Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 118† Dom 1560

Hinweis: Die vorliegende Online-Katalognummer ist im Vergleich zum gedruckten Band mit Ergänzungen und Korrekturen versehen. Sie finden diese am Ende des Artikels. [Dorthin springen]

Beschreibung

Epitaph für die Äbtissin Katharina von Tecklenburg. Bronze, graviert. Unter einer großen Arkade ist die Verstorbene kniend mit zum Gebet gefalteten Händen vor einem Kruzifix mit Kreuztitulus (A) dargestellt. Sie trägt eine aufwendige geistliche Tracht mit hermelingefüttertem Mantel und großem Kopfputz. Links von ihr hängt eine Tafel mit Bibelzitat (B), rechts steht eine Rollwerkkartusche mit Sterbevermerk und Fürbitte (C). Mit einem Spruchband mit einer weiteren Fürbitte (D) wendet sich die Äbtissin an den Gekreuzigten, den sie direkt ansieht. Den größten Teil der Fläche unter der Arkade nehmen zwei Vollwappen mit ausladenden Helmdecken ein. Darüber befinden sich eine Kartusche mit den Initialen wohl einer Devise (E) und eine Jahreszahl (F).

Die Bronzetafel wurde 1947 aus der Krypta gestohlen,1) Inschrift und Gestaltung sind durch die 1904 von Georg Humann publizierte Fotografie überliefert. Das Grab der Äbtissin mit einem „grosse[n] blasse[n] grabstein“ befand sich vor dem Katharinenaltar am südwestlichen Vierungspfeiler, diesem zugewandt hing das Epitaph am nordwestlichen Vierungspfeiler, bis es vor 1895 in der Krypta aufgehängt wurde.2)

Nach Foto bei Humann.

Maße: H. 79 cm; B. 58 cm; Bu. 0,3 cm (A), 0,9 cm (B, C), 0,4 cm (D), 3,2 cm (E), 1,5 cm (F).3)

Schriftart(en): Kapitalis.

  1. A

    · I · N · R· I ·4)

  2. B

    SELICH · SEIND / DIE · FRIDTFER/TIGEN · DAN · / SIE · WERDEN / GOTTES · KIN/DER · HEISSEN / MATHEI · 5 · CAP(ITEL)5)

  3. C

    ANNO · 1 · 5 · 6 · 0 · DEN · 9 · MA/RTII · OP · DEN · MIDD/ACH · STARF · DIE · EDE/L · VND · WALGEBARE/N · KATRINA · V(ON) · G(OTTES) · GN/ADEN · DES · KEISERLIK/EN · FRIWELTL(IKEN) · STIFTE/Sa) · ESSEN · ABDIS · GEB/AREN · GRAFIN · ZO · T/EKENBORGH · WELKE · / IN · FRIDE · REGIERT · V/NT · IN · FRIT · GESTORV/EN · IS · DER · SEL · GOT · GNA(D)

  4. D

    · O · HER · ER/BARM · DICH · MEINER ·

  5. E

    · H · G · M · G ·

  6. F

    15//60

Wappen:
Tecklenburg;6) Rietberg.7)

Kommentar

Die Konturlinien der Jahreszahl (F) sind graviert, die Binnenflächen waagrecht schraffiert. Die Initialen (E) sind erhaben ausgeführt. Der eingetiefte Schriftgrund ist glatt ausbereitet. Die Inschriften A–D sind einheitlich in Kapitalis ohne Strichstärkenwechsel graviert, die Buchstaben haben kleine Sporen. A ist durchgängig mit links überstehendem Deckbalken gestaltet, der Balken des H ist meist nach unten ausgebuchtet. M ist sehr breit mit schrägen Schäften ausgeführt, der Mittelteil reicht nicht bis zur Mittellinie. R hat in Inschrift B einen kleinen Bogen und eine stark geschwungene Cauda, in Inschrift C ist der Bogen meist groß und die Cauda sehr kurz. Als Worttrenner wurden einfache Punkte (A), drei übereinander gesetzte Punkte, meist mit einem weiteren Punkt links und rechts davon (B), kleine Quadrangel (C) und zwei übereinander gesetzte kleine Kreise (D) benutzt. Die herzförmigen Worttrenner in Inschrift E sind in Anlehnung an die Seerosenblätter des Tecklenburger Wappens gestaltet.

Das Foto bei Humann lässt die hohe künstlerische Qualität des Epitaphs erkennen. Ein Porträt der Äbtissin findet sich bereits auf einer 1555 gegossenen Medaille, auch hier mit großem Kopfputz und den Initialen H. G. M. G. Sicherlich handelt es sich hier um die Abkürzung einer Devise, die Jodocus Nünning unter Berufung auf den Essener Dekan Wilhelm Halfmann (gest. 1703) mit „Heer Gott Mir Gnädig“ auflöste,8) während Konrad Ribbeck „Herr Gott, mein Gut“ vorschlug.9) Denkbar ist auch die Auflösung „Herr gib mir Gnade“. Die gleichen Initialen finden sich auch auf dem Epitaph der Essener Äbtissin Elisabeth von Manderscheid-Blankenheim (1588–1598) in Borbeck.10)

