Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 45† Dom nach 1275–1297

Beschreibung

Glasfenster. Es befand sich an der Ostwand des Chors an der südlichen Seite, über dem Kiliansaltar.1) Inschrift A (Bildbeischrift?) lässt vermuten, dass die Essener Äbtissin Mathilde dargestellt war, vielleicht auch die Stifterin des Fensters, Mechthild von Hardenberg, worauf der Stiftervermerk (D) und die Fürbitte (E) schließen lassen. Diese Inschriften werden durch eine Bibelparaphrase (B) und ein häufig in liturgischen Texten verwendetes Bibelzitat (C) ergänzt.

Nach Nünning.2)

  1. A

    Mechtildis abbatissa hujus conventus olim mater pia

  2. B

    Janua patet quae paratae sunt intrent3)

  3. C

    Servite Domino in timore4)

  4. D

    Mechtildis de Hardenberg

  5. E

    Miserere famulae tuae Deus

Übersetzung:

Äbtissin Mechthild, einst die fromme Mutter dieses Konvents. (A) Die Tür steht offen. Diejenigen, die bereit sind, sollen eintreten. (B) Dient dem Herrn in Furcht. (C) Gott, erbarme dich deiner Dienerin. (E)

Kommentar

Die Gestaltung des Fensters und die Inschriften sind in die politische Situation, in der sich das Stift Ende des 13. Jahrhunderts befand, einzuordnen. Nach einem Brand 1275 wurde die Erneuerung großer Teile der Münsterkirche, vor allem von Langhaus und Chor, nötig.5) Äbtissin Berta von Arnsberg entschied sich für den Wiederaufbau als Hallenkirche, was Klaus Lange als Zeichen einer demonstrativen Unabhängigkeit des Stifts gegenüber dem Kölner Erzbischof gedeutet hat, war doch im Rheinland die Basilika der verbreitete Bautyp.6) Politischer Hintergrund hierfür war die Auseinandersetzung um die Essener Vogtei, die seit Mitte des 13. Jahrhunderts von den Kölner Erzbischöfen beansprucht wurde.7) In diesem Zusammenhang der Selbstdarstellung und Demonstration der Bedeutung des Stifts ist auch das Bildnis der Äbtissin Mathilde auf dem Glasfenster zu verstehen. Unter dieser Äbtissin erlebte das Stift eine besondere Blütezeit, die sich bis heute vor allem in mehreren herausragenden Kunstwerken zeigt.8) Auch im Liber ordinarius vom Ende des 14. Jahrhunderts wird sie als ‚mater’ im Sinne von Wohltäterin bezeichnet, dieser Ehrentitel ist in der Essener Memorialüberlieferung ansonsten nur Richeit, der angeblichen Mutter des Gründers Altfrid, und Gerswid, der Mitgründerin und ersten Äbtissin, vorbehalten.9) Im 1297 verfassten Testament der Stifterin Mechthild von Hardenberg, die 1292 erstmals als Essener Kanonikerin nachgewiesen ist,10) ist die Fensterstiftung nicht erwähnt,11) was darauf schließen lässt, dass das Fenster zu diesem Zeitpunkt bereits vorhanden war.

Für Mechthild von Hardenberg, deren Todestag der 5. August ist, ihre Schwester Helmburg und eine 1243 nachgewiesene Verwandte namens Mechthild sind in dem um 1300 geschriebenen Essener Nekrolog Memorien vermerkt, außerdem wird auf eine Güterstiftung hingewiesen.12)

Im Brüsseler Äbtissinnenkatalog wird behauptet, die Äbtissin Mechthild von Hardenberg sei in der Krypta vor dem Johannesaltar bestattet worden, bei ihrer Schwester Helmburg.13) Im Katalog des Essener Kanonikers Wirich Hiltrop findet sich der Zusatz, Äbtissin Mechthild von Hardenberg sei „mater pia vocata“, also mit dem Ehrentitel der ottonischen Äbtissin Mathilde bezeichnet worden.14) Hier ist also die Kanonisse Mechthild von Hardenberg mit der Äbtissin Mathilde verwechselt worden. So ist die fehlerhafte Wiedergabe der Inschriften bei Nünning zu erklären.15)

