Inschriftenkatalog: Enzkreis
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 22: Inschriften Enzkreis (1983)
Nr. 71 Niefern (Gem. Niefern-Öschelbronn), ev. Pfarrkirche um 1430/40
Beschreibung
Wand- und Gewölbemalerei-Zyklus im Chor. Die vollständige Ausmalung des relativ großen spätgotischen Chores einer Dorfkirche (die Wände und Gewölbe) wurde 1892 bei Erneuerungsarbeiten an der Kirche entdeckt, 1903–1907 freigelegt und restauriert. Dabei stellte sich als Ergebnis heraus, daß die ursprüngliche Ausmalung zur Zeit des weichen Stils (etwa drei bis vier Jahrzehnte nach Erbauung des Chores) erfolgt ist; im frühen 16. Jahrhundert wurden alle Malereien übergangen und teilweise auch einer neuen baulichen Situation (Zumauerung eines Fensters) angepaßt. Eine nicht mehr mit Sicherheit lesbare Datierung verweist die zweite Malschicht in das beginnende 16. Jahrhundert; eine Scheidung beider Malschichten ist nur in Einzelfällen vermerkt, wo sie durch stichhaltige Indizien gesichert ist.
Maße: Bu. ca. 6–7 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
Textkritischer Apparat
- So in KdmBaden IX 7, 176.
- Ergänzt nach KdmBaden IX 7, 176.
- Heute fast ganz verblaßt, ergänzt nach KdmBaden IX 7, 176.
- Name des Propheten nicht leserlich.
- Heute fast ganz verblaßt, ergänzt.
- KdmBaden IX 7, 172 ergänzt vorn renovatum, bei der Jahreszahl die Ziffern 09. Letzter Ergänzung zweifelhaft.
- Tironische et-Kürzung.
- Tironische et-Kürzung.
- So für Christi.
- Tironische et-Kürzung.
Anmerkungen
- Jes. 42, 10.
- 1. Petr. 1, 25.
- Za. 9, 13.
- Os. 13, 14 (danach ergänzt). – Name des Propheten ergänzbar: Osea?
- Jes. 7, 4.
- Nach Jer. 3, 4?
- Matth. 3, 17.
- Ps. 2, 7.
- Nach Dan. 9, 26.
- Am. 9, 6.
- Abd. 21.
- Nach Matth. 28, 18–20; Luc. 24, 47–49, Apg. 1, 8 nicht zu belegen; die Überlieferung stammt aus einem pseudo-augustinischen Sermo des 6. Jahrhunderts, die sich als Bildmotiv großer Beliebtheit erfreute und weit verbreitet war. – Vgl. LThK. 2I 760.
- Nach Marc. 16, 15.
- Dazu E. Mâle, Les saints compagnons du Christ. Paris 1958. – RDK I 811ff. – Lexikon d. Christl. Ikonographie I (1968) 150ff. – G. H. Mohr, Lexikon der Symbole, 19764, 34ff. (Anordnung der Apostelreihe, Zuordnung der Artikel).
- Vgl. dazu unten über das mögliche Datum der Kirchweihe.
- Zum Heilsspiegel u. seinen Texten E. Breitenbach, Speculum humanae salvationis (Studien z. dt. Kunstgeschichte 272), Straßburg 1930.
- Zur Ikonographie der Wurzel Jesse s. Lexikon d. Christl. Ikonographie IV (1972) 549ff. – O. Böcher, in: Mainzer Zeitschrift 67/68 (1972/73) 153–168.
- Jes. 11, 1.
- Nach Jes. 11, 1?
- Ps. 44, 3.
- KdmBaden IX 7, 170. – Sabina falsch restauriert? Da bereits 1445 eine Frühmeßpfründe für einen Altar der weiblichen Heiligen Katharina, Magdalena, Ottilie und Elisabeth nachzuweisen ist, dürfte es sich um diesen Altar – bzw. seinen Nachfolger – handeln.
- KdmBaden IX 7, 170 bezieht die Inschrift auf die Lettnerweihe. Es wäre aber äußerst ungewöhnlich, dieses Datum mit semper (zu ergänzen wäre celebratur) zu fixieren, zumal dem Lettner ja keine liturgische Funktion im eigentlichen Sinne eignete. Für eine Kirchweihe lag in der Erinnerung an die jährliche Feier eine Notwendigkeit.
- Ps. 43, 3.
- Apostelzyklen im vorliegenden Band s. nr. 142 (Kieselbronn), nr. 143 (Gräfenhausen). Im weiteren Umkreis in Gondelsheim, in Helmsheim und Zeutern; vgl. DI. XX (Großkreis Karslruhe) nr. 36, nr. 124, nr. 125.
