Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 93† † Rathaus 1506

Beschreibung

Wandmalerei. Sie befand sich an einer Westwand im Rathaus und zeigte eine Inschrift (historische Nachricht) und die Darstellung einer Hostie. Das Gemälde wurde mitsamt der Inschrift 1589 übertüncht.1)

Nach Nünning.

  1. [ – – – ] ambarvalia servas[ – – – ]2) terramque atque omnia portansFavoribus3) expectat siccis Assindia miles Te praedam clademque suam frustratus inaniSpe4) eriperis cujus vestigia sancta secuta esAuxilio ad lares et moenia laeta revertensSic quondam populus duro pharaone solutusAnte hostes graditur magni virtute tonantisCui praeclara die nubes per devia rerum5)Monstrat iter lucemque dedit de nocte columna At te pulsa umbra verus signatur ut agnusEt Domini corpus signis protexit apertis

Übersetzung:

(…) Flurumgang (…). Essen, das (dich) trägt, (der du …) und du behütest die Flurprozession, (…) und die Erde und alles bewahrst, erhofft deine Gunst für die trockenen Böden. Der Soldat macht dich zu seiner Beute und verliert dich wieder und wird (so) in seiner eitlen Hoffnung getäuscht. Du wirst mit der Hilfe desjenigen, dessen heiligen Spuren du gefolgt bist, wieder entrissen und kehrst zum heimischen Herd und zu den heiteren Mauern der Stadt zurück. So schreitet einst das Volk, vom hartherzigen Pharao erlöst, durch die Kraft des großen Gottes vor den Feinden; das Volk, dem die helle Wolke am Tag auf ungebahnten Wegen die Richtung weist und dem in der Nacht die (Feuer)Säule leuchtet. Durch die vertriebene Finsternis aber zeigt sich, wie das wahre Lamm und der Leib des Herrn dich durch offenkundige Zeichen geschützt haben.

Versmaß: Hexameter, reimlos, mit prosodischem Verstoß in Vers 3.

Kommentar

Einige der in der Inschrift verwendeten Wörter und Wendungen enthalten Anklänge an antike Traditionen und lassen humanistische Einflüsse erkennen. Die Ambarvalia waren Feierlichkeiten der römischen Religion und beinhalteten auch Flurumgänge.6) Der Ausdruck tonans als Bezeichnung Jupiters ist erstmals bei Ovid belegt.7) Seit dem 4. Jahrhundert findet er sich bei spätantiken Autoren (Iuvencus, Prudentius und Paulinus von Nola) zur Bezeichnung des christlichen Gottes.8) Lar bedeutet nur im übertragenen Sinn Haus oder Wohnung, in der römischen Religion waren die Laren Schutzgötter einzelner Familien und deren Häuser.9) Die Wendungen inani spe und per devia rerum wurden von (spät)antiken und mittelalterlichen Autoren benutzt.10) Auch die Reimlosigkeit wurde sicherlich in Hinblick auf die Vorbildfunktion der ebenfalls reimlosen antiken Dichtung gewählt.11)

Das Wandgemälde erinnerte an einen Zwischenfall während einer Flurprozession am Tag nach Fronleichnam 1506.12) Die Prozessionsteilnehmer waren von Soldaten unter der Führung des Söldnerführers Johann von Mengede überfallen worden; dabei konnten die Angreifer anscheinend die Hostienmonstranz rauben. Den Bürgern gelang es, die Angreifer zu verfolgen und ihnen die Beute wieder abzunehmen. In der Inschrift wird die Rückkehr der geweihten Hostie mit dem Auszug der Juden aus Ägypten verglichen, bei dem diese von Gott in Gestalt einer Wolken- und Feuersäule geleitet worden waren.13)

Anmerkungen

  1. Müller, Geschichtsschreibung, S. 27.
  2. Zu ergänzen ist sinngemäß ‚te qui’ o. ä.
  3. Muss wohl zu Favorem emendiert werden. Zwar ist die erste Silbe immer noch kurz und somit prosodisch fehlerhaft, aber der übrige Vers ist dann metrisch korrekt und ergibt einen Sinn.
  4. „inani spe“ z. B. bei Cic., Phil. 8,9; Rupert von Deutz, Commentaria in evangelium sancti Johannis 5 (hg. v. R. Haacke, CCCM 9, S. 282).
  5. „per devia rerum“ bei Claud., rapt. Pros. 3, 316.
  6. F. Graf, Art. Ambarvalia, in: DNP 1 (1996), Sp. 577.
  7. Ovid, met. 1,170.
  8. Erdt, Christentum, S. 275.
  9. A. Mastrocinque, Art. Laren, in: DNP 6 (1999), Sp. 1147–1150.
  10. Vgl. Anm. 4, 5.
  11. Vgl. Kajanto, Classical and Christian, S. 70ff.
  12. Müller, Geschichtsschreibung, S. 27.
  13. Ex 13,18, 13,21.

Nachweise

  1. Müller, Geschichtsschreibung, S. 27 (= Nünning).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 93† (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0009301.