Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 27 Domschatzkammer 2. H. 11. Jh.

Beschreibung

Armreliquiar mit Reliquien des heiligen Basilius.1) Eichenholz, Silber, teilweise vergoldet, Kupfer vergoldet, getrieben, graviert, punziert. Über der spitzovalen, aufklappbaren Unterseite erhebt sich der aus vergoldetem Kupfer hergestellte Ärmel der Dalmatik mit angedeutetem Faltenwurf. In die mit einem Rankenornament verzierte Bordüre am schrägen Ärmelende ist die Inschrift mit Anrufung und Segenswunsch graviert (A). Unter der Dalmatik ist eine faltenreiche Albe dargestellt. Die Hand ist mit einem eng anliegenden Pontifikalhandschuh aus Silber bekleidet, der Stoff ist durch fein graviertes Fischgrätenmuster angedeutet. Der Handschuh ist am Handgelenk durch eine gravierte Borte aus vergoldetem Kupfer abgeschlossen. Auf dem Handschuhrücken befindet sich ein kreisrundes Medaillon aus vergoldetem Silber, darauf ist die rechte Hand Gottes mit Segensgestus vor dem Kreuz und umlaufender Bildbeischrift (B) eingeritzt. Zwischen Daumen und Zeigefinger des Armreliquiars befindet sich ein Bohrloch. Der Verbleib der Reliquien ist unbekannt.2) Das Armreliquiar wurde 1950 von Albert Classen gesäubert und restauriert, dabei wurde das Silberblech wieder angepasst und neu befestigt, dem Mittelfinger eine neue Silberhaube aufgesetzt und der Kern wegen Wurmbefalls behandelt.3)

Maße: H. 47 cm; L. 14,5 cm; B. 7,9 cm; Bu. 0,7 cm (A), 0,3 cm (B).

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Domschatz Essen [1/6]

  1. A

    + SERVE DEI VIVI BENEDIC NOS · SANCTE BASILIa) · +

  2. B

    + DEXTERA D(E)I4)

Übersetzung:

Heiliger Basilius, Diener des lebendigen Gottes, segne uns. (A) Die Rechte Gottes. (B)

Versmaß: Hexameter, leoninisch zweisilbig assonierend gereimt (A).

Kommentar

Beide Inschriften sind in romanischer Majuskel mit fast ausschließlich kapitalen Buchstabenformen ausgeführt. Als einzige runde Form tritt in beiden Inschriften unziales E (neben der kapitalen Form) auf. Die ganze Schrift wirkt linear, weist aber auch leichte Bogenverstärkungen (bei B und S) und bei der Cauda des R eine Bogenschwellung auf. Schaft- und Balkenenden sind in Inschrift A und B bei A und E leicht keilförmig verbreitert. Beide Inschriften weisen ausgeprägte, als Serifen gestaltete Sporen auf, überstehende Balken (E), Schrägschäfte (N) und Bögen (B, D und R) sind spornartig gestaltet. Vor und nach dem Heiligennamen stehen Punkte, die zur Auszeichnung dienen. In Inschrift B ist der Kürzungsstrich am oberen Zeilenrand zwischen die Buchstaben gesetzt.5)

