Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 18 Domschatzkammer 1039–1058

Beschreibung

Vortrage- und Reliquienkreuz (sog. Theophanu-Kreuz).1) Holz, Gold, Silber getrieben, Email, Perlen, Bergkristall, Edelsteine. Auf der Vorderseite im Schnittpunkt von Kreuzbalken und -stamm befindet sich eine ovale Goldplatte, auf der ein großer, ovaler Bergkristall mit Goldfiligran befestigt und von Edelsteinen und Perlen eingerahmt ist. Unter dem Kristall sind Kreuzesreliquien auf rotem Stoff zu sehen. Die Kreuzarme haben verbreiterte Balkenenden und sind in Rahmen und Innenfelder gegliedert. Auf dem Rahmen sind abwechselnd Emailtafeln und Edelsteine angebracht. Die Mittelfelder sind mit Filigran geschmückt. Auf den Balkenenden befinden sich je zwei Grubenschmelzplatten und ein Edelstein. Die Rückseite aus vergoldetem Kupferblech ist mit Darstellungen von Christus Pantokrator und Evangelistensymbolen in Medaillons graviert. Der erhaben getriebene Stiftervermerk befindet sich an den Seitenflächen des Kreuzes. Er ist nur noch fragmentarisch erhalten, einige Buchstaben sind leicht zerdrückt. Als Knauf dient ein fatimidischer Kristall.

Maße: H. 44,5 cm; B. 30 cm; Bu. 1,3 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

Domschatz Essen [1/7]

  1. ED[I]T[Aa) R]EGALI GENE/RE NO/BI/LIS ISSAb) / THE/OPHA/[NV] / [ – – – ] / [ – – – ] / HOCc) / [S – – –]d)

Übersetzung:

Die edle (Äbtissin) Theophanu, geboren von königlichem Geschlecht (...)

Versmaß: Hexameter?

Kommentar

Die Wörter der qualitätvollen Inschrift sind nicht durch Spatien getrennt, eine Ausnahme ist das breite Spatium vor ISSA. Die Schrift ist grundsätzlich von Kapitalisformen bestimmt, runde Formen wurden nur beim unzialen H und den beiden eingerollten G verwendet. Bei B und R setzen die Cauda bzw. der untere Bogen getrennt vom oberen Bogen am Schaft an, bei R ist die Cauda geschwungen und leicht verbreitert. Beim N reicht der Schrägschaft nicht bis zum Ende des unten spitz zulaufenden rechten Schaftes. A ist immer mit Deckbalken und gebrochenem Mittelbalken gestaltet, die Schrägschäfte stoßen stumpf aufeinander, wie das bereits bei der Inschriftentafel vom Ida-Kreuz (Nr. 5) zu beobachten ist. Wie N weist A in ISSA Linksschrägenverstärkungen auf, die bei den übrigen A allerdings nicht festzustellen sind. O ist leicht oval, alle Bögen sind mit dezenten Bogenverstärkungen ausgestattet. Alle Schäfte und Balken haben ausgeprägte Sporen.

Die Inschrift enthält einen offensichtlichen Fehler bei ISSA. Möglicherweise war dies bereits dem Goldschmied bewusst, denn hier wurde zwischen NOBILIS und ISSA ein deutliches Spatium gelassen, im Unterschied zu den Wortzwischenräumen der übrigen Inschriftenreste. Es kann sich an dieser Stelle nicht um eine missglückte Restaurierung handeln, da das Silberblech zwischen beiden Wörtern nicht unterbrochen ist, sondern von -BILIS bis THEOPHA[NV] durchgehend aus einem Stück besteht. Vermutlich sollte an der Stelle NOBILIS ABBATISSA stehen. Die zweite Fehlstelle, die am oberen Teil des Kreuzstamms an der linken Seitenfläche nach dem verbreiterten Balkenende beginnt und die restliche Inschrift betrifft, wird in der Literatur seit aus’m Weerth zu HOC [SIGNUM CRUCIS DEDIT] ergänzt,2) was, wenn es sich tatsächlich (wie wahrscheinlich) um Hexameter handelt, nicht stimmen kann. Die Inschrift bestand vermutlich aus mindestens zwei Hexametern, die Seitenflächen böten aber auch Platz für einen dritten Vers.

