Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 15 Dom, Ostkrypta 1051

Beschreibung

Steintafel mit Reliquienbezeichnung. Sandstein. Die Tafel ist über dem Kapitell des zweiten Wandpfeilers von Süden in die Ostwand eingelassen.1) Die achtzeilige Inschrift steht zwischen schwach eingeritzter doppelter Lineatur und innerhalb eines dünn eingehauenen Rechteckrahmens. Der Erhaltungszustand der Tafel ist schlecht, die Oberfläche ist an einigen Stellen abgeblättert, wodurch die nicht sehr tief eingehauenen Buchstaben in Mitleidenschaft gezogen wurden. Besonders ab Zeile 4 haben Absplitterungen und wohl ein eingeschlagener und wieder entfernter Haken die Tafel beschädigt.2) Die Ergänzungen erfolgen nach der ältesten Überlieferung, einem bei Franz Xaver Kraus gedruckten Faksimile.3) Die Buchstaben wurden mehrfach farbig gefasst, zuletzt 1972.4) Die letzte Nachzeichnung der Buchstaben, die nach der Lesung und Rekonstruktion der Inschrift von Karl Joseph Klinkhammer vorgenommen wurde, folgt nicht immer den eingehauenen Linien. Der zugehörige Altar war den Heiligen Johannes Baptista und Johannes Evangelista geweiht. Er wurde Mitte des 18. Jahrhunderts abgebrochen, aber bereits wenige Jahre später, vor 1770, wieder aufgebaut.5)

Ergänzungen nach Kraus.

Maße: H. 41 cm; B. 38 cm; Bu. 1,8–2 cm.

Schriftart(en): Romanische Majuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften [1/1]

  1. IN HOC · ALTARI CONTI/NENTVR RELIQVIAE S(AN)C(T)O/RV(M) IOH(ANNIS) BAPT(ISTAE) · IOHANN(IS) / EVVANG(ELISTAE) · MA[THEI]a) E[VV]ANG(ELISTAE) / QVINTIN[I M(A)R(TYRIS) ·DIOMISII]b) / RVSTICI GEORGIIc) CLE/MEN[TIS] BLASII ·INNO/CENTIV(M) GORGONII

Übersetzung:

In diesem Altar sind Reliquien der Heiligen Johannes Baptista, Johannes Evangelista, Matthäus Evangelista, des Märtyrers Quintinus, Dionysius, Rusticus, Georg, Clemens, Blasius, der (heiligen) unschuldigen (Kinder), (des heiligen) Gorgonius enthalten.

Kommentar

Wegen des schlechten Erhaltungszustandes und der Übermalungen ist es an einigen Stellen nicht mehr möglich, den ursprünglichen Buchstabenbestand zu erkennen. Besonders stark sind die Zerstörungen in Zeile 4 und 5. Die noch sichtbaren Reste der Schäfte in Zeile 4 decken sich mit den Lesungen bei Kraus und Klinkhammer. Problematischer ist Zeile 5, da hier zwischen dem anhand der Schäfte rekonstruierbaren QVINTINI und dem von Kraus noch gelesenen DIOMISII eine Lücke mit Schäften und einem Kürzungsstrich bleibt. Kraus überliefert durch Nexus litterarum verbundenes M(A)R(TYRIS). Obwohl Klinkhammer dagegen einwendet, dass auf den drei Inschriftentafeln keiner der Märtyrer gesondert als solcher bezeichnet wird und es nur einen Heiligen mit Namen Quintinus gibt, so dass der Zusatz ‚Märtyrer’ nicht nötig ist,6) dürfte diese Lesung immer noch die wahrscheinlichste sein. Die Inschrift ist in Scriptura continua eingehauen, die Abstände zwischen den Buchstaben sind nicht einheitlich und innerhalb einiger Wörter besonders weit, wie z. B. in Zeile 2 in RELIQVIAE und in Zeile 3 in IOHANN(IS). Die halbkugelig vertieften Punkte als Worttrenner wurden nicht gleichmäßig verwendet. Der Buchstabenbestand ist im Grundsatz kapital bestimmt. An runden Formen wurden unziales E bei EVVANG(ELISTAE) und eingerolltes G in GORGONII verwendet.

