Inschriftenkatalog: Stadt Einbeck

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 42: Einbeck (1996)

Nr. 142(†) Ratsschule / Neustädter Kirchplatz 1610

Beschreibung

Inschriften an verschiedenen Bauteilen. Von dem Gebäude der ehemaligen Ratsschule am Neustädter Kirchplatz, das 1610 errichtet und im November 1611 eingeweiht wurde, ist nur noch das Sandsteinportal erhalten, da die Schule bei dem Stadtbrand des Jahres 1826 zerstört wurde. Das Portal befindet sich heute am Verwaltungsgebäude der Brauerei am Neustädter Kirchplatz. Links und rechts neben dem Bogenportal als Karyatiden eine männliche und eine weibliche Figur; über dem Bogen ein Architrav mit der auf zwei Inschriftenfeldern angeordneten Inschrift A. Der Architrav trägt eine Bekrönung, in der in einem Medaillon die Dreifaltigkeit dargestellt ist; zu beiden Seiten des Medaillons Beschlagwerkornamentik und Rollwerk. Abgeschlossen wird die Bekrönung von einem Giebel, darin die bekrönte Einbecker Stadtmarke. Als Worttrenner sind in Inschrift A Punkte auf der Grundlinie verwendet worden, die Inschrift ist erhaben und vergoldet vor vertieftem, zum Zeitpunkt der Aufnahme grün gefaßtem Hintergrund ausgeführt.

An dem 1826 zerstörten Schulgebäude befanden sich noch weitere Inschriften, die von Unverzagt überliefert sind (B–F); Inschrift B befand sich über dem steinernen Portal, C an einer Wand, D unter einem Bild Luthers, E unter einem Bild Melanchthons und F unter Bildnissen der Philosophen Aristoteles und Petrus Ramus.

Inschriften B–F nach Unverzagt.

Maße: H.: 520 cm (Portal), 23 cm (Inschriftenfeld); B.: 314 cm (Portal), 100 cm (Inschriftenfeld); Bu.: 5 cm (A).

Schriftart(en): Kapitalis (A).

Julia Zech [1/3]

  1. A

    HANC SCHOLAM SANCTAE TRIADI SENATUS /CURA DEVOVIT. PATRIAE JUVENTUS /DISCAT UT LINGVAS. PIETATEM. ET ARTES /MENTE FIDELI /ADDE SUCCESSUM PATER: ET DOCENTES /CHRISTE SUSTENTA: TENERUMQ(UE) FIRMA /SPIRITUS COETUM: UT TUA SIC UBIQ(UE) /GLORIA CRESCAT.

  2. B

    ANNO 1610. DOCTRINAE DOMICILIVM PIETATIS SEMINARIVM ERVDITIONISQVE EMPORIVM AMPLISSIMVS SENATVS POSVIT

  3. C

    Quid Schola sancta DEI domus est Sophiaeque sacellumMusarum sedes inclyta fonsque boniRelligionis item custos Artisque magistraVirtutum radix hortulus et fideiVera juventutis tenerae cultura bonorumMorum formatrix Pestis at est Satana

  4. D

    Forsitan inquiris nostrae cur care viatorpicta scholae effigies magni praefixa LutheriIn promtu causa est Sanctum quia dogma Lutherihaec tenet atque fidem docuit quam rite LutherusHanc nobis Verbi lucem Deus optime seruaImpia Pontificis Calvini et somnia pelleEt tu posteritas hoc custodire mementodepositum ut caelum nobiscum salva subintres

  5. E

    Fidus magnanimi comes Lutheridoctrinae variae parens scholarumpurgator sophiae Professor atqueterrae Teutonicae decus Melanchthon

  6. F

    Maximus Princeps Sophorumest S[t]ageiritesa) in orbequi celebris universoOptimus Ramus bonarum5doctor artium brevisqueet facilis usu potensIlle doctrinae magisterditioris artiumqueest pelagus et fons ipse10Hic sed illius perennisrivulus scatens iucundodogmate scholae quo gaudentHos duces fas est iuventusut sequatur et precetur15Christus opus ut prosperet

Übersetzung:

Diese Schule hat die Fürsorge des Rates der Heiligen Dreieinigkeit geweiht, damit die Jugend der Vaterstadt in treuer Gesinnung die Sprachen, die Frömmigkeit und die Wissenschaften erlernt. Gib Erfolg, Vater, und gib du, Christus, den Lehrern deinen Beistand und stärke, Heiliger Geist, die junge Schar, damit so überall dein Ruhm wächst. (A)