Die paarweise angeordneten Emails der Kreuzarme stehen möglicherweise in Verbindung mit der Trierer Egbert-Werkstatt und wurden vielleicht für die von Äbtissin Mathilde (um 973–1011) gestiftete Goldene Madonna hergestellt.3) Dabei könnten die leicht gebogenen Emailtafeln auf dem Querbalken und oberen Kreuzbalken vom Nimbus der Madonna stammen. Die Grubenschmelzplatten auf den Kreuzenden sind vielleicht byzantinischer Herkunft oder nach byzantinischen Vorbildern hergestellt.4)

Das Theophanu-Kreuz steht in Zusammenhang mit dem Kreuznagelreliquiar (Inv.-Nr. 8) und dem sog. Theophanu-Evangeliar mit seinem kostbaren Einband (Nr. 20), zwei weiteren Stiftungen der Theophanu. Das Kreuznagelreliquiar ist ebenfalls mit leicht gebogenen Emailtafeln geschmückt. Die drei Goldschmiedewerke wurden mit großer Wahrscheinlichkeit während der liturgischen Osterfeier verwendet.5)

Wie auch Theophanus Grabschrift (Nr. 21) nimmt der Stiftervermerk auf dem Vortragekreuz Bezug auf das Selbstverständnis der Äbtissin, Angehörige des ottonischen Königshauses zu sein. Theophanus Großvater mütterlicherseits war Kaiser Otto II., ihre Großmutter die Kaiserin Theophanu.

Textkritischer Apparat

  1. DEDIT Labarte, von Quast. Labarte, Recherches, S. 158f., missversteht die Inschrift als Stiftervermerk der Kaiserin Theophanu.
  2. Sic! ISSA dürfte für ABBATISSA stehen. Damit ergibt sich ein Hexameter, mit THEOPHANV beginnt vermutlich der nächste Vers.
  3. Das Wort befindet sich oben links am verbreiterten Ende des Kreuzschafts.
  4. Aus’m Weerth, Kunstdenkmäler 1,2, S. 28, gibt ein S an, das durch die erste korrekte Wiedergabe der Inschrift bei Humann, Kunstwerke, S. 153, bestätigt wird. Heute ist an dieser Stelle kein Silberblech mehr vorhanden.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 6. Bei einer Inventarisierung 1797 wurde an der Seite die Zahl 40 eingeschlagen, vgl. Pothmann, Kirchenschatzverzeichnis, S. 30, außerdem wurde das Kreuz im Reliquienverzeichnis von 1626 aufgenommen, vgl. Humann, Kunstwerke, S. 35, Nr. 30.
  2. Aus’m Weerth, Kunstdenkmäler 1,2, S. 28.
  3. Medding-Alp, Goldschmiedekunst, S. 35; Farbiges Gold, S. 12; Eckenfels-Kunst, Goldemails, S. 73.
  4. Kahsnitz, Emails, S. 134f.; Farbiges Gold, S. 12; Eckenfels-Kunst, Goldemails, S. 71f.
  5. Der Liber ordinarius, der den Gebrauch eines Evangeliars und dreier Vexillien (= Kreuzzeichen) während der Osterfeier näher beschreibt, führt nicht näher aus, um welche Vortragekreuze aus dem Essener Schatz es sich handelt. Einzig das Kreuznagelreliquar ist ausdrücklich genannt. Vgl. Arens, Liber ordinarius, S. 205f.; Bärsch, Feier, z. B. S. 245, 353; Beuckers, Otto-Mathilden-Kreuz, S. 76ff. Zum liturgischen Gebrauch des Theophanu-Evangeliars vgl. Nr. 20.

Nachweise

  1. A[...], Münsterkirche, S. 27.
  2. Labarte, Recherches, S. 159.
  3. von Quast, Beiträge, S. 262.
  4. aus’m Weerth, Kunstdenkmäler 1,2, S. 28, mit Tf. 24, 25.
  5. Kat. Köln 1876, S. 78, Nr. 560.
  6. KDM Essen, S. 45.
  7. Kraus, Inschriften 2, S. 295, Nr. 641.
  8. Goebel, Münsterkirche, S. 34.
  9. Humann, Kunstwerke, S. 153, mit älterer Literatur, mit Tf. 17,2, 19,4.
  10. Arens, Münsterkirche, S. 53.
  11. Kat. Amsterdam 1949, S. 26, Nr. 51.
  12. Messerer, Goldschmiedewerke, S. 53.
  13. Küppers/Mikat, Münsterschatz, S. 58, mit Tf. 21, 22.
  14. Grimme, Goldschmiedekunst, S. 40, mit Abb.
  15. Beuckers, Ezzonen, S. 91, Anm. 666, mit Abb. S. 92f.
  16. Pothmann, Kirchenschatz, S. 147.
  17. Fremer, Theophanu, S. 102, mit Abb. S. 103.
  18. Bodarwé, Sanctimoniales, S. 229, Anm. 235.
  19. Farbiges Gold, S. 12, mit Abb.
  20. Lange, Mahthildis, S. 107.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 18 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0001802.