Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 61 Domschatzkammer um 1400

Beschreibung

Drei Agraffen.1) Gold, Email, Edelsteine, Perlen. Von den insgesamt 16 franko-flämischen Agraffen im Essener Domschatz sind drei mit Devisen ausgestattet. Alle drei sind als vollplastischer Reif aus teilweise emailliertem Gold in der ‚Émail en ronde bosse’-Technik hergestellt. An den Reifen ist außen je ein Kranz von Perlen mit kleinen Stiften angebracht. Im Inneren der Reife befinden sich ein Adler mit Edelstein und Perlen (I.), ein sechsstrahliger Stern, an dem wohl ein Stein befestigt war (II.), und eine Blüte mit Stein (III.). An dieser Agraffe wird der Perlenkranz mit zwei von ehemals drei Kronen mit blauem Stein ergänzt. Die Inschriften sind auf spruchbandartigen Flächen auf den Reifen als Goldstege ausgeführt, die von weißem Email umschmolzen sind. Bei allen drei Agraffen sind die Perlenkränze beschädigt. Bei den Agraffen mit Adler und Stern verläuft die Inschrift konzentrisch im Uhrzeigersinn, bei der Agraffe mit der Blüte konzentrisch im Uhrzeigersinn (drei Schriftfelder) und exzentrisch gegen den Uhrzeigersinn (drei Schriftfelder).

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/12]

I.

Maße: Dm. (mit Perlenkranz) 5,5 cm; Bu. ca. 0,1–0,2 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. duṛ // mvt//wil//lena)

Übersetzung:

Durch Mutwillen.

II.

Maße: Dm. (mit Perlenkranz) 4,7 cm; Bu. ca. 0,1–0,2 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. dyrb) // al//leync)

Übersetzung:

Dir allein.

III.

Maße: Dm. (mit Perlenkranz) 3,9 cm; Bu. ca. 0,1–0,2 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

  1. na // he//il // na // he//ild)

Übersetzung:

Nach Heil. (?)

Kommentar

Die Inschriften sind wegen der geringen Buchstabenhöhe, kleinerer Ausbrüche am Email und der teilweise in die Buchstaben übergehenden bzw. aus den Buchstaben „wachsenden“ Zierranken schwer zu lesen.2) Dennoch lassen die teilweise sehr gelungenen Brechungen, besonders an den n und bei der Agraffe mit der Blüte (III.), die Qualität der Kunstwerke erkennen. a ist doppelstöckig und bei III. oben geschlossen ausgeführt. Die oberen Schaftenden bei b und l sind schräg abgeschnitten. Bei den runden d ist der obere Teil des gebrochenen rechten Bogenabschnitts fast waagerecht ausgeführt, bei der Agraffe mit dem Adler (I.) geht er in eine Ranke über. Bei e ist der Balken zu einem dünnen Schrägstrich reduziert, der bei III. leicht über den Ansatzpunkt am oberen Bogenabschnitt hinaus reicht.

Die Fahne der r ist als Quadrangel mit unten angesetztem Zierstrich gestaltet, der bei I. in eine Ranke übergeht. Der Balken des t ist besonders kräftig geraten, der Schaft geht in eine Zierranke über. Das obere Ende des linken Schafts von v ist nicht gebrochen, sondern rund nach links gebogen. Bei y sind beide Schäfte senkrecht ausgeführt, der linke Schaft geht in die in einen Zierstrich ausgezogene Unterlänge über.

Agraffen dieser Art waren ab Anfang des 15. bis ins 16. Jahrhundert im höfischen Bereich beliebte Schmuckstücke.3) Die Essener Stücke kamen vermutlich als Mitgift von Äbtissinnen oder vermögenden Stiftsdamen in den Kirchenschatz. Renate Eikelmann weist hier auf die familiären Beziehungen der Äbtissinnen Elisabeth von Nassau (1370–1412) und Margarete von der Mark (1412–1426) zum französischen Königshaus in Paris, dem bedeutendsten Zentrum der Goldschmiede- und Emailkunst dieser Zeit, und dem burgundischen Hof in Dijon, ebenfalls wichtiger Auftraggeber solcher Kunstwerke, hin.4) Allerdings war die Technik des ‚Émail en ronde bosse’ auch bei Goldschmieden an anderen Fürstenhöfen, besonders auch in den südlichen Niederlanden und in Flandern, bekannt. Wo die mit deutschsprachigen Inschriften ausgestatteten Agraffen letztlich gefertigt wurden, ist nicht zu ermitteln. Die Verwendung von Devisen an repräsentativen Schmuckstücken ist mehrfach belegt.5) Die Agraffen dienten zeitweise als Halsschmuck für die Büste des heiligen Marsus.6)

Textkritischer Apparat

  1. Die Inschrift beginnt rechts über dem Flügel des Adlers. MU LEN DUN QUIV Verhaegen; wu(?) (wil[?], mil[?]) – lendunviut(?) (mut[?]) Humann, ihm folgend Müller/Steingräber, Eikelmann, Kat. München 1995.
  2. Auf einem Schriftband befindet sich eine Ranke, auf dem folgenden beginnt die Inschrift.
  3. WER AC LEUM Verhaegen; der – ac (ar[?]) – leu(?)m(?) Humann, ihm folgend Müller/Steingräber, Eikelmann, Kat. München 1995.
  4. Die Inschriften der inneren Felder werden nacheinander im Uhrzeigersinn angegeben, gefolgt von denen der äußeren Felder gegen den Uhrzeigersinn. VE NA VER …Verhaegen, be (he[?], lie[?]) – na (ua[?]) – u (il[?]) Humann, ihm folgend Müller/Steingräber, Eikelmann, Kat. München 1995.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 101, 102, 103. Im Schatz- und Reliquienverzeichnis von 1626 sind noch insgesamt 18 Agraffen erwähnt, vgl. Humann, Kunstwerke, S. 35.
  2. Ich danke Harald Drös, Heidelberg, für wichtige Hinweise zur Lesung.
  3. Zu den Essener Agraffen vgl. Franke, Agraffen, passim, hier S. 217.
  4. Eikelmann, Emailplastik, S. 406f. Zu den Zentren der Goldschmiedekunst im 14. und 15. Jh. vgl. ebd., S. 141–156.
  5. Ebd., S. 410f.; Franke, Agraffen, S. 230.
  6. KDM Essen, S. 49f., Fig. 26.

Nachweise

  1. Verhaegen, Collier, S. 277, mit Zeichnung Tf. III bis, IV.
  2. Humann, Kunstwerke, S. 380f.
  3. Müller/Steingräber, Goldemailplastik, S. 77.
  4. Eikelmann, Emailplastik, S. 408f.
  5. Kat. München 1995, S. 248ff., mit Abb. (R. E[ikelmann]).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 61 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0006103.