Inschriftenkatalog: Enzkreis

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 22: Inschriften Enzkreis (1983)

Nr. 58 Maulbronn, Klosterkirche 1424

Beschreibung

Wandmalereien mit Beischriften im Mittelschiff über den Querschiffarkaden. Figürliche Malereien mit erläuternden Texten. Der Zusammenhang ihrer Entstehung im Zuge des spätgotischen Umbaus der Klosterkirche geht aus den Beischriften hervor. Alle Malereien und die Beischriften stark überarbeitet und ergänzt, teilweise mehrfach. Alle Schriften gotische Minuskel mit Initialen in verschiedenen Farben.

A. Südwand: Stifterbild mit thronender Muttergottes, der die Stifter Bischof Günther von Speyer und Walter von Lomersheim die Kirche von Maulbronn darbringen. Rechts davon die Einkleidung des Edelfreien Walter von Lomersheim durch den ersten Abt Dieter von Maulbronn. Wappen unter der Kirchendarstellung und rechts unter der Figur des Walter von Lomersheim. Über dem Bild einzeilig auf weißem, seitlich eingerollten Schriftband Widmungsinschrift (Distichen).

© Heidelberger Akademie der Wissenschaften [1/2]

  1. Suscipe guntheri. virgo cum prole maria nec non waltheri sic duo vota pia

Übersetzung:

Nimm an, o Jungfrau Maria mit dem Kinde, die beiden frommen Weihegaben des Günther wie auch des Walter.

Paulus las noch rechts oben neben der Einkleidungsszene

  1. [Dietherus abbas primus loci huius]

Übersetzung:

Diether, erster Abt dieses Ortes.

Zweispaltige Inschrift in eigenem Feld unter der figürlichen Darstellung in 10 Zeilen, jeweils zwei Halbverse eines Distichons über die ganze Zeile durchlaufend, die Versanfänge durch Initialen hervorgehoben.

  1. Anno Milleno bis minus uno. Sub patre roberto coepit cistertius ordo./ Spirae guntherus. post hec p(rae)sul uenerandus. Lyningen celebri de comitum genere./ Ipseque waltherus. de lamershein be(n)e natus. Quippe uirum genuit liber uterque parens./ Qui seclo ualedans sub dithero monachiza(n)s. Fiens conuersus. se tribuitq(ue) sua./ Anno milleno c semel duodequadrageno. Appril terternis. hu(n)c fu(n)dauere kalendis./ Terrestrem muolbruna). hinc celestem paradisum. Possideant. domino gratificante pio./ Deniq(ue) milleno. tetra c.duo x.quater uno. Patre sub alberto. pingitur hic paries./ Per quem testudo precelsior et laterales. Sunt quoq(ue) perfecte. taliter ecclesie / Conuersis op(er)is bertholt. ulrichq(ue) magistris. Alter depictat. sed prior edificat./ Uirginis ad laud(em) matris prolisq(ue) p(er)ennem. Qui socient patriaeb) nos hilares latriae./

Übersetzung:

Im Jahre 1098 unter dem Abt Robert nahm der Zisterzienserorden seinen Anfang. Der verehrungswürdige Bischof Günther von Speyer aus dem berühmten Geschlecht der Grafen von Leiningen1 und Walter von Lomersheim, der wohlgeborene Mann – denn ihn zeugte ein beiderseits freies Elternpaar –, der der Welt Lebewohl sagte, unter Diether die Mönchsgelübde ablegte, Konverse wurde und sich und das Seine dahingab, sie gründeten darauf am 9. vor den Kalenden des April (März 24) im Jahre 1138 Maulbronn, dieses irdische Paradies; mögen sie hernach durch die Gnade des gütigen Herrn des himmlischen teilhaftig werden! Danach im Jahre 1424 wurde unter Abt Albert diese Wand gemalt; durch ihn wurde auch das Dach des Hauptschiffes und der Seitenschiffe vollendet durch die Meister des Werks, die Konversen Berthold und Ulrich; dieser ist der Maler, der erste aber der Baumeister. Der jungfräulichen Mutter und ihrem Kinde zum ewigen Lob; mögen sie uns in Freuden zugesellen dem Gottesdienste der Väter!

