Inschriftenkatalog: Enzkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 22: Inschriften Enzkreis (1983)

Nr. 8† Maulbronn, Kapitelsaal 1274

Beschreibung

Grabstein des Hofkanzlers Otto von Bruchsal. Aus dem Kapitelsaal 1849 bei Baumaßnahmen entfernt. Material unbekannt, Schrift gotische Majuskel. Die Nachzeichnungen geben eine hochrechteckige Platte mit Umschrift zwischen Linien wieder, die auf der rechten Längsleiste beginnt und sich mit vier Zeilen im Mittelfeld oben fortsetzt.

Wortlaut nach Jenisch.

© Württembergische Landesbibliothek Stuttgart [1/1]

  1. O BONITAS CHRISTI, SVCVRRE, PRECOR, MICHI TRISTIOTTONI SCELERATORI PECCATA LVENTI,CANCELLAM REGNI MODERANS VIRTVTE POTENTI,QVI VERMIS NVNC ATQVE CINIS VOCOR ISTA LEGENTI.VNDE PATER VENIEa) VENIAM DA TE SICIENTI.ME SACIENS,b) TE PANE FRVENS, IN LVCE FREQVENTI.

Übersetzung:

O Güte Christi, komm mir zu Hilfe, ich bitte dich, in meiner Trauer. Mir dem elenden Otto, der ich die Sünden abbüße, der ich, nachdem ich die königliche Kanzlei mit Tüchtigkeit und Macht geleitet habe, jetzt Asche und Wurm genannt werde von dem, der dies liest. Der ich daher, Vater der Verzeihung, nach Verzeihung von dir dürste: sättige mich, nähre mich mit dir selbst als Brot in der Fülle des Lichtes.

Kommentar

Die Zuweisung der Grabschrift an Otto von Bruchsal kann aus dem Inhalt erschlossen werden, Otto von Bruchsal wurde 1249, Febr. 1 Domherr zu Speyer, war seit 1259 Nov. Dompropst von St. Guido in Speyer und Hofkanzler König Rudolfs von Habsburg1. Als Hofkanzler trat er 1274, April 9 eine Romreise im Auftrag des Königs an und wird im gleichen Jahr (Juni 6) noch als Beauftragter des Königs in Lyon genannt2. Da er später nicht mehr erwähnt wird und das Speyerer Totenbuch für den 4. August 1274 seinen Tod verzeichnet, muß er nach der Frankreichreise verstorben sein3. Die Verse – vielleicht von Otto von Bruchsal selbst verfaßt? – geben dem Verständnis einige Schwierigkeiten auf; sie müssen sprachlich als eine große symmetrische Klammer-Periode aufgefaßt werden, bei der Vers 5 einen Rückgriff auf die Partizipialkonstruktion von Vers 2 darstellt, während Vers 6 den syntaktischen Anschluß zu Vers 1 bildet4. Hexameter mit Endreim in allen Versen, leoninische Reime in Vers 1, 2, 3, Binnenreime in Vers 2, 4 und 6.

Textkritischer Apparat

  1. Zu lesen ist veniae (Or. e-caudata?).
  2. Wohl falsch überliefert statt sacians.

Anmerkungen

  1. Remling UB. I 241, nr. 257. – Remling, Geschichte I 511, Anm. 1288. – Als Hofkanzler Rudolf von Habsburgs (seit 1273, Sept?) war Otto von Bruchsal vielleicht Anreger der 1273, Dez. 13 in Speyer ausgestellten Urkunde für Kloster Maulbronn; Klunzinger, UrkGeschichte Reg. 17.
  2. Remling, Geschichte I 522, Anm. 1318.
  3. Ebd. 511, Anm. 1288. – Ein Neffe (?) gleichen Namens stiftet 1278 eine Pfründe an den Altar des hl. Petrus im Dom zu Speyer: Remling, Geschichte I 123.
  4. Aktivische Bildung von frui? Oder war im Original zu lesen me sacians te pane. Fruentem luce fruenti? Eine Verlesung em zu in wäre denkbar. Dann fiele der Binnenreim in Vers 6 weg.

Nachweise

  1. Jenisch 72. - Jenisch II p. 143. - WürttLB. Cod. hist. 2° 311, 58. - WürttLB. Cod. hist. 4° 217, 8. - Wickenburg II 229. - OABMaulbronn 163. - Paulus, Maulbronn 2(1884) 82.

Zitierhinweis:
DI 22, Inschriften Enzkreis, Nr. 8† (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di022h008k0000809.