Inschriftenkatalog: Stadt Essen

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 81: Stadt Essen (2011)

Nr. 11 Domschatzkammer nach 1049

Beschreibung

Rundes Altarsepulchrum mit Deckel.1) Blei. Die Dose und der Deckel sind dickwandig und aus je einem Stück getrieben. In die Innenseite des Deckels ist eine Reliquienbezeichnung eingeritzt. Dose und Deckel waren ursprünglich kreuzweise mit einem Band verschnürt. In der Dose befinden sich in Stoff gehüllte Reliquien, die teils stark vergangen sind. Das Behältnis befand sich möglicherweise zusammen mit Nr. 52 im 1755 abgerissenen Florinusaltar.2)

Maße: H. 4,8 cm; Dm. 6,2 cm (Dose); H. 0,8 cm; Dm. 6,6 cm (Deckel); Bu. 0,2 cm.

Schriftart(en): Karolingische Minuskel mit Versalien.

Domschatz Essen [1/1]

  1. Reliq(uiae) S(ancti) Florini / cuniberhti · Liud/geri · Galli · Amandi / Othelrici · Remigii / thrudonis · Hie/ronimi

Übersetzung:

Reliquien der Heiligen Florinus, Kunibert, Liudger, Gallus, Amandus, Ulrich, Remigius, Thrudo, Hieronymus.

Kommentar

Die Inschrift ist in Schriftart und Ausführung vergleichbar mit den Inschriften in den Deckeln sieben weiterer bleierner Altarsepulchren aus dem Essener Domschatz.3) Es handelt sich um eine Buchschrift, die aufgrund der Herstellungstechnik und des Materials eckiger ausfällt als in vergleichbaren Handschriften, die mit der Feder auf Pergament geschrieben wurden. d wurde in der runden und in der geraden Form ausgeführt, bei g ist der an den Schaft anschließende untere Bogen eckig und nach rechts verschoben.4) Die Versalien entstammen der römischen Capitalis rustica. Das G, bei dem sich Bogen und Cauda schneiden, wurde auch in Nr. 33 so ausgeführt. Die Schaftenden haben häufig schwungvolle Anstriche und einfache Brechungen am unteren Schaftende.

Den aufgeführten Heiligen wurde im Stift Essen unterschiedliche Verehrung zuteil. Mit Ausnahme des heiligen Ulrich sind alle in mindestens einem der drei im 10. Jahrhundert erstellten und in Essen verwendeten Kalendarien verzeichnet.5) Zu einer Gruppe von westfränkischen Heiligen lassen sich Amandus, Trudo und Remigius zusammenfassen. Das Fest des heiligen Remigius wurde in Essen nicht an seinem Todestag, dem 13. Januar, sondern am 1. Oktober begangen, dem Tag der Erhebung und Überführung seiner Gebeine in die Kathedrale von Reims im Jahre 1049.6) Dies lässt den Schluss zu, dass die in Essen vorhandenen Reliquien bei dieser Gelegenheit vom Körper des Heiligen abgetrennt und nach Essen überführt wurden. Die Zusammenstellung der Reliquien in dem Altarsepulchrum ist vermutlich also erst nach 1049 erfolgt. In liturgischen Handschriften aus Essen finden sich Messtexte und Antiphonen für den heiligen Remigius.7)

Mit Florinus, Gallus und Ulrich werden drei dem alemannischen Raum entstammende Heilige aufgezählt.8) Reliquien des wohl im 7. Jahrhundert in Ramosch (Kanton Graubünden, Schweiz) als Priester wirkenden Florinus gelangten als Geschenk des schwäbischen Herzogs Hermann I., des Großvaters der Essener Äbtissin Mathilde, ins spätere Kanonikerstift St. Florinus in Koblenz.9) Teile dieser Reliquien wurden während des Abbatiats von Mathilde bis spätestens 986 nach Essen gebracht. Die besondere Verehrung des Heiligen in Essen ist durch einen Ende des 10. Jahrhunderts in einer Essener Handschrift eingetragenen Hymnus zur Translation seiner Gebeine nach Koblenz und durch ein an ihn gerichtetes Gebet belegt.10) Zu welchem Zeitpunkt der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erstmals erwähnte Florinusaltar gestiftet wurde, ist nicht bekannt. Die Weihe dieses Altars wurde allerdings gemeinsam mit der Weihe der Kirche und acht anderer Altäre am Tag des heiligen Kilian (8. Juli) gefeiert. Reliquien des heiligen Florinus befinden sich auch in dem Kristallzylinder eines kleinen Ostensoriums im Domschatz.11)