 
Wappen:
Leiningen; Lomersheim.

Kommentar

Das erste Distichon ist nicht im Kloster entstanden, sondern ein bereits im 13. Jahrhundert verbreiteter „Merkvers“ über die Gründung des Zisterzienserordens2; im Anschluß daran wird die Geschichte der Klostergründung kurz referiert, beide Stifter werden – entsprechend der bildlichen Darstellung – angesprochen und der Eintritt des Walter von Lomersheim ins Kloster besonders hervorgehoben. Als Gründungsdatum wird 1138, März 24 angegeben; nach der urkundlichen Überlieferung kann dieses Datum nur auf die erste Ansiedlung der Mönche in Eckenweiher bezogen werden (an der Günther von Speyer keinen Anteil hatte), nicht auf die Verlegung des jungen Konvents nach Maulbronn3. In Distichon 7–10 sind die Umbauarbeiten an der Kirche unter Abt Albert von Oetisheim (1402–1428) erwähnt4. Betont wird dabei die Beteiligung der Konversen Berthold und Ulrich, die sich als Baumeister und Maler selbst nennen. Die meist leoninisch gereimten Distichen sind korrekt, nur bei Distichon 1 und 5 ist der zweite Halbvers als Hexameter statt als Pentameter gebildet.

Für die Schrift fehlen wegen der starken Überarbeitungen verläßliche Beurteilungskategorien. Die Schmuckinitialen entstammen dem Alphabet der gotischen Majuskel. In Anbetracht der Länge des Textes sind Kürzungen und Ligaturen nur sparsam verwendet. Wie bei zahlreichen Maulbronner Grabinschriften sind auch hier alle Jahreszahlen versifiziert5. Als Verfasser der Distichen wird Abt Albert von Oetisheim selbst anzusprechen sein.

B. Nordwand: In gleichem Format wie auf der Südwand von demselben Meister Darstellung der Muttergottes mit dem Jesuskind, vor ihr die drei Weisen aus dem Morgenlande. Unter der Darstellung Schriftfeld, das durch 3 farbige Wappenschilde mit Helmzier geteilt ist. Zwischen den Wappen die erläuternde Beischrift (Hexameter):

  1. His clarent tri(n)is insignia regia formis.

Übersetzung:

Durch diese drei Gestalten sind die königlichen Wappen ausgezeichnet.

Links von den Wappen 2 Distichen in 8 Zeilen (jeweils ein Halbvers in zwei Zeilen):

  1. Solem stella parit. aurora/diem petra fontem./Patrem nata. deum femina /uirgo uirum./Illius imperium. reges/ uenerantur adorant.Stupent et dotant. tale/ puerperium./

Übersetzung:

Ein Stern bringt die Sonne hervor, die Morgenröte den Tag, der Fels die Quelle, eine Tochter den Vater, eine Frau den Gott, eine Jungfrau den Mann. Die Könige verehren seine Herrschaft und beten sie an, sie bestaunen und begaben die so große Geburt.

Rechts von den Wappen 4 Distichen in 8 Zeilen (jeweils ein Halbvers in einer Zeile):

  1. Duxit stella pios xpic) nascentis ad ortum.Tres super apparens. ex oriente magos.Melchior ant(er)ior. post baltasar hi(n)cd) q(uo)q(ue) caspar.Auru(m). thus. mirram. tres tria dona feru(n)t.Mortuus in mirra xpse) signatur in auroRex. in thure deus. su(n)t tria forma trium.Dat mirra(m) qui se macerat quilib(et) ora(n)sf)Cu(m) lacrimis aurum qui sapienter agit.

Übersetzung:

Der Stern, der über den drei frommen Magiern aus dem Morgenlande erschien, führte sie zum Geburtsort des neugeborenen Christus. Melchior voran, danach Balthasar, und dann auch Caspar. Gold, Weihrauch, Myrrhe: drei Geschenke bringen die drei. Die Myrrhe ist ein Zeichen für Christi Tod, das Gold für den König, der Weihrauch für den Gott: die drei (Gaben) sind Ausdruck für drei Gestalten (Christi). Es gibt Myrrhe, wer sich kasteit, Weihrauch, wer unter Tränen betet, Gold, wer in Weisheit handelt.

