Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 46 Domschatzkammer um 1300

Beschreibung

Armreliquiar.1) Teilvergoldetes Silber, getrieben, gegossen, vergoldetes Kupfer, Holzkern, Filigranborten, Niello, Perlen, Edelsteine. Über der spitzovalen Bodenplatte auf vier Tatzenfüßen erhebt sich der mit Albe und Dalmatikärmel bekleidete Arm. An den Ärmelenden der Gewänder und am Übergang zur Bodenplatte sind Bänder aus Goldfiligran angebracht, die mit Steinen geschmückt sind. In den Arm ist eine kleine, mit einer Niello-Platte und Perlen verzierte Tür eingefügt. Auf der Niello-Platte ist die Äbtissin Beatrix von Holte in betender Haltung unter einer Arkade dargestellt. Um ihre Gestalt verläuft der Stiftervermerk metall-positiv, d. h. die goldenen Buchstaben sind von der schwarzblauen Niellomasse umgeben.2) Diese Art der Gestaltung mit Schriftgrund in Niello und Buchstaben in Metall ist weniger gebräuchlich, meist ist die Schrift in Niello ausgeführt. Die Hand hält ein vergoldetes Maßwerktürmchen. Im Arm befinden sich eine Oberarmreliquie des heiligen Cosmas und in Tücher eingeschlagene Reliquien des heiligen Damian, in dem Türmchen Reliquien der heiligen Barbara.3)

Maße: H. 72 cm; Dm. 17 cm; Bu. 0,3 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Domschatz Essen [1/2]

  1. + BEAT(R)IXa) · ABB(ATISS)A · ASNID(E)N(SIS) · DE · / HOLTHE · ME ·FIERI · FECIT · ·

Übersetzung:

Die Essener Äbtissin Beatrix von Holte ließ mich machen.

Kommentar

Die Schrift zeigt als typische Merkmale der gotischen Majuskel Bogenschwellungen (z. B. bei B, D, E, O, bei S ist der Mittelteil stark geschwollen) und keilförmige Verbreiterungen der freien Schaftenden (besonders bei A, I, L und T). Neben den kapitalen Buchstabenformen wurden runde Buchstaben wie unziales E mit Abschlussstrich, rundes N mit nach rechts umgebogenem Bogen und unziales H verwendet. Die Worttrennung erfolgt durch fünf- bzw. sechsstrahlige Sterne.

Das Armreliquiar wurde bislang in der kunsthistorischen Forschung als ein im frühen 14. Jahrhundert überarbeitetes älteres Stück behandelt. Dagegen konnte Melanie Prange zeigen, dass das ganze Reliquiar um 1300 hergestellt und allenfalls danach durch Einfügung der Tür umgearbeitet wurde. Laut Prange ist dieser Befund auch besser mit dem inszenierten Stifterbild der Äbtissin in Einklang zu bringen. Es handelt sich um ein spätes Beispiel für die Verwendung von Niello, das ab der Mitte des 13. Jahrhunderts nur noch vereinzelt eingesetzt wurde.4)

Beatrix von Holte wurde am 18. Januar 1292 zur Äbtissin gewählt;5) investiert wurde sie wegen anhaltender, auch vor Gericht geführter Auseinandersetzungen mit der Gegenäbtissin Irmgard von Wittgenstein, einer Nichte des Kölner Erzbischofs Siegfried von Westerburg, allerdings erst 1309. Da Beatrix von Holte spätestens ab 1293 als „abbatissa“ urkundete,6) kann der späte Termin der Investitur nicht als Indiz für eine spätere Datierung des Stiftervermerks ab 1309 verstanden werden. Von ihrer Vorgängerin Berta von Arnsberg übernahm Beatrix die Wiederaufbauarbeiten an der 1275 zu großen Teilen abgebrannten Münsterkirche und den Kampf um die Stiftsvogtei, die von Siegfried von Westerburg beansprucht wurde.7) Beim Wiederaufbau der Münsterkirche wurden die vom Feuer verschonten romanischen Bauteile wie Krypta, Westbau und Vierung mit gotischen Formen im Langhaus und im Chor verbunden.8)

