Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 121† Ev. Marktkirche 1563

Beschreibung

Triumphspruch auf unbekanntem Träger. Die Inschrift befand sich laut Aussage des Essener Kanonikers Wirich Hiltrop 1585 an St. Gertrud, wie die Marktkirche auch bezeichnet wurde, auf der Seite des Flachsmarkts.1)

Nach StadtA Essen, Best. 100, Nr. 102.

  1. EN CECIDIT CECIDITa)2) MAGNVS BELIAL IN APRILIb)

Übersetzung:

Siehe, der große Belial ist gefallen, gefallen im April.

Versmaß: Hexameter (Chronostichon), leoninisch zweisilbig assonierend gereimt.

Datum: 1563

Kommentar

Aus den Angaben Hiltrops geht hervor, dass es sich bei der Inschrift um ein Chronostichon gehandelt hat, weil sich „drauß daß Jahr, Monat und Datum“ der Einführung der Reformation, also 1563, ergeben. Unklar bleibt, was genau Hiltrop mit „Datum“ meint. Die Inschrift wird in dieser Überlieferung mit Ausnahme der Anfangsbuchstaben in Minuskeln wiedergegeben, ohne dass die Zahlbuchstaben besonders gekennzeichnet sind. Für die Berechnung der Jahreszahl wurden nur m, c, l, v und i verwendet, d wurde nicht mitgezählt. Dies entspricht dem Datierungsgebrauch in Chronogrammen, die im 14. und bis zum Ende des 15. Jahrhunderts verfasst wurden,3) es handelt sich also nicht um einen Fehler.

Die Inschrift spielt auf die erste protestantische Predigt in Essen an, die am 28. April 1563 in der Heilig-Geist-Kapelle von Heinrich Barenbroich, gen. von Kempen, gehalten wurde.4) Bereits am darauf folgenden Sonntag konnte Barenbroich in der Marktkirche, in die er offiziell vom Essener Rat eingeführt wurde, predigen und das Abendmahl unter beiderlei Gestalt austeilen. Damit hatte sich die Stadt im Ringen um die Einführung der Reformation gegen die Äbtissin durchgesetzt, die Marktkirche blieb, mit Unterbrechungen während des Abbatiats der gegenreformatorisch aktiven Äbtissin Maria Clara von Spaur, protestantisch. ‚Belial’ ist eine biblische Bezeichnung für den Teufel und den Antichristen, die im Alten und im Neuen Testament vorkommt.5) Martin Luther verwendete diesen Begriff häufig für die Benennung der gegnerischen Katholiken,6) von Philipp Melanchthon wird Luther selbst als derjenige bezeichnet, der den Belial vertreibt.7) Auch in Essener Quellen findet sich der Begriff als Schimpfwort für die katholische Konfession.8)

Die Kenntnis dieses Begriffs setzt eine gewisse Bildung voraus, weshalb Helmut Müller vermutete, dass es sich bei dem Verfasser um einen Lehrer der Essener Lateinschule gehandelt haben könnte.9) Diese Bezeichnung des gegnerischen Bekenntnisses deutet die heftigen Auseinandersetzungen an, zu denen es während der Reformation und in den darauf folgenden Jahren zwischen der überwiegend protestantischen Stadt Essen, der Äbtissin, die durch die Einführung der Reformation ihre Herrschaftsrechte bedroht sah, und den katholischen Mitgliedern der beiden Stiftskapitel kam.10)

Textkritischer Apparat

  1. cecidit cecidit] CECINIT CECINIT Nünning.
  2. Die Edition erfolgt in Majuskelbuchstaben, da die Ausführung als Chronogramm gesichert ist.

Anmerkungen

  1. StadtA Essen, Best. 100, Nr. 102, fol. 481v, Nr. 182; Müller, Inschrift, S. 47. Hiltrop wurde wegen der Auseinandersetzungen zwischen der Stadt Essen und der Äbtissin vor dem Reichskammergericht vernommen. Dort äußerte er sich zu den konfessionellen Streitigkeiten in der Stadt.
  2. Nünning gibt das Chronogramm mit Hervorhebung der Zahlbuchstaben wieder. Ob er selbst oder sein Gewährsmann Adolf Jeger die Inschrift so verändert hat, ist nicht bekannt. Die Lesung CECINIT (von ‚canere’ tönen, singen, prophezeien) ergibt einen vollkommen anderen Sinn, hier wäre mit dem Belial das Luthertum gemeint gewesen. Da sich die Inschrift in der von den Protestanten genutzten Marktkirche befand, ist diese Lesart unwahrscheinlich.
  3. Oberweis, Beobachtungen, S. 128, mit weiteren Beispielen.
  4. Vgl. dazu Müller, Reformation, S. 105f.; zu Barenbroich vgl. Nr. 132.
  5. Gaul, Belial, S. 62; G. Bodendorfer, K. Kertelge, Art. Teufel II., in: LThK3 9 (2000), Sp. 1361–1365.
  6. Vgl. z. B. Luther, WA Br 3, Nr. 651, S. 138.
  7. Luther, WA Br 12, Nr. 4213 (=95a), S. 12.
  8. Müller, Reformation, S. 98.
  9. Ders., Inschrift, S. 48.
  10. Vgl. beispielsweise Kaufmanns Chronik, S. 325.

Nachweise

  1. StadtA Essen, Best. 100, Nr. 102, fol. 481v.
  2. LWL – Archivamt für Westfalen, Münster, Archiv Haus Ruhr, Nachlass Nünning, Nr. 751.
  3. Müller, Inschrift, S. 47.
  4. Gaul, Belial, S. 62.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 121† (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0012104.