Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 28† Dom, Westbau 2. H. 11. Jh.

Beschreibung

Wandmalereien. Das Figurenprogramm im Emporengeschoss des Westbaus hatte drei Hauptthemen, die in Bezug zueinander standen: die Erzengel und andere Engel, die Erscheinungen des auferstandenen Christus und das Jüngste Gericht. In der Kuppel war wohl das Jüngste Gericht mit Christus und dem Erzengel Michael abgebildet; eine in „römischen Großbuchstaben“ ausgeführte Inschrift (A) am Bogenrand der Kuppel war 1883 nur noch fragmentarisch zu erkennen.1) In der nördlichen Emporenkammer waren der Erzengel Raphael und an der Ostwand der Erzengel Gabriel, wie er dem Propheten Daniel erscheint, zu sehen. Gabriel trug ein Spruchband mit einem Bibelzitat als Bildbeischrift (B). In dem an die nördliche Emporenkammer anschließenden dreiteiligen Gewölbe war in der südlichen Kappe eine Gestalt mit Nimbus und Schriftband mit Resten einer Inschrift (C) zu erkennen, in der östlichen fünf nimbierte Gestalten, die zu Christus aufblickten. Wilhelm Tönnissen interpretierte die Szenen in den Durchgangsräumen zur nördlichen und zur südlichen Emporenkammer als Darstellungen des ungläubigen Thomas und der Begegnung von Christus mit den Jüngern in Emmaus.2)

Die Wandmalereien wurden während der Restaurierungsarbeiten 1883 aufgedeckt.3) Sie wurden wegen ihres nur noch fragmentarischen Erhaltungszustandes nicht restauriert, der Maler Otto Vorlaender dokumentierte lediglich 1897 den Befund. Mindestens zwei weitere, allerdings nicht mehr lesbare Inschriften waren zu diesem Zeitpunkt noch zu erkennen.4) Als Folge der Zerstörungen der Münsterkirche während des Bombenangriffs 1943 sind heute nur noch geringe Reste der Malereien erhalten, die Inschriften sind gänzlich verloren.5)

Nach Clemen (A) und Zeichnungen Otto Vorlaenders bei Clemen (B, C).

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

  1. A

    [ – – – ] P̣ẸC̣C̣ẠṬỌ [ – – – ]

  2. B

    EGRE(S)/SVS / SV(M) / VT / DO/CE/REM / TE6)

  3. C

    V[ – – – ]/ D[ – – – ] / RE[ – – – ] / IM[ – – – ] / M[ – – – ] / N[ – – – ]a)

Übersetzung:

Ich bin ausgegangen, damit ich dich belehre. (B)

Kommentar

Die Wandmalereien wurden vermutlich bald nach der Fertigstellung des Westbaus angebracht, jedenfalls wurden keine darunterliegenden Malereien gefunden.7) Die Konzeption des Westbaus und vermutlich auch die (teilweise?) Erbauung wird in jüngeren Untersuchungen wieder der Äbtissin Mathilde (um 973–1011) zugeschrieben.8) Denkbar ist allerdings, dass der Abschluss der Bauarbeiten erst unter ihrer zweiten Nachfolgerin, Äbtissin Theophanu (1039–1058), stattfand.9) Dazu passen die Überlegungen von Paul Clemen, der die Malereien aus stilistischen Erwägungen in die Zeit nach 1050 datierte.10) Leider kann ein paläographischer Befund der Inschriften, der ja nur auf Grundlage der Zeichnungen Vorlaenders festgestellt werden kann, keinen Hinweis zur Datierung geben. Vorlaender gibt ein kapitales E und zwei unziale E mit dünnen, aber doch deutlich gesetzten Abschlussstrichen wieder, die Buchstaben sind zudem mit ausgeprägten Sporen ausgestattet.11) Diese Art der Buchstabengestaltung würde eher ins 12. Jahrhundert weisen, die Zeichnung scheint jedenfalls nicht ausreichend vertrauenswürdig, um darauf eine paläographische Einordnung zu stützen.

Problematisch sind auch die Lesung und die Auflösung von Inschrift C von Tönnissen. Er interpretiert die Malereireste in dem an die nördliche Emporenkammer anschließenden dreiteiligen Gewölbe als Darstellung des ungläubigen Thomas und ergänzt die Inschriftenfragmente dementsprechend. Diese Interpretation erscheint zu unsicher, um Tönnissens Transkription und Ergänzung der Inschrift als Editionsgrundlage zu nehmen, zumal die Zeichnung von Vorlaender nur acht Buchstaben überliefert, davon zwei in abweichender Lesung zu Tönnissen. Inschrift A war bereits 1916 nicht mehr sichtbar, Clemen transkribiert nach Vorlaenders Zeichnung unter Vorbehalt PECCATO.12)

Die Thematik der Wandmalereien des Westbaus steht im Zusammenhang mit der liturgischen Nutzung, die für spätere Zeiten im Liber ordinarius der Essener Kanoniker vom Ende des 14. Jahrhunderts überliefert ist. Die dargestellten Erzengel stehen in Beziehung zum Altar des heiligen Michael, der seinen Platz auf der Empore im Westbau hatte.13) Vor diesem Altar wurde während der Osterfeier das Christusgrab, wichtigster Bestandteil der Feier, aufgestellt.14) Die Auferstehung ist hier schon durch die Szenen des auferstandenen Christus vorweggenommen.

Textkritischer Apparat

  1. (nisi) V(i)/D(e)/RE/IN/M(a)/N(i)/B(us) Tönnissen. Die Inschriftenreste sind nach Io 20,25 aufgelöst.

Anmerkungen

  1. Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 120f.
  2. Tönnissen, Wandmalereien, S. 148.
  3. Ebd., S. 143.
  4. Ebd., S. 147, 149; Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 110.
  5. Vgl. Zimmermann, Münster, S. 157.
  6. Dn 9,22.
  7. Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 125.
  8. Humann, Kunstwerke, S. 15ff.; Lange, Westbau, S. 83. Zimmermann, Münster, S. 265, spricht den Westbau Äbtissin Theophanu zu.
  9. Beuckers, Marsusschrein, S. 108f.
  10. Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 125f.
  11. Ebd., S. 114, Abb. 86. Tönnissen gibt die Inschrift in Minuskelbuchstaben wieder, er äußert sich nicht zur Schriftgestaltung.
  12. Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 120.
  13. Arens, Liber ordinarius, S. 263.
  14. Ebd., S. 57, 157f.; Bärsch, Feier, S. 145f.

Nachweise

  1. Tönnissen, Wandmalereien, S. 145 (B), 148 (C).
  2. KDM Essen, S. 37, mit Fig. 18 (B), 36 (B, C).
  3. Clemen, Roman. Monumentalmalerei, S. 120 (A), 112, mit Zeichnung Fig. 86, S. 114 (B), 117, mit Zeichnung Fig. 88 (C).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 28† (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0002808.