- Amtl. Kreisbeschreibung V 575.
Nachweise
- Kdm IX 7, 179ff.
Zitierhinweis:
DI 22, Inschriften Enzkreis, Nr. 71 (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di022h008k0007102.
I. Gewölbezone im Chor. Die figürlichen Malereien der Gewölbezonen vor grün-rotem Rankenwerk mit weißen Blüten. A. In den 6 Gewölbekappen des Chors Gottvater mit Engeln und Evangelistensymbolen. Je ein Engelspaar trägt ein Schriftband mit Aufschrift und Noten:
Gloria · in excelsis · / et · in · terra · pax·/
Geflügelter Löwe, in den Klauen Schriftband:
Sanctus · marcus / Ewangelista /
Geflügelter Stier, in den Hufen Schriftband:
Sanctus · / · lvcas · /Ewangeli/sta./
Adler, in den Fängen Schriftband:
Sanctus iohannes / Ewang/elista·/
Sitzender Engel, der mit der Linken auf das Schriftband weist:
· Sanctus · / matheus · Evangelista /
In den Zwickeln der Westkappe je 3 Engel, davon 2 mit Inschriftband, der dritte mit Leidenswerkzeugen:
· crucifixvs · pro · nobis · / · passvs · et · sepvltvs · est ·
B. In den 4 Gewölbekappen des Vorjoches die 4 Kirchenlehrer, jeweils mit aufgeschlagenen Büchern, Gregor d. Gr. und Hieronymus begleitet von Engeln. Inschriften auf den aufgeschlagenen Büchern und den Schriftbändern der Engel. Gregor d. Gr. (mit Tiara); auf dem Buch:
[San. . . . . / ac tu . tie . . ./tuaru. . ./ . . .rum / . . ./ . . . .]/a)
Auf dem Spruchband des Engels:
cantate / domino · canticvm · novvm /1)
Augustinus (mit Mitra); auf dem Buch:
[tu ecce / panem / . . ./. . . s. ihn / s. avgv/stinvs / doctor / ec(clesiae)]b)
Hieronymus (m. Kardinalshut); auf dem Buch:
omnes / gentes / meos Sancto /mul[. . .]
Auf dem Spruchband des Engels:
Verbvm · Domini / manet · in/ aeternvm·/2)
Ambrosius (mit Kappe); auf dem Buch:
propter / nostram / salutem / et pe[. . ./hamo /repratem /aetern/. . .]c)
II. Wandflächen. Auf der Nordwand, Westwand und auf der nördlichen Chorschlußwand zusammengehöriges Bildprogramm: Gottvater und Propheten, Christus und das Apostelkollegium. In der oberen Zone Gottvater und Propheten, jeweils mit Beischriften und Spruchbändern; in der unteren Bildzone Christus mit Aposteln, Beischriften im unteren Rahmenstreifen. Beide Zonen trennt ein dreizeiliger Inschriftstreifen mit den Artikeln des Credos. Teilweise verblaßte und nicht mehr leserliche Schrift; durch die Wiederöffnung des ehemals (mit Rücksicht auf die Ausmalung) zugemauerten Nordfensters ist das Programm der Gesamtdarstellung unvollständig. A. Propheten (von links nach rechts):
· zacharias·/ ego · resvscitabo · filios israel /3) [. . . . . . .] / [et] est gloriam [. . . .]tas / [. . . . . . .] / [. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .]/ [. . . . . . .] / [. .] o mors · ero · mors[us]/4) ysayas / virgo · pariet · et · filiv(m) · et · vocabit · nome(n) · ei(us) emanvel /5) ieremias / vocate · me · patrem · vestrvm · incelis /6)
Gottvater-Darstellung mit Beischrift:
· hic · est · filivs · me(vs) · dilect(vs) · inqvo · michi · b(e)n(e) · co(n) placvi /7)
· david · / filivs · mevs · es · tv · hodie · genvi · te /8) · daniel · / post · septvaginta · dvas · ebdomas · tradetvr · crist(vs) · admorte(m) /9) · [a]mos · / devs · ascensionem · svam · confirmavit · incelis·/10) [. . . . . . . .]/ [ectu]d)
Die Figuren 12–14 mit ihren Beischriften sind zerstört.