Die Bekleidung des Armreliquiars mit einem Handschuh hat in den überlieferten Armreliquiaren aus romanischer Zeit kein Vergleichsbeispiel.6) Der Pontifikalhandschuh wird hier als Attribut des heiligen Basilius eingesetzt, er unterstreicht seinen Rang als Bischof von Caesarea.7) Handschuhe in liturgischem Gebrauch sind seit dem 9. Jahrhundert nachweisbar, seit dem 10. Jahrhundert gehören sie zu den offiziell anerkannten Bischofsinsignien.8) Das Medaillon entspricht einer Anweisung des Papstes Innozenz III. (1198–1216), nach der Pontifikalhandschuhe ein vergoldetes Plättchen auf dem Handschuhrücken haben sollten.9) Für solche Medaillons wurden hauptsächlich Metallplättchen verwendet, daneben waren aber auch Stickereien verbreitet.10) Häufig wurde die Rechte Gottes dargestellt, oft auch mit Bildbeischriften vergleichbar der Inschrift B.11) So wurden z. B. die gewebten und bestickten Medaillons mit der Rechten Gottes auf dem Bischofshandschuh aus dem Kloster Werden und auf einem Handschuh aus einem Bischofsgrab im Trierer Dom durch die Inschrift DEXTERA D(OMIN)I ergänzt.12) Dieser Wortlaut findet sich in der Vulgata, Psalm 117 (118),16, als direkte Vorlage ist aber ein liturgischer Text anzunehmen.13) Große Ähnlichkeit in der Gestaltung des Medaillons weist der sog. Pontifikalhandschuh des heiligen Liudger auf, auch hier wurde die Rechte Gottes mit dem Handrücken zum Betrachter dargestellt.14)

Das verwendete Versmaß, der zweisilbig assonierende leoninische Hexameter, ist selten in Inschriften überliefert, ein gewisser Schwerpunkt der Überlieferung ist in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts festzustellen.15)

In der schriftlichen Überlieferung des Essener Stifts wird das Reliquiar erstmals im Liber ordinarius genannt. In dieser Ende des 14. Jahrhunderts auf einer älteren Grundlage entstandenen Handschrift sind die liturgischen Gewohnheiten der Stiftskleriker festgehalten.16) Über das Armreliquiar wird berichtet, es sei am Tag des heiligen Stephanus (26. Dezember) in die Nikolauskapelle nach Stoppenberg getragen und dort auf dem Altar ausgestellt worden. Am 1. Januar, in der oströmischen Kirche der Festtag des heiligen Basilius, sei es wieder in die Münsterkirche zurückgebracht und von einem Priester in Empfang genommen worden. Dieser habe schließlich mit dem Armreliquiar den Segen erteilt.17) Auch in Inschrift A wird der Segen, der vom heiligen Basilius erhofft wird, thematisiert. Der Basiliusarm gehört zu den zahlreichen Armreliquiaren, deren Gebrauch als Segensspender überliefert ist.18)

Die Verbindung zu Stoppenberg gibt einen Hinweis auf die mögliche Auftraggeberin des Reliquiars, Svanhild von Hückeswagen (um 1058–um 1085). Die Essener Äbtissin gründete dort 1073 die Kapelle, die den Patronen Maria, Basilius, Nikolaus und Martin geweiht wurde.19) Möglicherweise hängt die Herstellung des Armreliquiars zeitlich mit der Weihe der Kapelle zusammen.

Ein Festtag des heiligen Basilius ist in den Essener Kalendarien des 10. Jahrhunderts nicht vermerkt, erst ein Kalendarium aus dem 12. Jahrhundert nennt den Heiligen am 14. Juni, seinem Festtag in der römischen Kirche.20) Auch der Liber ordinarius weist nicht explizit auf den 1. Januar als Festtag des Heiligen hin.21) Die Urkunde für Stoppenberg von 1073 und das Armreliquiar selbst sind der erste Beleg für die Verehrung des Heiligen in Essen, die Rückführung am 1. Januar lässt auf Kenntnisse über den Heiligen schließen, die im 12. Jahrhundert in Essen vielleicht nicht mehr vorhanden waren.

