissin verschiedene Schreibweisen des Namens belegt, vgl. Rhein. UB 2, Nr. 167–170. Die Bezeichnung domina für die Äbtissin ist in Essen ganz ungebräuchlich, die Vorsteherin der Gemeinschaft wird fast immer als abbatissa bezeichnet, vgl. ebd., Nr. 153, 159, 164, 167–177. In inschriftlich ausgeführten Stiftervermerken werden die Essener Äbtissinnen fast immer als abbatissa tituliert, vgl. für das Früh- und Hochmittelalter Nr. 5, 6, 8, 10, 18, 20. Die Bezeichnung domina für eine Essener Äbtissin ist inschriftlich nur in Verbindung mit abbatissa belegt, vgl. Nr. 43. Allerdings ist gerade für die Äbtissin Theophanu ein Stiftervermerk überliefert, der nur ihren Namen und nicht den Titel nennt, vgl. Nr. 19. Zum Beleg für „domina Mathilda“ für Mathilde in einer nicht aus Essen stammenden Quelle vgl. Beuckers, Marsusschrein, S. 44. Äbtissinnen anderer geistlicher Gemeinschaften wurden andernorts durchaus als domina bezeichnet, vgl. die Belege bei Humann, Kunstwerke, S. 11f.
  32. Vgl. Beuckers, Marsusschrein, S. 43f.
  33. Vgl. dazu Beuckers, Ezzonen, S. 57–63.
  34. Vgl. auch die Argumente bei Humann, Kunstwerke, S. 11f.; Beuckers, Marsusschrein, S. 43ff.
  35. Müller, Geschichtsschreibung, S. 40f.
  36. Humann, Kunstwerke, S. 11.
  37. Zum Beispiel Beuckers, Ezzonen, S. 106; Röckelein, Leben, S. 98; dies., Reliquientranslationen, S. 229; Bodarwé, Sanctimoniales, S. 229; Stevenson, Women, S. 101, 562.
  38. Vgl. Nielsen, Patronage, S. 96; Beuckers, Marsusschrein, S. 44–47.
  39. Vgl. DI 70 (Stadt Trier 1), Nr. 57 (Buchdeckel des Codex aureus Epternacensis); Schramm, Kaiser und Könige, S. 195, Nr. 93.
  40. AASS Septembris 6 (1762) zum 22. September, S. 450; vgl. dazu Röckelein, Leben, S. 98.
  41. Humann, Kunstwerke, S. 12.
  42. Beuckers, Marsusschrein, S. 48f.
  43. Vgl. Anm. 7.
  44. Wilkes, Geschichte, S. 69f.
  45. Vgl. auch Nr. 45.
  46. Vgl. Nr. 28; Lange, Krypta, S. 175–178; Beuckers, Marsusschrein, S. 107f.
  47. Zum Zusammenhang zwischen Stiftung und dem ewigen Leben als Gegengabe vgl. Reudenbach, Leben, passim; außerdem Favreau, Commanditaires, S. 488.
  48. Beuckers, Marsusschrein, S. 47.
  49. Zu den Marsusreliquien vgl. Röckelein, Leben, S. 96ff.; dies., Reliquientranslationen, S. 224–241; Beuckers, Marsusschrein, S. 10ff.
  50. Beuckers, Marsusschrein, S. 47.
  51. Brevis vita s. Marsi, S. 63; Transitus s. Marsi, S. 336.
  52. Vgl. Beuckers, Marsusschrein, S. 9f.
  53. MüA, Hs. 35: Compendium fundatorum, festorum et anniversariorum etc., fol. 44f. Die Handschrift ist derzeit nicht auffindbar, die Informationen entstammen dem von Alfred Pothmann erstellten Schatzverzeichnis. Ich danke Birgitta Falk, Domschatzkammer Essen, die mir das Verzeichnis freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat.
  54. Zu Inschriften, die Heilige als Empfänger der Stiftung nennen, vgl. Favreau, Commanditaires, S. 479–482.

Nachweise

  1. Gelenius, Colonia, S. 49 (A, B).
  2. Overham, Annalen, S. 66 (A, C).
  3. Bucelinus, Germania 2, S. 143f. (A, C).
  4. AASS Maii 5 (1685) zum 21. Mai, S. 52 (A, B).
  5. AASS Septembris 6 (1762) zum 22. September, S. 450 (A, B).
  6. AASS Octobris 2 (1768) zum 4. Oktober, S. 98.
  7. Müller, Geschichtsschreibung, S. 41.
  8. HAStK, Best. 1001 (Slg. Alfter), Nr. 47, fol. 81v.
  9. aus’m Weerth, Kunstdenkmäler, S. 28 (A, C).
  10. Seemann, Aebtissinnen, S. 29 (A).
  11. KDM Essen, S. 53 (A, C; nach Bucelinus, Alfter und einer Abschrift aus dem MüA, die offensichtlich auf Gelenius basiert).
  12. Kraus, Inschriften 2, S. 296, Nr. 645.
  13. Humann, Kunstwerke, S. 10.
  14. MGH Poetae 5, hg. v. K. Strecker, S. 355.
  15. Favreau, Commanditaires, S. 497 (B).
  16. Beuckers, Ezzonen, S. 105, Anm. 733.
  17. Röckelein, Leben, S. 164, Anm. 57.
  18. Fremer, Theophanu, S. 108 (zwei Verse von A, B).
  19. Nielsen, Patronage, S. 96, Anm. 62 (B), S. 97, Anm. 64f. (A, C).
  20. Röckelein, Reliquientranslationen, S. 229, Anm. 597.
  21. Bodarwé, Sanctimoniales, S. 229, Anm. 236.
  22. Stevenson, Women, S. 101 (A).
  23. Beuckers, Marsusschrein, S. 38, 41–44, 46.
Addenda & Corrigenda (Stand: 29. März 2017):

Heinrich Tiefenbach, Rez. DI 81, in: Beiträge zur Namenforschung 47 (2012), S. 474: "[Die Schreibweisen] des Namens Mahthild in den verschiedenen Kopien der Inschriften des verlorenen Marsusschreins sind in Bezug auf das dort stets überlieferte -dt im Auslaut mit Sicherheit keine Formen des ausgehenden 10. oder der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, sondern Graphien aus der Zeit des Gelenius". Zu den Schreibungen des Namens vgl. Heinrich Tiefenbach, Xanten - Essen - Köln. Untersuchungen zur Nordgrenze des Althochdeutschen an niederrheinischen Personennamen des neunten bis elften Jahrhunderts, Göttingen 1984, S. 203, 365, 373.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 9† (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0000900.