Reliquien der Heiligen Gallus und Ulrich sind sicherlich ebenfalls über die familiären Verbindungen der Äbtissin Mathilde nach Essen gekommen. Beide stehen in Verbindung mit dem Kloster Einsiedeln (Kanton Schwyz, Schweiz), in dem Mathildes Mutter Reginhild ihre Grablege fand und dem sie selbst eine Schenkung machte. In der Essener Sakramentarhandschrift D2 finden sich dem heiligen Gallus gewidmete Messtexte.12)

Die Reliquien des heiligen Kunibert stammen wahrscheinlich aus Köln, wo der Heilige von 623 bis 663 als Bischof wirkte. Vermutlich direkt aus dem 799 gegründeten Kloster Werden kamen die Reliquien des heiligen Liudger nach Essen. Seine Verehrung in Essen ist durch Messtexte in liturgischen Handschriften des 10. Jahrhunderts belegt.13) Der heilige Hieronymus ist schon durch seine in mehreren Evangeliaren des 10. und 11. Jahrhunderts enthaltenen Schriften und ihm gewidmete Messtexte in Essen präsent.14)

Das Altarsepulchrum enthält also Reliquien, die z. T. schon während des Abbatiats der Äbtissin Mathilde (um 973–1011) nach Essen gelangt sind. Die Zusammenstellung in einem Behältnis ist aber vermutlich erst in der Regierungszeit der Äbtissin Theophanu erfolgt.

Anmerkungen

  1. Inv.-Nr. 225 (E/r2).
  2. Zum Abbruch der Altäre 1755 Arens, Liber ordinarius, S. 268. Der Florinusaltar befand sich im nördlichen Seitenschiff hinter dem dritten Pfeiler von Osten.
  3. Nr. 17, 29, 30 , 31, 32, 33, 34; vgl. Einleitung 5. 6.
  4. Vgl. auch die Schriftausführung bei Nr. 17 und 31.
  5. Vgl. die Übersicht bei Bodarwé, Martyrs, S. 362. Die Kalendarien sind in den Handschriften Ms. D1, Ms. D2 und Ms. D3 in der ULB Düsseldorf enthalten; zu den Handschriften vgl. Bodarwé, Sanctimoniales, S. 389–397.
  6. Kat. Paderborn 2009, S. 452, Nr. 176 (H. R[öckelein]).
  7. Bodarwé, Sanctimoniales, S. 391, 393, 396f.
  8. Die Herkunft der Reliquien in den Altarsepulchren und die Verehrung der Heiligen in Essen wurden von Röckelein, Kult, passim, untersucht. Bodarwé, Martyrs, S. 362, stellt die Einträge der Heiligen in Essener Kalendarien des 10. Jh. und zugehörige Messtexte zusammen. Auf diesen Ergebnissen basieren die folgenden Erläuterungen.
  9. Zur Bedeutung dieses Heiligen in Essen Röckelein, Kult, S. 60–66.
  10. Ebd., S. 85f.
  11. Nr. 69.
  12. ULB Düsseldorf, Ms. D2. Bodarwé, Martyrs, S. 362; dies., Sanctimoniales, S. 392ff. Eine im 3. V. des 10. Jh. von einer Essener Schreiberin hergestellte Abschrift der von Walahfrid Strabo verfassten Vita St. Galli (Bern, Burgerbibliothek, Cod.477, vgl. ebd., S. 369f.) befand sich vielleicht zeitweilig im Stift: ebd., S. 270.
  13. Bodarwé, Sanctimoniales, S. 390, 394; S. 269, 337. Wahrscheinlich war im Stift auch eine Vita vorhanden.
  14. Ebd., S. 410, 439, 446; 391, 394.

Nachweise

  1. Bodarwé, Martyrs, S. 362.
  2. Röckelein, Reliquienbehältnisse, S. 143, mit Abb. 12, S. 130.

Zitierhinweis:
DI 81, Stadt Essen, Nr. 11 (Sonja Hermann), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di081d007k0001103.