Textkritischer Apparat

  1. Am ersten I ist die Vergoldung stark abgerieben und die Kupferverkleidung eingerissen.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 33. Bei einer Inventarisierung 1797 wurde auf dem vergoldeten Ärmel die Zahl 52 eingeschlagen, vgl. Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, S. 31.
  2. Junghans, Armreliquiare, S. 28.
  3. PfA St. Johann Essen, Akte Nr. 73: Protokoll über die Restaurierungsarbeiten des Essener Münsterschatzes im Jahre 1950, ausgeführt von Goldschmiedemeister Albert Classen in Essen, vom 18.10.1950, S. 6, Nr. 12. Zum Erhaltungszustand vgl. auch Junghans, Armreliquiare, S. 27.
  4. Vgl. Ps 117 (118),16.
  5. Diese Position haben auch die Kürzungsstriche der Inschriften auf dem Rückendeckel des Burkhard-Evangeliars (2. H. 11. Jh.), vgl. Steenbock, Prachteinband, S. 163f., Nr. 71, Abb. 98.
  6. Junghans, Armreliquiare, S. 28.
  7. Der Pontifikalhandschuh steht hier für den bischöflichen Ornat als Attribut des hl. Basilius, vgl. J. Myslivec, Art. Basilius der Große, in: LCI 5 (1973), Sp. 338. Zum Zusammenhang zwischen Attribut und Inschrift an Reliquiaren vgl. Braun, Reliquiare, S. 721–725.
  8. Schwineköper, Handschuh, S. 28f.
  9. Innocentii III Romani Pontificis Mysteriorum evangelicae legis et sacramenti eucharistiae libri sex, de sacro altaris mysterio libri sex, 1, 57 (Migne, PL 217, Sp. 795); vgl. Braun, Gewandung, S. 374.
  10. Zahlreiche Beispiele und Abbildungen bei Braun, Gewandung, S. 374–378; vgl. auch Nr. 39.
  11. Vgl. die Beispiele aus Speyer, Trier und Troyes, mit vergleichbarer Umschrift aus Cahors bei Braun, Gewandung, S. 376f. Ein inschriftlicher Hinweis auf die Dextera Dei findet sich auch auf einem wohl in Köln hergestellten und heute in Kopenhagen befindlichen Armreliquiar der zweiten Hälfte des 12. Jh., vgl. Junghans, Armreliquiare, S. 93–103, Nr. 16.
  12. Vgl. Nr. 39; DI 70 (Stadt Trier 1), Nr. 150; vgl. auch die Grabpatene des Hildesheimer Bischofs Udo mit Darstellung der Rechten Gottes und der Umschrift DEXTERA DOMINI in DI 58 (Stadt Hildesheim), Nr. 30.
  13. C. M. M. Bayer, in: Junghans, Armreliquiare, S. 96f.
  14. Vgl. Nr. 39.
  15. Bayer, Entwicklung, S. 120.
  16. Vgl. Arens, Liber ordinarius, passim.
  17. Arens, Liber ordinarius, S. 29f., 145f.
  18. Vgl. Kroos, Umgang, S. 38; Junghans, Armreliquiare, S. 89ff., 93f.
  19. UB Niederrhein 1, Nr. 217 (1073 Januar 29); Essener UB 1, Nr. 31.
  20. Zilliken, Festkalender, S. 76; vgl. Ribbeck, Necrologium, S. 91.
  21. Arens, Liber ordinarius, S. 29f.

Nachweise

  1. Didron, Jours, S. 326.
  2. Kat. Köln 1876, S. 74f., Nr. 535 (B).
  3. KDM Essen, S. 49f., Nr. 9, mit Abb. 25,4.
  4. Kraus, Inschriften 2, S. 295, Nr. 644.
  5. Goebel, Münsterkirche, S. 48.
  6. Humann, Kunstwerke, S. 291ff., mit Tf. 39,2.
  7. Arens, Münsterschatz, S. 58.
  8. Küppers/Mikat, Münsterschatz, S. 74, mit Abb. 34.
  9. Küppers, Essen, S. 63, mit Abb.
  10. Kroos, Umgang, S. 38, mit Abb. 5.
  11. Reinle, Ausstattung, S. 137 (B).
  12. Hahn, Voices, S. 25, 27.
  13. Junghans, Armreliquiare, S. 89 (A), Nr. 4, S. 27.
  14. Toussaint, Gebein, S. 58.
  15. Kat. Bonn/Essen 2005, S. 268, Nr. 145, mit Abb. (M. J[unghans]).
  16. Bärsch, Kunstwerke, S. 32 (A).
  17. Kat. Essen 2009, S. 90, Nr. 18, mit Abb. (S. Hermann).

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 27 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0002701.