Der Sterbevermerk weist zahlreiche niederdeutsche Elemente auf, so z. B. die Formen STARF, GESTORVEN, MIDDACH, WELKE, die darauf zurückzuführen sind, dass die zweite Lautverschiebung im Niederdeutschen nicht vollzogen wurde.11) Niederdeutsche Besonderheiten bei den Vokalen sind die Verwendung des Monophthongs in OP und FRIWELTL(IKEN) sowie A anstelle von O z. B. in WALGEBAREN.12)

Katharina von Tecklenburg, geboren am 31. Dezember 1517, wurde 1522 im Alter von fünf Jahren im Stift Essen präbendiert,13) 1538 wurde ihr das Amt der Küsterin übertragen.14) In dieser Funktion war sie 1546 gemeinsam mit der Äbtissin Sibylla von Montfort-Rotenfels und dem Werkmeister der Münsterkirche Auftraggeberin der großen Glocke im Westturm.15) Nach ihrer Wahl 1551 unternahm sie durch die Erneuerung der Statuten den Versuch, das Kanonikerkapitel zur Einhaltung seiner geistlichen Pflichten anzuhalten, außerdem bemühte sie sich um eine Beilegung des Konflikts mit der Stadt wegen der Aufteilung der Reichssteuer.16) Auch die Haltung der Äbtissin zur Reformation, die langsam in Essen Einzug hielt, war eher vermittelnd. Während ihre Familie zum Protestantismus übergetreten war, erbat sie die Bestätigung ihrer Wahl vom Papst und vom Kaiser, in ihrem Testament bedachte sie gemäß der Tradition sowohl Papst und Kölner Erzbischof als auch eine zum Luthertum übergetretene Nichte.17) Somit spiegelt sich in der Betonung des Friedens wohl der Leitgedanke ihrer Regierungszeit auch in ihrer Grabschrift wider.

Textkritischer Apparat

  1. Hier wurde vielleicht fälschlicherweise STIETES graviert, der Buchstabe ist auf dem Foto nicht genau zu erkennen. STIEFTES KDM Essen.

Anmerkungen

  1. Zimmermann, Münster, S. 131.
  2. LWL – Archivamt für Westfalen, Münster, Archiv Haus Ruhr, Nachlass Nünning, Nr. 724; Seemann, Aebtissinnen, S. 18; Göbel, Münsterkirche, S. 14; Arens, Liber ordinarius, S. 261; Müller, Geschichtsschreibung, S. 32.
  3. Nach Humann, Kunstwerke, S. 394. Die Buchstabenhöhen sind danach erschlossen.
  4. Io 19,19.
  5. Mt 5,9.
  6. Siebmacher, FstM, S. 48, Tf. 106, hier abweichend die drei Seerosenblätter in Feld 1 und 4 und der Anker in 2 und 3, hier korrekterweise schräggelegt.
  7. Siebmacher, Si2, Tf. 18.
  8. Müller, Geschichtsschreibung, S. 32f. Nünning berichtet, Katharina von Tecklenburg habe diesen Ausdruck im Verlauf eines Streits gebraucht. Die Auflösung ist nicht gesichert und erscheint deshalb nicht im Editionstext.
  9. Zitiert nach Kramer, Münzen, S. 69.
  10. Vgl. Nr. 135.
  11. Dietl, Minimalgrammatik, S. 11f.
  12. Lasch, Grammatik, § 88.
  13. Müller, Reformation, S. 71. Ihr Geburtsdatum ist auf der Porträtmedaille mitgeteilt.
  14. Ribbeck, Katharina von Tecklenburg, S. 172.
  15. Vgl. Nr. 108. In ihrer Amtszeit wurde die Sakristei erneuert, vgl. Nr. 115.
  16. Ribbeck, Katharina von Tecklenburg, S. 179; Müller, Reformation, S. 71–74.
  17. Ribbeck, Katharina von Tecklenburg, S. 189; Müller, Reformation, S. 73.

Nachweise

  1. LWL – Archivamt für Westfalen, Münster, Archiv Haus Ruhr, Nachlass Nünning, Nr. 724 (bei LIV Catharina, ohne Paginierung) (C).
  2. Müller, Geschichtsschreibung, S. 32f. (= Nünning) (B).
  3. StAM, Msc. II (Kindlinger’sche Sammlung) 107, S. 5 (B, C, F).
  4. KDM Essen, S. 42 (B–F).
  5. Goebel, Münsterkirche, S. 14f. (C, D, F).
  6. Arens, Liber ordinarius (1901), S. 137 (B–F).
  7. Humann, Kunstwerke, S. 395f. (B–F), mit Tf. 70.
  8. Ribbeck, Katharina von Tecklenburg, S. 178 (B, C, F).
  9. Abel, Altäre VI, S. 146 (B–F).
  10. Müller, Reformation, S. 74 (C).
Addenda & Corrigenda (Stand: 14. März 2017):

Heinrich Tiefenbach, Rez. DI 81, in: Beiträge zur Namenforschung 47 (2012), S. 474, weist darauf hin, "dass der Bibelspruch in hochdeutscher Sprache, offensichtlich in der Luther-Version, erscheint, wohingegen die Angaben zur Person niederdeutsch sind (Ausnahme ZO TEKENBORGH)."

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 118† (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0011807.