[. . . . . .] /[post. . . .]e) abdias / [d]ominvs [. . .] erit [. . . .]regnvm /11)
B. Apostelfiguren (von links nach rechts):
· ivdas · / · [tho]mas. / · iacob(vs) · maior / · petrvs · / · cristvs · / · andreas · / · iohannes · / iacobvs · minor · / · bartolomevs · /
Die Figuren der Apostel Simon und Matthias mit ihren Beischriften sind zerstört. C. Inschriftenstreifen mit Credo-Artikeln. Die stark verblaßten Reste des Schriftstreifens lassen keine genaue Rekonstruktion mehr zu; wie bei anderen der traditionellen Apostelzyklen ist jedem Apostel ein Artikel des Glaubensbekenntnisses zugeordnet, das sie nach alter Überlieferung vor ihrer Aussendung gemeinsam verfaßten12. In der Mitte Beginn, der Petrus-Figur zugeordnet.
carnis resur·/[. . . .anem. . .] / [. . . . . . .] / sanctam eclesiam / [cath]olicam · sanc/[to]rum com[. . .]ie / [. . . . .] / iudica[. . .]// [. . . . .] / [. . .]ndita[. . .] / a die [. . .]sur / [. . . . .] / [. . . . .]it est de / sp[irirtu san]cto natus / [. . .]virgine / Cre[do] · in deu(m) · pa/trem [omni]potent/em [creator. . .] celi et terre / Ite[. . . . . . . . . . . .]/svm et predicate / verbv(m) [. . . . . .]/13) et · [in iesum christvm] / filium · eivs · vni/[ge]nitvm. . . . . . .]/ passvs sv[b] pontio · / pilato · crvcifixvs / [. . . . . .]tvs [. . . .] acendit [. . . . . . . . . . .] ad dext[era]m [. . . . .] / patris
Der Rest des Schriftstreifens ist zerstört. Nach der zu erschließenden Anordnung begann der Text in der Mitte mit den Aussendungsworten, denen sich links neben Christus der erste Credo-Artikel anschließt, dem Petrus darunter entspricht; danach wechselt der Text nach rechts (Andreas), wiederum nach links und so fort. Die Schlußartikel des Credo wären rechts und links am Ende des Schriftbandes zu erwarten. Die noch identifizierbaren Stellen lassen sich mit dieser Anordnung in Einklang bringen14. D. Im westlichen Schildbogen der Nordwand Martyrium des hl. Bartholomäus; zwei kleine Stifterfiguren mit Schriftband und Wappen (Ochsenkopf und Metzgerbeil) am unteren Bildrand. Rechts daneben die Renovierungsinschrift aus dem Jahre 1509 (?).
· s · bartolome · ore · deum · pro me · [. . . . . . . . .]vet(vs) · anno · 15[. .]f)
Die letzte Ziffer der Jahreszahl ist noch sichtbar. Nach dem Befund würde man sie eher als eine gestürzte 4 lesen; das würde die Datierung der zweiten Malperiode auf das Jahr 1504 oder 1514 verschieben15. E. Im östlichen Schildbogen der Nordwand Beweinungsszene. Zum großen Teil durch die Wiederöffnung des Nordfensters zerstört. Kniende Stifterfiguren mit Schriftbändern.
· sancta · maria · ora · prome · [. . . . . .]misere · mei · devs ·
F. Im nordöstlichen Chorpolygon Heilsspiegeldarstellung: Christus am Kreuz mit Maria und Johannes, die als Fürbitter für einen vom Teufel angeklagten und von Gottvater bedrohten Sünder auftreten16. Schriftband Christus:
· Sich · vater · min · wvnden · an ·/ vnd · vergib · im · dz · er · hat · getan /
Schriftband Maria:
· liebes · kind · gedenk · daran · dz · ich · dich · gesoget · han · vnd · ergib · mir · disen · dotsundigen · man · /
Schriftband Johannes:
O · lamb · gottes · vnschuldig · am · Stam · des · creutzes · geschlachtet · all · Svnd · hastv · getragen ·/
Schriftband Gottvater:
· Got · wendet · seinen · zoren · von · sein · ausserkoren ·/
Schriftband Engel:
· Gottes · son · auff · erd · ist · kommen ·/
Schriftband Teufel:
hie · lit · ein · dotsvndiger · man · an · de(m) · ist · kein · gvot get[an] / [mit] · svnde(n) · vberlade(n) · dz · kvmpt · der · sele · dort · [ze schaden] /
Schriftband Sünder:
o · maria · mvder · vn(d) · magd · alle · vn[. . . . .] /
G. Im südöstlichen Chorpolygon Darstellung der Wurzel Jesse. Liegefigur Jesses mit aufgestütztem Kopf und Schriftband. Aus dem Stamm entwickeln sich Seitentriebe, die statt der Personendarstellungen Szenen des Neuen Testaments (Verkündigung, Heimsuchung, Geburt, Kreuzigung) zeigen. Der Engel der Verkündigung mit Spruchband17). Schriftband Jesse:
egredietvr · virgo · de · radice · iesse ·/18)
Schriftband Engel:
· ave · gracia · plena · dominvs · tecvm ·/
H. In den Zwickeln der Südwand zwei männliche Standfiguren mit Schriftbändern. Schriftband links:
virga · iesse · florvit · virgo ·/19)
Schriftband rechts:
diffusa · est · gratia · in · labiis · tvis /20)
Vermutlich handelt es sich um David und Isaias, die dann der Wurzel-Jesse-Darstellung zugeordnet sind. Ein Schutzmantelbild und ein Bild des hl. Urban (Schutzpatron von Niefern) sind ohne Inschriften. J. Hochrechteckiges Feld mit Heiligenfigur unter dem Südostfenster. Links Kopf des hl. Antonius mit Nimbus, darin die Inschrift:
[. . . . . . .]anthonie · or[a. . .]
