Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 181 Werden, Ev. Gemeinde 2.–3. V. 17. Jh.

Beschreibung

Kelch. Silber, vergoldet, getrieben, graviert. Aus dem flach getreppten und gewölbten Sechspassfuß erhebt sich ein sechsseitiger Ständer, der von einem flachkugeligen Nodus mit fächerförmigen Punzierungen unterbrochen wird. Die Kuppa ist geradwandig und schlicht. Auf dem Fuß ist das Nomen sacrum in gekürzter Form mit einem Kreuz und drei Nägeln sowie eine im 19. Jahrhundert verfasste historische Nachricht graviert, zudem sind ein Beschau- und ein Meisterzeichen eingeschlagen.1) Auf der Unterseite des Fußes befinden sich von verschiedenen Händen eingeritzte Einzelbuchstaben und der Name Michael, der sich wohl auf den Kelch selbst bezieht.2) Diese Inschriften können ins 20. Jahrhundert datiert werden.

Maße: H. 18 cm; Dm. 13,8 cm (Fuß), 9 cm (Kuppa); Bu. 0,7 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/3]

  1. IHS

Kommentar

Nach den Beschau- und Meisterzeichen wurde der Kelch von dem zwischen 1635 und 1666 in Erfurt tätigen Goldschmied Jacob Engau gefertigt. Das Nomen sacrum in Kontur wurde vermutlich bereits bei der Herstellung graviert und wird deshalb ins zweite oder dritte Viertel des 17. Jahrhunderts datiert.3) Die Buchstaben und die Nägel sind quer- und/oder längsschraffiert und sehr sorgfältig graviert. Die Schaftenden sind verbreitert, die Bogenenden leicht gekerbt. In den nach unten ausgebuchteten Balken des H ist ein ebenfalls schraffiertes Kreuz eingestellt. Die Kürzung IHS entwickelte sich spätestens in karolingischer Zeit aus der Vermischung der Buchstaben des griechischen Nomen sacrum IHC XPC mit lateinischen Buchstaben.4) Seit dem Spätmittelalter wurde es zunehmend als Symbol verwendet und unterschiedlich gedeutet, beispielsweise als ‚Iesus Hominum Salvator’, ‚Jesus Heiland Seligmacher’, ‚In hoc signo’ oder, als Devise der Jesuiten, ‚Jesum habemus socium’. Das Kreuz und die Nägel verstärken den Symbolcharakter, weshalb es hier nicht als Abkürzung verstanden wird, die aufgelöst werden müsste.

Die Darstellung des Symbols IHS mit den Nägeln und dem Kreuz war in der katholischen Kirche besonders während der Gegenreformation ein beliebtes Motiv5) und diente beispielsweise den Jesuiten als Wappenbild. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass der Kelch speziell für die evangelische Gemeinde in Werden hergestellt wurde.6)

Der Kelch fand große Beachtung wegen der (nachträglich gravierten) Inschrift MICHAEL(IS) 1550 SUB UTRAQ(UE) SPECIE PET(RUS) ULLNERUS. P(ASTOR) A(UGUSTANAE) C(ONFESSIONIS) (Am Michaelistag 1550, in beiderlei Gestalt, Peter Ulner, Pfarrer der augsburgischen Konfession).7) Damit sollte an das erste Abendmahl in beiderlei Gestalt erinnert werden, das angeblich von Peter Ulner, Werdener Mönch und Pfarrer an St. Lucius, gespendet wurde und in der Geschichtsschreibung der evangelischen Kirche in Werden lange als Beginn der Reformation in Werden angesehen wurde.8) Peter Wallmann kann allerdings belegen, dass die Inschrift erst von dem Werdener evangelischen Pfarrer Friedrich Rommel (1811–1846) in Auftrag gegeben wurde.9) Sowohl die Datierung des Kelchs anhand des Beschau- und des Meisterzeichens als auch der Nachweis über die Anbringung der Inschrift (mit Ausnahme des Nomen sacrum) im 19. Jahrhundert stehen der Deutung des Kelchs als protestantischem Abendmahlsgerät Peter Ulners entgegen. Zudem konnte Wallmann nachweisen, dass die Verlässlichkeit der Quelle, in der zum ersten Mal über die Spende des Abendmahls in beiderlei Gestalt durch Peter Ulner am 29. September 1550 berichtet wird, einer kritischen Überprüfung nicht standhält.10)

Anmerkungen

  1. Vgl. Rosenberg, Merkzeichen 2, S. 70 (Beschauzeichen), 72, Nr. 1963 (Meisterzeichen).
  2. WF; V (oder A ohne Balken?), sehr kleines A mit gebrochenem Balken. Michael bezieht sich sicherlich auf den angeblichen Gründungstag der Werdener evangelischen Gemeinde.
  3. Wallmann, Ulner, S. 1, geht davon aus, dass auch dieser Teil der Inschrift erst im 19. Jh. graviert wurde. Vgl. aber auch Kat. Essen 1999, S. 476, Nr. 308 (R. S[tephan-]M[aaser]).
  4. M. Woelk, Art. Christusmonogramm, in: LThK3 2 (1994), Sp. 1178f.
  5. H. Feldbusch, Art. Christusmonogramm, in: RDK 3 (1953), Sp. 707–720, bes. 715–19; M. Woelk, Art. Christusmonogramm, in: LThK3 2 (1994), Sp. 1178f.
  6. Vgl. Fritz, Abendmahlsgerät, S. 366, Nr. 61.
  7. Zu Peter Ulner zuletzt Stephan-Maaser, Ulner, passim.
  8. Kat. Köln 1965, S. 172, Nr. 495; Kat. Unna 1983, S. 171, Nr. 22 (O. P[laßmann]); Maßner, Kirchengeschichte, S. 17; Kat. Unna 1977, S. 49, Nr. 88; Hempel/Weiß, Geschichte, S. 10.
  9. Vgl. Wallmann, Ulner, S. 2; vgl. auch Stephan-Maaser, Ulner, passim. Bereits Hempel/Weiß, Geschichte, S. 10, verweisen darauf, dass die Inschrift nachträglich angebracht wurde.
  10. Wallmann, Ulner, S. 3–10.

Nachweise

  1. Flügge, Chronik 1, S. 283, Anm. *.
  2. Hempel/Weiß, Geschichte, S. 10.
  3. Kat. Köln 1965, S. 192, Nr. 495, mit Abb. 12.
  4. Kat. Unna 1983, S. 171, Nr. 22, mit Abb. 13 (O. P[laßmann]).
  5. Wallmann, Ulner, S. 1.
  6. Kat. Essen 1999, S. 476, Nr. 308, mit Abb. 55, S. 154 (R. S[tephan-]M[aaser]).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 181 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0018100.