Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 57 Domschatzkammer 3. V. 14. Jh.

Beschreibung

Reliquienostensorium.1) Silber vergoldet, getrieben, gegossen, graviert, emailliert, Bergkristall. Der Fuß besteht aus vier Kielbögen und hat eine durchbrochene Zarge. In dem Kapellennodus stehen sechs Statuetten (Christus, Maria, Cosmas, Damian, Petrus und Paulus). Der Oberbau besteht aus einer Platte, die den Kristallzylinder auf einem Sockel von Blendarkaden und links und rechts Strebepfeilergruppen trägt. In die obere Einfassung des Glaszylinders und senkrecht darüber in die Sockelplatte des Turms ist die Inschrift E graviert. An den vier Seiten des Zylinders befinden sich Streben, die sich von der Sockelplatte des Zylinders bis ins Turmgeschoss fünfgeschossig erheben. Die oberen zwei Geschosse der Streben sind jeweils auf das dritte Geschoss montiert, ober- und unterhalb der Verbindungsstelle sind paarweise Einzelbuchstaben und zwei Kreuze (A–D) graviert. Sie sind gravur-negativ vor kreuzschraffiertem Hintergrund ausgeführt und von einem quadratischen, ebenfalls gravur-negativen Rahmen umgeben. Der Turmaufbau besteht aus einer offenen Arkade mit einem eingestellten Kreuz, darüber erhebt sich der Helm, der von einer Pelikanstatuette bekrönt wird. Der Turm ist nicht an die Einfassung des Zylinders angelötet, sondern verschraubt. Deshalb ist das Öffnen des Zylinders möglich.

Maße: H. 78 cm; B. 32 cm (Fuß); Bu. 0,5 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/6]

  1. A

    + // +

  2. B

    A // A

  3. C

    B // B

  4. D

    C // C

  5. E

    G // G

Kommentar

Die Darstellung des Pelikans auf der Turmspitze belegt, dass es sich bei dem Ostensorium ursprünglich um eine Hostienmonstranz handelte.2) Dieser Verwendungszweck erforderte einen abnehmbaren Turmaufbau, um das Einsetzen der konsekrierten Hostie in den Kristallzylinder zu ermöglichen. Aus diesem Grund sind die Streben, die den Oberbau mit dem Turmaufbau verbinden, nicht verlötet, sondern durch Schrauben verbunden. Die paarweise angebrachten Einzelbuchstaben und Kreuze dienten möglicherweise dazu, dem konsekrierenden Priester das Öffnen der Monstranz zu erleichtern, indem sie die Stellen, an denen die Streben gelöst werden konnten, markierten.3) Denkbar ist auch, dass es sich um ungewöhnlich ornamental ausgeführte Versatzmarken zur korrekten Montage der Fialtürme und der Einfassung des Kristallzylinders handelt.4)

Das Ostensorium wird aufgrund der streng geometrischen Formen und der Figuren im Kapellenknauf, die wohl nach bereits vorhandenen Modellen gestaltet wurden, in die Mitte oder zuletzt in das dritte Viertel des 14. Jahrhunderts datiert.5) Es handelt sich um das älteste bekannte Beispiel einer Turmmonstranz, bei welcher der Zylinder von zwei seitlich angebrachten Streben begleitet wird.6) Die Monstranz wurde zu einem unbekannten Zeitpunkt in ein Reliquienostensorium umgewandelt.7)

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 46. Bei einer Inventarisierung 1797 wurde auf dem Fuß die Zahl 53 eingeschlagen, vgl. Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, S. 31. Hier werden als Inhalt des Reliquiars die Kinnlade des hl. Remigius und Reliquien des hl. Severin angegeben. Humann, Kunstwerke, S. 33f., identifiziert die Monstranz im von ihm abgedruckten Reliquienverzeichnis von 1626 als Nr. 10, „eine grosse verguldte monstrans cum reliquiis s. Andreae“. Heute befinden sich Reliquien des hl. Andreas, des hl. Severin und des hl. Paulinus in dem Glaszylinder. Es ist denkbar, dass die Reliquien zwischen dem 17. und 18. Jh. ausgetauscht wurden, für Humanns Identifizierung spricht jedenfalls die Bezeichnung als „grosse monstrans“.
  2. Zum Pelikan als Symbol der Eucharistie vgl. Redaktion, Art. Pelikan, in: LCI 3 (1971), Sp. 390ff.
  3. Freundliche Mitteilung von Johann Michael Fritz, Münster.
  4. Guster, Hostienmonstranzen, S. 316, Nr. 21; vgl. Nr. 59.
  5. Kat. Köln 1978 1, S. 196; Fritz, Goldschmiedekunst, S. 203, Nr. 134, 135; Guster, Hostienmonstranzen, S. 314, Nr. 21.
  6. Fritz, Goldschmiedekunst, S. 203, Nr. 134, 135; Guster, Hostienmonstranzen, S. 314, Nr. 21.
  7. Der Anlass für die Umwandlung kann nicht die Anschaffung der Hostienmonstranz Nr. 79 gewesen sein, da diese für die Johanneskirche bestimmt war.

Nachweise

  1. Humann, Kunstwerke, S. 317, mit Tf. 44.
  2. Guster, Hostienmonstranzen, S. 314 (A–D).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 57 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0005709.