III. Lettner-Gewölbe. Fünfjochiges Netzgewölbe, 5 Schlußsteine mit Wappen. Durch Joch 2 und 4 führten die Eingänge in den Chor, in Joch 1, 3 und 5 standen Altäre; dementsprechend sind die Dedikations-Inschriften von Joch 1, 3 und 5 Altarweihe-Inschriften, Joch 2 bezeichnet den Tag der Kirchweihe, Joch 4 das Patronat der Kirche.
Maße: Bu. 5–6 cm.
Schriftart(en): Gotische Minuskel mit Versalien, schwarz auf weiß.
Joch 1:
[de]dic(atum in honor(em) s(an)ctor(um) Martini / Georg(ii) Sebastia(n)i · etg) Ma(r)garete /
Joch 2:
dedica(tum) in ho(norem) beato(rum) confessor(um) eccle(siae) / semp(er) p(ro)xi(m)a D(omi)nica an(te) o(mn)i(u)m sa(nctorum) /
Joch 3:
Consecratu(m) · est · hoc · altare · in honore(m) s(an)cte Cruc(is) ac o(mn)i(u)m S(an)ctor(um) /
Joch 4:
Maria virgo eth) mater Jhesu / xpii) est patrona huius eccle(sie) /
Joch 5:
Dedica(tu)m · in honore(m) s(an)cta Katha/rine Magdalene Otilie etj) Sab[ina] /21)
Die Inschrift in Joch 2 dokumentiert den Tag der Kirchweihe und legt seine alljährliche Feier auf den Sonntag vor dem Allerheiligentag fest22. Korrespondierend dazu nennt die Inschrift in Joch 4 die Hauptpatronin der Kirche. Das Jahr der Kirchweihe ist nicht bekannt. Es muß vor dem Jahr 1506 liegen, da nur bis zu diesem Jahr die Herren von Enzberg in Niefern begütert waren; andererseits hat Kloster Maulbronn seinen Nieferner Besitz schon 1483 veräußert. Das spricht aber nicht unbedingt dagegen, daß Maulbronn den Beginn der spätgotischen Umbauphase der Kirche noch unterstützt hat und daher das Wappen des Klosters am Lettner erscheint. Wenn die Renovationsschrift am Bartholomäus-Bild tatsächlich auf 1504 (nicht auf 1509 oder 1514) datiert werden muß, so könnte mit allem Vorbehalt für den Abschluß des spätmittelalterlichen Umbaus der Kirche und ihre Neuweihe dieses Jahr angenommen werden. – Die Schrift ist deutlich eine späte Minuskel mit Versalien aus gotischer Majuskel und Kapitalis. IV. Lettner-Rückwand. Aufgemalte Schrift des 16./17. Jahrhunderts. Inschriften-Fraktur.
Sende dein Licht vnd deine warheit daß Sie mich leiten vnd bringen zu deinem / Heiligen Berg vnd zu deiner Wohnung daß ich hinein gehe zu dem Altar Gottes. / Psalm XLIII.23)
Die Ausmalung der Nieferner Kirche ist durch die Vielseitigkeit des Bildprogramms, das die ganze mittelalterliche Heilsgeschichte ausnutzte, sehr bemerkenswert. Evangelistensymbole, Kirchenväter und Aposteldarstellungen gehören in der weiteren Umgebung von Niefern nicht zu den Seltenheiten im Programm der Wandmalerei; ihre Kombination mit den anderen Themen ist im Umkreis nicht belegt24. In der sehr naiven und eindringlichen Bildsprache zeugen sie für die dörfliche Kultur des späten Mittelalters; dabei bleibt offen, ob bei der Auswahl der Themen (so weit sie von den herkömmlichen und mehrfach belegten Zyklen abweichen) nicht ein Einfluß des benachbarten Klosters Maulbronn vermutet werden darf, das bis 1483 in Niefern begütert war25. Das Kirchenpatronat von Niefern hatte die Stiftskirche St. Michael in Pforzheim inne, so daß man auch an Anregungen von dort denken könnte.