Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 147 Domschatzkammer 1614

Beschreibung

Grabtafel.1) Blei. Die hochrechteckige Tafel mit abgeschrägten oberen Ecken wurde bei archäologischen Grabungen 1951 im Sarg der Äbtissin Elisabeth von Bergh (s’Heerenbergh) gefunden.2) Die Inschrift mit Titulatur und Sterbevermerk ist zwischen doppelter Lineatur graviert und wird von zwei Linien eingerahmt.

Maße: H. 40,5 cm; B. 32 cm; Bu. 1 cm.

Schriftart(en): Kapitalis mit leicht erhöhten Kapitalisversalien.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/1]

  1. DIS IST DIE HOICHWVRDIG VND WOLGEPORNE / FVRSTIN VND FRAV FRAV ELISABET. DES KEI=/SERLICHEN FREI WELTLICHEN STIFTS · ESSEN. / AVCH ZV FREKENHORST VND NOTTELEN / ABTISSIN. GEPORNE GRÄFIN ZV DEM BERGE / FREIIGRÄFIN ZV BOXMEHR · BILANDTa) HEYEDEL HAPS · WISCHb) / VND SPALBECK. AVCH ZV STEFENSWEHRT, / BANERGRÄFIN DES FVRSTENDOMBS GELRE, / VND GRAFSCHAFT ZVTPHEN. WELCHE / IM IAHR 1605 HIESELBSTEN ZV ES=/SEN ZV EINER FVRSTINNEN EINHEL=/LIGLICH POSTVLIRT WORDEN. HAT / IN DAS NEVNDE IAHR LOBLICH REGIRT, / VND IST ENDLICH AM ZWOLFFTEN · / IANVARY, DES MORGENS ZV 4 VHREN; / ANNO 1614 SELIGLICH IN · GOT VERSTOR=/BEN.

Kommentar

Bei der Herstellung der Inschrift unterliefen dem Graveur einige Fehler: Die Herrschaft BILANDT ist zuerst vergessen worden und musste nachträglich über der Zeile nachgetragen werden, bei WISCH war nicht mehr ausreichend Platz vorhanden, so dass H über die Rahmenlinie hinaus graviert wurde. A ist immer mit gebrochenem Mittelbalken gestaltet, G mit eingestellter Cauda, N und M haben geschwungene Schrägschäfte, die bei M über die Schäfte hinaus reichen. X besteht aus zwei voneinander abgewendeten Bögen mit Mittelbalken. Als unregelmäßig eingesetzte Worttrenner wurden Punkte verwendet.

Elisabeth von Bergh wurde 1581 als Tochter von Wilhelm IV. Graf von Bergh (s’Heerenbergh) und Maria von Nassau geboren. Als Bannergrafen gehörten die Grafen von Bergh zu den ranghöchsten Familien der Ritterschaft im Herzogtum Geldern-Zutphen.3) Der Begriff ‚Freigraf’ stammt aus dem Zusammenhang der Femegerichtsbarkeit und bezeichnet den von dem adligen oder geistlichen Gerichtsherrn als Vorsitzenden des Freigerichts eingesetzten (ministerialen) Beamten.4) Hier ist allerdings nicht dieses Amt gemeint, das Elisabeth von Bergh sicherlich nicht ausgeübt hat, sondern die Orte, die zum Herrschaftsgebiet der Grafen von Bergh gehörten und in denen sie die Gerichtsrechte innehatten: in den heutigen Niederlanden Boxmeer (Provinz Noord-Brabant), Haps (Gemeinde Cuijk, Provinz Noord-Brabant), Hedel (Gemeinde Maasdriel, Provinz Gelderland), Wisch (Gemeinde Oude Ijsselstreek, Provinz Gelderland), Bijland (Gemeinde Rijnwaarden, Provinz Gelderland), Stevensweert (Gemeinde Maasgouw, Provinz Limburg) und im heutigen Belgien Spalbeek (Stadt Hasselt, Provinz Limburg).