Im Jahr 1610 hat [dieses Haus] als Stätte der Wissenschaft, als Pflanzgarten des Glaubens und als Handelsplatz der Bildung der hochangesehene Rat errichtet. (B)

Was ist die Schule? Sie ist das heilige Haus Gottes, ein Heiligtum der Weisheit, eine weitberühmte Stätte der Musen und eine Quelle des Guten. Ebenso ist sie die Wächterin der Religion, die Lehrerin der Wissenschaft, die Wurzel der Tugenden und ein Garten des Glaubens. Sie ist die wahre Bildungsstätte der zarten Jugend, die Bildnerin der guten Sitten. Aber der Satan ist die Pest. (C)

Vielleicht fragst du, lieber Wanderer, warum an unserer Schule ein gemaltes Bildnis des großen Luther angebracht ist. Der Grund liegt auf der Hand: Weil diese [Schule] die heilige Lehre Luthers und den Glauben festhält, den Luther auf rechte Weise gelehrt hat. Bester Gott, bewahre uns dieses Licht des Wortes, vertreibe die gottlosen Träume des Papstes und Calvins, und du, Nachwelt, denke daran, dies anvertraute Gut zu bewahren, damit du erlöst mit uns in den Himmel eingehst. (D)

Treuer Gefährte des hochherzigen Luther, Vater der verschiedenen Wissenschaften, Reformator der Schulen, Professor der Weisheit und Zierde des deutschen Landes, Melanchthon. (E)

Das oberste Haupt der Philosophen ist der Mann aus Stageira1), der in der gesamten Welt berühmt ist. Der beste Lehrer der edlen Wissenschaften ist Ramus, leicht, schnell und brauchbar in der praktischen Anwendung. Jener ist der Lehrer einer reicheren Wissenschaft, das Meer der Wissenschaften und selbst die Quelle. Aber dieser ist dessen nie versiegender Bach, sprudelnd von beliebter Lehre, über die sich die Schulen freuen. Es ist Gottes Wille, daß die Jugend diesen Führern folgt, und betet, daß Christus das Werk segnet. (F)

Versmaß: Sapphische Strophe (A), drei elegische Distichen (C), Hexameter (D), Hendekasyllaben (E), mit Ausnahme der Verse 6, 9 und 15 akatalektische trochäische Dimeter, die Verse 6, 9 und 15 katalektisch (F).

Kommentar

Die G der Inschrift A sind, genau wie auf dem Epitaph des Andreas Meimberg (Nr. 138), mit eingestellter Cauda ausgeführt, ein E epsilonförmig, M mit schrägem über der Buchstabenmitte endendem Mittelteil, in Verbindung mit dem que-Kürzel ist Q als unziales Q ausgeführt, neben rundem U ein V.

Zur Baugeschichte der Schule nach dem Stadtbrand von 1540 vgl. Nr. 95 und Nr. 119. Da die im Jahr 1594 vorgenommene Erweiterung des Schulgebäudes bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts unzureichend war, beschloß der Rat den Neubau der Schule auf dem Gelände des Maria-Magdalenen-Klosters.

Der Philosoph Petrus Ramus (1515–1572) wird in der Inschrift G als Vorbild hingestellt, obwohl er eine antiaristotelische Position einnahm und zu den sonst von der Stadt bekämpften Calvinisten gehörte. Dies erklärt sich wahrscheinlich daraus, daß der Rektor der neuerbauten Schule, Georg Fathschild, eine Auslegung der Dialektik des Petrus Ramus herausgab und sich somit näher mit dessen Lehre befaßte.2) Die Vermutung liegt daher nahe, daß Fathschild auch die Inschriften für das neue Schulgebäude verfaßte.3)

Textkritischer Apparat

  1. Das Wort ist in griechischen Buchstaben geschrieben, wobei das t weggelassen worden ist.

Anmerkungen

  1. Stageira war der Geburtsort des Aristoteles.
  2. Feise, Ratsschule, S. 70.
  3. Unverzagt, Statum scholae, S. 3: Et qui modo dictos versus fudit, Fathschildus Aristotelis et P. Rami imaginibus sequentes adiunxit. Es folgt Inschrift F.

Nachweise

  1. Unverzagt, Statum Scholae, S. 3f.
  2. Harland, Geschichte 2, S. 67 (C).
  3. Mithoff, Kunstdenkmale, S. 48 u. Anm. 1, ebd. (A, C).
  4. Friese, Einbeck, S. 52 (A).
  5. Feise, Allerlei Denkmäler, S. 53 (A).

Zitierhinweis:
DI 42, Einbeck, Nr. 142(†) (Horst Hülse), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di042g007k0014207.