 
Wappen:
Stern mit Mondsichel; 9 goldene Sterne (3-3-3); Mohrenfigur mit Fahne.

Kommentar

Das erste Distichon der linken Inschrift ist aus literarischen Quellen zu belegen6. Eine der nachgewiesenen Handschriften stammt aus St. Omer, die andere aus der Prager Metropolitan-Bibliothek. Da Albert von Oetisheim in Prag seinen Magistergrad erwarb, ist denkbar, daß er das Distichon aus der Prager Handschrift kannte; nach der Handschrift St. Omer 115 (s. XII) gehört das Distichon in marianische Textüberlieferungen; für die Fortführung mit dem Bezug auf das Wandgemälde der Anbetung der drei Weisen wird man wohl nur Abt Albert von Oetisheim selbst als Autor in Anspruch nehmen können. Die in den Distichen der rechten Seite angesprochene symbolische Deutung der Dreiheit der königlichen Gaben auf die Dreiheit Mensch-König-Gott in Christus und auf menschliches Tun zu göttlichem Dienst, ist in der theologischen Literatur des Mittelalters weit verbreitet7.

Die Beziehung der beiden Wandgemälde auf der Nordwand wie auf der Südwand ist durch die zentrale Stellug der Muttergottes und die Gabendarbringung in beiden Bildern gegeben.

Textkritischer Apparat

  1. Das o kleiner über dem u.
  2. Durch Restaurierung verderbt, wohl ursprünglich ae-Ligatur.
  3. Kürzungsstrich sichtbar; der letzte Buchstabe heute eher als e zu lesen.
  4. Die letzten Worte dieser Zeile stark verderbt; das c eher als e zu lesen, Kürzungsstrich noch sichtbar.
  5. Kürzungsstrich sichtbar.
  6. Kürzungsstrich sichtbar, das s am Wortende fast ausgelöscht.

Anmerkungen

  1. Die spezifische Maulbronner Überlieferung bezeichnet seit dem 14. Jahrhundert Bischof Günther von Speyer als Grafen von Leiningen und ordnet ihm das entsprechende Wappen zu; tatsächlich war er ein Graf von Henneberg: Remling, Geschichte I 380f. und A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg, Teil 1 (Berlin 1962) 132f.
  2. Walther, Initia carminum 1136. – Zu belegen auch bei Graufridi de Collone, Chronicon, in: MG SS XXVI 616.
  3. Dazu Gohl, Katalog Maulbronn (1978) 29.
  4. Vgl. seine Grabschrift nr. 60.
  5. Vgl. die Grabinschriften nrr. 33, 60, 62.
  6. Walther, Initia carminum 18410: Prag, Metropol. Bibl. 6 fol. 1v. – St. Omer 155 nr. XXX, fol. 45. Die Prager Handschrift war mir trotz wiederholter Bemühungen nicht zugänglich.
  7. Vgl. H. Kehrer, Die heiligen drei Könige in Literatur und Kunst, 2 Bde., Leipzig 1908/09. – Hier Bd. I 58. – eine ganz ähnliche Formulierung bei Jacobus de Voragine in der Legenda Aurea, vgl. die Ausgabe von Th. Graesse 18903 (Nachdruck Osnabrück 1965), p. 93.

Nachweise

  1. Jenisch 117 sqq.
  2. Jenisch II p. 231 sqq.
  3. WürttLB. Cod. hist. 2° 311, 125.
  4. WürttLB. Cod. hist. 4° 217, 5v sq.
  5. Wickenburg II 289f.
  6. Paulus, Maulbronn 2(1884) 68f.
  7. Klunzinger, ArtBeschr. 3af.
  8. Dörrenberg, Maulbronn 140.
  9. Katalog Maulbronn (1978) 77 u. Abb. 7.

Zitierhinweis:
DI 22, Inschriften Enzkreis, Nr. 58 (Renate Neumüllers-Klauser), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di022h008k0005809.