Elisabeth von Bergh wurde calvinistisch erzogen, trat aber später zum Katholizismus über.5) Ihre Postulierung6) zur Äbtissin der Stifte Freckenhorst (1605) und Nottuln (1613) wurde von Kräften der katholischen Gegenreformation, in Essen (1605) auch von protestantischer Seite unterstützt.7) Ihr Bild in der Geschichtsschreibung wandelte sich von der durchsetzungsfähigen „Wiederherstellerin der katholischen Religion in Stadt und Stift Essen“8) zu einer Äbtissin, deren politisches Handeln weitgehend von ihren Beratern gelenkt wurde, und die sich mit dem Leben als Stiftsdame nie wirklich identifizieren konnte.9) Sie starb unerwartet, wahrscheinlich an Windpocken oder Röteln, und wurde vor dem damaligen Gräfinnenchor beigesetzt. Die Äbtissin stiftete dem Kanonikerkapitel 100 Rheinische Taler für die Feier ihrer Memorie. Dies geht aus einem Äbtissinnenkatalog und Einträgen in Memorienbüchern der Essener Kanoniker aus dem 17. und 18. Jahrhundert hervor.10) Ihr Grab wurde mit einer aufwendigen Tumba geschmückt, deren Platte heute im nördlichen Seitenschiff eingemauert ist, zudem ist ein Chronostichon zu ihrem Tod überliefert.11)

Textkritischer Apparat

  1. Kleiner über der Zeile nachgetragen, zwischen Verweisungszeichen; nach BOXMEHR zugehöriges Verweisungszeichen.
  2. H kleiner, über die Rahmenlinien hinaus reichend.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 9c.
  2. Lucke, Wiederbeisetzung, S. 137; Zimmermann, Münster, S. 139f.
  3. Van Schilfgaarde, Huis Bergh, S. 7. Die Grafschaft Zutphen fiel 1136 an die Grafschaft Geldern, die wiederum 1339 zum Reichsfürstentum erhoben wurde, vgl. H. Brand, Art. Zutphen, in: LexMA 9 (1998), Sp. 713f.
  4. D. Willoweit, Art. Freigrafschaft, in: HRG 1 (1971), Sp. 1225ff.; K. Kroeschell, Art. Feme, in: LexMA 4 (1989), S. 347ff.
  5. Küppers-Braun, Frauen, S. 119f., Anm. 135.
  6. Ihre Einsetzung als Äbtissin erfolgte, obwohl die Wahlvoraussetzungen der Stiftszugehörigkeit und der lückenlosen Reihe hochadliger Ahnen nicht erfüllt waren. Dem Stift Essen gehörten zu diesem Zeitpunkt nur drei protestantische Stiftsdamen an, vgl. Küppers-Braun, Frauen, S. 123. Auch Elisabeths Vorgängerin Margarethe Elisabeth von Manderscheid-Blankenheim-Gerolstein war Äbtissin in Nottuln und Freckenhorst.
  7. Kohl, GS Freckenhorst, S. 344; Schmidt, Wahl, S. 125–128; Küppers-Braun, Frauen, S. 124–127.
  8. Schmidt, Wiederherstellerin, passim.
  9. Küppers-Braun, Frauentestamente, S. 31f. Letzteres kommt v. a. in ihren privaten Briefen an ihren Jugendfreund Floris von Culemborg zum Ausdruck, vgl. Küppers-Braun, Liebesbriefe, S. 40ff.
  10. MüA, B 37 (ohne Paginierung); Seemann, Aebtissinnen, S. 21; Müller, Memorienkalender, S. 164.
  11. Vgl. Nr. 148, 149.

Nachweise

  1. Lucke, Wiederbeisetzung, S. 138.
  2. Zimmermann, Münster, S. 140, mit Abb. 119.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 147 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0014708.