Auf dem Stifterbild steht die betende Äbtissin in prachtvoller, pelzgefütterter Kleidung mit Wimpel und Weihel unter einer Arkade. Prange weist darauf hin, dass diese Darstellung nicht den typischen Stifterbildtypen mit Dedikation oder Devotion entspricht, sondern eher mit einer gängigen Art von Grabdenkmälern vergleichbar ist.9) Wie dort verläuft die Inschrift um die dargestellte Person. Die Stiftung des Armreliquiars mit der besonderen Stifterdarstellung reiht sich vermutlich in die Vorkehrungen ein, die die Äbtissin für die Sicherung ihrer Memoria traf. Dies wird durch die Rolle der heiligen Barbara als Patronin der Sterbenden unterstrichen. Das Türmchen kann als Attribut dieser Heiligen gesehen werden, allerdings besteht sicherlich auch ein Zusammenhang mit der Bautätigkeit der Äbtissin. Beatrix von Holte wurde vor dem von ihr gestifteten Altar der Maria Magdalena und der 10 000 Märtyrer begraben, ihr Anniversar wurde am 4. Dezember, dem Festtag der heiligen Barbara, begangen.10) Es ist denkbar, dass das Armreliquiar auf diesem Altar aufgestellt war, um an die Stifterin und ihre Wohltaten für das Stift zu erinnern.

Textkritischer Apparat

  1. I hochgestellt, zwischen T und X.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 34. Bei einer Inventarisierung 1797 wurde auf der Bodenplatte die Zahl 49 eingeschlagen, vgl. Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, S. 31.
  2. Zur Technik vgl. Bayer, Versuch, S. 98.
  3. Zu den Reliquien Prange, Beatrix von Holte, S. 193f.
  4. Vgl. Fritz, Inschriften, S. 90.
  5. Zu dieser Wahl Schilp, Binnenstrukturen, passim.
  6. Vgl. Essener UB 1, Nr. 203 (1293 Februar 22).
  7. Zur Auseinandersetzung des Stifts mit dem Kölner Erzbischof vgl. Schilp, Binnenstrukturen, passim, und Nr. 44.
  8. Das Baukonzept wurde vom Verhältnis des Stifts zum Kölner Erzbischof mitbestimmt. So orientierte sich der Bau des Essener südlichen Seitenschiffs zur Amtszeit Wikbolds von Holte, eines Verwandten von Beatrix, an den Chorseitenschiffen des Kölner Doms. Nach dessen Tod und während sich die Beziehungen zu Köln wieder verschlechterten, wurde der ursprüngliche Plan, das Langhaus in Anlehnung an westfälische Hallenkirchen zu bauen, wieder aufgenommen, vgl. Lange, Neubau, S. 101–106.
  9. Zum Folgenden Prange, Beatrix von Holte, S. 207–213.
  10. Ribbeck, Necrologium, S. 131.

Nachweise

  1. Didron, Jours, S. 326.
  2. Kat. Köln 1876, S. 538, Nr. 75.
  3. KDM Essen, S. 50, Nr. 10.
  4. Goebel, Münsterkirche, S. 46.
  5. Humann, Kunstwerke, S. 310, mit Tf. 43, 36.
  6. Arens, Münsterkirche, S. 58.
  7. ders., Liber ordinarius, S. 222.
  8. Küppers/Mikat, Münsterschatz, S. 79.
  9. Röckelein, Leben, S. 94.
  10. Prange, Beatrix von Holte, S. 191, mit Abb. 2, S. 192.
  11. Kat. Herne 2010, S. 285, Nr. A 17, mit Übersetzung und Abb. S. 274 (A. Pawlik).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 46 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0004606.