Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 108 Dom, Westturm 1546

Beschreibung

Glocke des Gießers Derich von Overath (von Cöllen). Bronze. Gewicht ca. 1650 kg, Schlagton e1 -4.1) Sie hängt als mittlere von drei Glocken im Westturm. Der Kronenhenkel ist mit Masken und Kleeblattvoluten verziert.2) Unterhalb der flachen Haube steht ein Zierfries (H. 1,7 cm) mit traubenförmiger Kreuzblume über Perlstab mit halbem Vierpass. Darunter verlaufen die Inschriften A (Bibelzitat mit Bibelstellenangabe) und B (Namen, als Anrufung?) in einer Zeile über einem als Lineatur genutzten Rundsteg, abgetrennt von Inschrift C durch einen Renaissancefries (H. 2,1 cm), bestehend aus Akanthusblättern und Voluten mit Medaillons. Der Auftraggebervermerk C ist zweizeilig. Die zweite Zeile ist nicht ganz umlaufend und wird mit einem hängenden Fries (H. 2,2 cm) mit gebundenen großen und kleinen Kreuzblumen ergänzt.3) Die Flanke ist steil und mit drei Reliefs (Mandorlamadonna [H. 10 cm, B. 7 cm], zwei Wappen [H. 12 cm, B. 10 cm; H. 13,9 cm, B. 11,8 cm]) und zwei Medaillons (Marienkrönung [Dm. 5 cm], Person mit Kind oder Lamm auf dem Arm [Dm. 4 cm]) geschmückt. Der Wolm weist eine Stegkombination auf (Wulst, Band, Wulst, zwei Stege), über der Schärfe (dem unteren Rand der Glocke) befinden sich Wulste und ein in zwei Stege eingefasster Volutenfries, darunter ein Grat und ein leichter Wulst.

Maße: H. 111 cm (ohne Krone); Dm. 139 cm; Bu. 2 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/6]

  1. A

    +a) DAVIT · PSALMO · NONO · PERIIT · MEMORIA · EORVM · CVM · SONITV · ET · DOMINVS · IN ETERNVM · PERMANET4) ·

  2. B

    IESVS · MARIA · S(ANCTVS)b) ·COSMAS · S(ANCTVS)b) ·DAMIANVS · S(ANCTVS)b) ·MARSVS · S(ANCTVS)b) ·CHRISTOFFERVS ·

  3. C

    · VANc) · GOTZ · GENADEN · SIBILLA · GEBAREN · GRAFIN · TZO · MVNTFORT · VND · ROTENFELTZ · ABDISSE · TZO · ESSEN ·d) CATARINA · GEBAREN · GRAFIN · TZO · TECKELENBORCH · COSTERSSE · / TZO · ESSEN ·e) GERHARDVS · WESSEL · WERCKMESTER · 1546

Übersetzung:

David, Psalm 9. Verschwunden ist ihr (der Feinde) Gedächtnis mit dem Schall. Doch der Herr bleibt in Ewigkeit. (A)

Wappen:
Montfort-Rotenfels,5) Tecklenburg.6)

Kommentar

Alle drei Inschriften weisen Linksschrägen- und Bogenverstärkungen auf (besonders bei A, M und V sowie C, D und O) und sind durchgehend in qualitätvoller Kapitalis ausgeführt. Unklassisch ist das stets retrograde N, dessen als Haarlinie ausgeführter Schrägschaft auf der Grundlinie steht und den linken Schaft nur berührt. Als Worttrenner wurden Medaillons mit Kopf im Seitenprofil benutzt; in Inschrift C dienen Münzabdrücke zur Interpunktion. Die beiden Wappen sind jeweils exakt unter den Beginn der Titulatur bzw. des Namens der Äbtissin bzw. der Küsterin gesetzt. Die Glocke ist die älteste erhaltene dieses Gießers, für die keine Frakturbuchstaben mehr benutzt wurden.7)

Das Relief mit der Mandorlamadonna wurde von rheinischen Glockengießern bereits seit dem Ende des 15. Jahrhunderts benutzt,8) von Derich von Overath ist eine Glocke mit diesem Relief in Eschweiler (Kreis Euskirchen) erhalten.9)

Die Glocke ist zwar unbezeichnet, kann aber anhand des Zierfrieses unterhalb der Haube dem Kölner Derich von Overath (von Cöllen) zugewiesen werden.10) Er entstammte einer seit 1474 in Köln ansässigen Glockengießerfamilie mit dem Herkunftsnamen Overath.11) Von De(de)rich (seltener Theodorus) von Overath sind 46 Glocken bekannt, die zwischen 1546 und 1585 gegossen wurden, er starb vor dem 16. Juli 1587.12) Die Glocke wurde vor Ort in Essen gegossen.13)

