Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 39 Werden, Schatzkammer St. Ludgerus 12. Jh.

Beschreibung

Handschuh (sog. Pontifikalhandschuh des heiligen Liudger).1) Leinen, Seide, Goldbrokat. Der Handschuh ist als nahtloses Gewebe in Maschenarbeit gefertigt und wahrscheinlich aus zwei Teilen zusammengesetzt, der obere Teil mit den vier Fingerlingen ist an den unteren Teil angenäht.2) Auf dem Handrücken ist ein goldbesticktes Medaillon angebracht, auf dem in einem Kreis die Rechte Gottes über einem griechischen Kreuz aufgestickt ist. Am Rand des Medaillons läuft die zugehörige Bildbeischrift um. Am Abschluss des gestrickten Handschuhs ist eine gewebte Seidenborte mit auf dem Kopf stehenden Tiermotiven (Vögel und Vierfüßler) angenäht.

Maße: L. 28 cm; B. 12,5 cm; Bu. 0,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/2]

  1. + DEXTERA D(OMI)NI3)

Übersetzung:

Die Rechte des Herrn.

Kommentar

Die Buchstaben sind in kleinen Stichen auf das Medaillon gestickt. Sie haben rechtwinklig angesetzte Striche als Sporen. A ist trapezförmig, leicht nach links geneigt und mit rechts überstehendem kurzem Deckbalken ausgestattet. Bei E sind nur am oberen Balken Sporen zu sehen, der Mittelbalken ist etwas verkürzt. Die Bögen bei D und R sind überstehend, beim R fehlt der untere Teil des Bogens, so dass nicht erkennbar ist, ob die Cauda am Bogen oder am Schaft ansetzt oder diesen gar nicht berührt. N ist sehr breit ausgeführt. Eine genaue Datierung der Inschrift allein anhand des paläographischen Befundes ist wegen der Herstellungsweise der sehr kleinen und nicht sehr zahlreichen Buchstaben nicht möglich. Die durchweg kapitale Gestaltung der Buchstaben und das trapezförmige A lassen die Einordnung schon in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts denkbar erscheinen, eine spätere Entstehung ist aber genauso gut möglich. Wegen der Form des Handschuhs und unter besonderer Berücksichtigung der Seidenborte, deren Herstellung in Sizilien (Palermo) vermutet wird, wurde der Handschuh zuletzt ins 12. Jahrhundert datiert.4) Der paläographische Befund steht diesem Datierungsansatz nicht entgegen.

Von den wenigen erhaltenen Pontifikalhandschuhen wurden einige in Bischofsgräbern gefunden,5) vielleicht stammt auch dieser Handschuh aus dem Grab des heiligen Liudger bzw. aus dem im 11. Jahrhundert nach der Erhebung seiner Gebeine hergestellten Schrein.6) Der Handschuh wird, wie auch Liudgers Kasel und Stola, erstmals 1512 in der Reliquienliste des Johannes Cincinnius erwähnt,7) davor wurde ihm aber eine im 13. bis 14. Jahrhundert in frühgotischer Minuskel auf Pergament geschriebene Authentik (Text: „Chirotheca Sancti Ludgeri Episcopi“) beigelegt. Während jedoch in der Reliquienliste auf die Herkunft von Kasel und Stola aus Liudgers Grab hingewiesen wird, fehlt eine solche Erklärung für den Handschuh. Möglicherweise wurden die sterblichen Überreste des Heiligen im 12. Jahrhundert neu eingekleidet.8)

Pontifikalhandschuhe (‚chirothecae’) wurden ab Anfang des 10. Jahrhunderts als Teil des bischöflichen Ornats verwendet, seit dem Ende des 11. Jahrhunderts kann ihr Gebrauch auch Äbten gestattet werden.9) Vielleicht kam der Handschuh nicht als Bischofs-, sondern als Abtshandschuh nach Werden und wurde dann dem heiligen Liudger zugedacht. Medaillons von den Handschuhrücken von Chirotheken sind mehrfach überliefert, besonders die Rechte Gottes mit den Umschriften Dextera Domini oder Dextera Dei, das Agnus dei, Maria und Christus waren beliebte Motive.10) Unter Papst Innozenz III. wurde die Vorschrift erlassen, Pontifikalhandschuhe mit goldenen Plättchen am Handrücken auszustatten.11)

Als ältestes Vergleichsbeispiel für den Werdener Handschuh kann die Darstellung eines Pontifikalhandschuhs auf dem in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts datierten Armreliquiar des heiligen Basilius im Essener Domschatz herangezogen werden.12) Dieser aus Silberblech und vergoldetem Kupfer bestehende „Handschuh“ ist ebenfalls mit einer Borte am Handschuhabschluss und einem Medaillon auf dem Handrücken ausgestattet. Auch dort ist die Rechte Gottes dargestellt, zusammen mit der Umschrift DEXTERA D(E)I.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 38.
  2. Vgl. Kat. Magdeburg 2006 1, S. 156, Nr. III.28 (B. Päffgen).
  3. Vgl. Ps 117 (118),16.
  4. Kat. Magdeburg 2006 1, S. 156, Nr. III.28 (B. Päffgen).
  5. Beispiele bei Braun, Gewandung, S. 376, 370; CIFM 21 (Yonne), Nr. 153, 156, 159, 163; DI 70 (Stadt Trier 1), Nr. 150.
  6. Zur Erhebung der Gebeine vgl. Nr. 26; zum Schrein Nr. 185.
  7. Diekamp, Vitae, S. 277.
  8. Päffgen nimmt die Einbalsamierung des Leichnams an, wogegen Diekamp, Reliquien, S. 52, Anm. 2 von normalem Verwesungsvorgang ausgeht, da anderes in den Viten Liudgers vermerkt worden wäre.
  9. Braun, Gewandung, S. 364, 367f.; ders., Paramente, S. 154f.; Papst Alexander III. bestätigte dem Kloster Werden 1176 gemäß alten Privilegien den Gebrauch der Pontifikalinsignien, es ist allerdings nicht bekannt, ob hierbei auch Pontifikalhandschuhe eingeschlossen waren, vgl. Pflugk-Harttung, Urkunden 2, Nr. 299 (1178–1179 Mai 25); Goetting, Papsturkundenfälschungen, S. 429.
  10. Braun, Gewandung, S. 374; Braun, Paramente, S. 156; DI 70 (Stadt Trier 1), Nr. 150.
  11. Innocentii III Romani Pontificis Mysteriorum evangelicae legis et sacramenti eucharistiae libri sex, de sacro altaris mysterio libri sex, 1, 57 (Migne, PL 217, Sp. 795); vgl. Braun, Gewandung, S. 374.
  12. Vgl. Nr. 27.

Nachweise

  1. Elbern, Erinnerungen, S. 21, mit Übersetzung.
  2. Kat. Essen 1999, S. 509, Nr. 371, mit Abb. und Übersetzung (N. G[ussone]).
  3. Kat. Magdeburg 2006 1, S. 156, Nr. III.28, mit Abb. und Übersetzung (B. Päffgen).
  4. DI 70 (Stadt Trier 1), Nr. 150, Anm. 11.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 39 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0003908.