Die Inschrift stimmt in der Gestaltung des Inschriftenträgers und der Schrift mit dem Weihevermerk von 1051 und den beiden Reliquienbezeichnungen, die an den anderen drei Wandpfeilern angebracht sind, überein.7) Sie wird deshalb ebenfalls in das Jahr 1051 datiert. Der Altar ist der mittlere der drei Kryptaaltäre. Er wird im Gegensatz zu den anderen beiden Altären (ARA) als ALTAR bezeichnet, was auf seine Funktion als Hauptaltar der Krypta hinweist.8)

Die Festtage aller genannten Heiligen sind in den Essener Kalendarien des 10. Jahrhunderts eingetragen.9) Bereits im 10. Jahrhundert war Johannes Baptista eine Kapelle im Westen der Münsterkirche geweiht worden, 1264 wurde die daraus hervorgegangene Johanneskirche zur Pfarrkirche erhoben.10) Reliquien der Heiligen Clemens und Dionysius waren in zwei im 11. Jahrhundert beschrifteten Altarsepulchren enthalten,11) die von Dionysius’ Gefährten Rusticus sind dort allerdings nicht erwähnt. Spätestens zu Beginn des 13. Jahrhunderts stand im südlichen Querhaus der Münsterkirche ein dem heiligen Georg geweihter Altar.12) Der Heilige wird inschriftlich auf einem 1385 gestifteten Reliquiar genannt; allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass darin Reliquien des Heiligen enthalten waren.13) Der heilige Gorgonius war für die Essener Gemeinschaft von besonderer Bedeutung, weil an seinem Festtag die von Äbtissin Theophanu in Auftrag gegebene Krypta im Jahr 1051 von ihrem Bruder, dem Kölner Erzbischof Hermann II., geweiht wurde und der Dedikationstag folglich immer am Tag des Heiligen gefeiert wurde.14)

Textkritischer Apparat

  1. MATHIE KDM Essen, Arens, Weigel.
  2. Sic! Verhauen oder verlesen für DIONYSII. I über M hochgestellt.
  3. GEORGII] SANCTORUM KDM Essen, Braun, fehlt bei Arens. S(AN)C(T)ORVM Zimmermann.

Anmerkungen

  1. Vgl. Nr. 13, 14, 16.
  2. Klinkhammer, Inschriften, S. 179.
  3. Kraus, Inschriften 2, S. 294, Nr. 640,3.
  4. In den 1930er Jahren waren die Tafeln mit Ölfarbe angemalt, die durch die Luftfeuchtigkeit in der Krypta abblätterte, vgl. Conrad, Epigraphik, S. 31, Anm. 7.
  5. Arens, Liber ordinarius, S. 268.
  6. Klinkhammer, Inschriften, S. 180.
  7. Vgl. Nr. 13, 14, 16.
  8. Braun, Altar 1, S. 33.
  9. Bodarwé, Martyrs, S. 364f.
  10. Essener UB 1, Nr. 99 (1264 November).
  11. Vgl. Nr. 30 und 32.
  12. Abel, Altäre IV, S. 87.
  13. Vgl. Nr. 59.
  14. Vgl. Nr. 13; Arens, Liber ordinarius, S. 107, 188.

Nachweise

  1. KDM Essen, S. 24.
  2. Kraus, Inschriften 2, S. 294, Nr. 640,3.
  3. Arens, Liber ordinarius, S. 265.
  4. Braun, Altar 1, S. 723.
  5. Zimmermann, Münster, S. 250.
  6. Klinkhammer, Inschriften, S. 181, mit Abb. 4, S. 191 und Übersetzung.
  7. Funken, Bauinschriften, S. 88, Nr. 3.
  8. ders., Anmerkungen, S. 333, mit Abb. 4.
  9. Weigel, Wachszinsrecht, S. 107, Anm. 439.
  10. Bodarwé, Martyrs, S. 364f.
  11. Lange, Krypta, S. 162.
  12. Bodarwé, Sanctimoniales, S. 203.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 15 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0001501.