Die Bibelparaphrase in Inschrift B lehnt sich an das in Mt 5,11 erzählte Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen an. Das Gleichnis, das meist im Bezug zum Weltgericht gedeutet wird, war ein wichtiges Thema in der bildenden Kunst des Mittelalters.16) Besondere Verbreitung fand es in der gotischen Portalskulptur, es sind aber auch zahlreiche Darstellungen in Glasfenstern bekannt.17) Das an die Paraphrase anschließende Bibelzitat ist den Psalmen entnommen, als Initium begegnet es in Antiphonen für verschiedene Festtage.18)

Anmerkungen

  1. Müller, Geschichtsschreibung, S. 18. Ebenfalls auf einem Fenster im südlichen Teil des Chors, vermutlich auf einer Fensterbahn, die zum selben Maßwerkfenster gehörte, befand sich eine Darstellung des Königs Rudolf von Habsburg, vgl. Nr. 44.
  2. Nünning, dessen Angaben vermutlich auf Informationen von Ortmann basieren, überliefert im Gegensatz zu Bucelinus auch Inschrift E, außerdem macht er genauere Standortangaben, weshalb seine Aufzeichnungen als Editionsgrundlage herangezogen werden. Zusätzlich zu Inschrift B gibt er eine weitere Inschrift wieder, die allerdings inhaltlich nicht richtig ist und vermutlich auf einem Missverständnis Nünnings beruht: MECHTILDIS AB HARDENBERCH ABBATISSA. Er gibt an, diese Inschrift habe sich auf einem anderen Fenster befunden, dessen Standort er nur vage mit „ad orientem in capite summi chori“ angibt. Auch dies weist auf ein Missverständnis hin. Da diese Inschrift so mit großer Sicherheit nicht ausgeführt war, wird sie im Editionstext nicht wiedergegeben.
  3. Nach Mt 5,11.
  4. Ps 2,11.
  5. Lange, Neubau, S. 89.
  6. Ebd., S. 100.
  7. Zu den Auseinandersetzungen um die Essener Vogtei vgl. Geuer, Kampf, passim, und Nr. 44.
  8. Vgl. z. B. Nr. 6, 8, 10, 90.
  9. Derks, Gerswid, S. 42f.
  10. Essener UB 1, Nr. 196 (1292 Januar 18).
  11. Lange, Neubau, S. 102.
  12. Ribbeck, Necrologium, S. 79 (14. April), 84 (7. Mai),102 (5. August).
  13. Seemann, Aebtissinnen, S. 9, vgl. ausführlich Lange, Krypta, S. 170ff.
  14. Hiltrop, Catalogus, S. 457.
  15. Vgl. Anm. 2.
  16. K. Niehr, Art. Jungfrauen, kluge und törichte, in: LexMA 5 (1991), Sp. 807f.
  17. Zum Beispiel im Halberstädter Dom (Fitz, Glasmalereien, S. 497, Abb. 59f.; S. 498, Abb. 63f.; S. 500, Abb. 70f.; S. 502, Abb. 74f.) und in St. Blasius, Mühlheim (Richter, Glasmalereien, S. 41ff., Farbtafel IV, Abb. 42–57).
  18. CAO 3, S. 474, Nr. 4875, 4876.

Nachweise

  1. Overham, Annalen, S. 110 (A–C).
  2. Bucelinus, Germania 2, S. 145 (A–C).
  3. Müller, Geschichtsschreibung, S. 18 (= Nünning) (A–E).
  4. KDM Essen, S. 55 (A–D).
  5. Oidtmann, Glasmalerei 1, S. 184 (A–D).
  6. Ribbeck, Necrologium, S. 84, Anm. 5 (A–C).
  7. Arens, Liber ordinarius, S. 230 (A–D).
  8. Derks, Gerswid, S. 43 (A, C).
  9. Leenen, Selbstvergewisserung, S. 293.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 45† (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0004509.