Die Adelsprobation Sibyllas von Montfort-Rotenfels wurde dem Stift Essen 1510 vorgelegt,14) ab 1532 hatte die Kanonikerin das Amt der Küsterin inne.15) Sie wurde am 14. Dezember 1534 zur Äbtissin des Stifts gewählt, das sich zu dieser Zeit in einer schwierigen finanziellen Situation befand.16) Trotzdem konnten in ihrer Amtszeit eine Bibliothek errichtet, eine neue Orgel angeschafft, die Kirche mit Wandgemälden und der Äbtissinnenbau mit Bildnissen verstorbener Äbtissinnen geschmückt sowie diese Glocke gegossen werden.17) Die Äbtissin starb am 10. März 1551 und wurde vor dem Kreuzaltar begraben, als Nachfolgerin wurde Katharina von Tecklenburg gewählt.18)

Der Essener Kanoniker Gerhard Wessel studierte ab 1522 an der Universität Köln, wo er den akademischen Grad eines Licentiatus in artibus erlangte.19) Nach seiner Rückkehr nach Essen war er u. a. ab 1536 für kurze Zeit (höchstens 2 Jahre) Rektor der Stiftsschule. Von 1541 bis zu seinem Tod (vor März 1548) ist er als Werkmeister der Münsterkirche belegt.20)

Textkritischer Apparat

  1. Hochkreuz mit Kruzifixus, die Zeile nach unten durchbrechend.
  2. Kürzung durch us-Häkchen.
  3. Davor zur Bezeichnung des Beginns der Inschrift ein Münzabdruck (Darstellung unkenntlich).
  4. Münzabdruck zur Trennung der beiden Titulaturen.
  5. Münzabdruck zur Markierung des Beginns der Werkmeisternennung.

Anmerkungen

  1. Stens, Glocken, S. 283.
  2. Die gleiche Ranke fand sich auch an der Krone einer von Derich von Overath gegossenen, heute nur noch in Bruchstücken erhaltenen Glocke von 1572 aus St. Pantaleon, Köln, vgl. Poettgen, Glockenguss, S. 153.
  3. Zu den Zierfriesen vgl. Poettgen, Glockenguss, S. 138.
  4. Ps 9,7–8.
  5. Siebmacher, NÖ1, S. 303f., Tf. 161.
  6. Siebmacher, FstM, S. 48, Tf. 106. Die beiden Anker in den Feldern 1 und 4 sind hier (d. h. auf der Glocke) abweichend schräggelegt.
  7. Vgl. Poettgen, Glockenguss, S. 139.
  8. Ebd., S. 151, Anm. 577.
  9. Schaeben, Glocken, S. 53, Nr. 124 mit Abb. 46, S. 300.
  10. Poettgen, Glockenguss, S. 138; Stens, Glocken, S. 278.
  11. Poettgen, Glockenguss, S. 121. Der Name steht nicht im Zusammenhang mit dem Werkstattort.
  12. Ebd., S. 152, 159.
  13. Müller, Geschichtsschreibung, S. 44.
  14. HStAD, Stift Essen, Urkunden, Nr. 1663 (1510 Juli 8).
  15. Müller, Reformation, S. 69.
  16. Ebd., S. 61; HStAD, Stift Essen, Urkunden, Nr. 1758 (1534 Dezember 14).
  17. Müller, Geschichtsschreibung, S. 30f.; vgl. Nr. 112.
  18. Seemann, Aebtissinnen, S. 18. Zu Katharina von Tecklenburg vgl. Nr. 118.
  19. Matrikel Köln 2, 1522, 533,5. Zu seinem Werdegang in Essen Ribbeck, Gymnasium, S. 31f.
  20. Schaefer/Arens, Urkunden, Nr. 323 (1538 Juli 27), 345 (1548 März 18); HStAD, Stift Essen, Akten, Nr. 152 (Ende 15. Jh.).

Nachweise

  1. Müller, Geschichtsschreibung, S. 43 (= Nünning).
  2. KDM Essen, S. 53.
  3. Walter, Glockenkunde, S. 315 (A).
  4. Feldens, Glocken, S. 82.
  5. Rinken, Glocken, S. 96.
  6. Aders, Glocken, S. 146f.
  7. Stens, Glocken, S. 284ff., mit Abb. 2, S. 286.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 108 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0010801.