Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 23 Schraplau, ev. Kirche (St. Johannes d. Täufer) 1. D. 14. Jh.

Beschreibung

Glocke, Bronze. Sie ist die mittelgroße Glocke des dreitönigen Geläutes im Glockenstuhl des Turmes. Unter einer kaum gewölbten, etwa im 20°-Winkel abfallenden Haube umlaufen die Schulter in breitem Abstand drei Schnurstege. Den oberen Zwischenraum füllen die beiden apokalyptischen Buchstaben und der Heiligenname. Die einzelnen Lettern sind durch große Spatien und senkrechte Zickzacklinien voneinander abgetrennt.1) Das untere Band ist mit neun Medaillons bzw. Reliefs besetzt. Unterhalb des Invokationskreuzes beginnend lassen sich von links nach rechts folgende Szenen erkennen: 1) Verkündigung (Medaillon);2) 2) thronende Muttergottes (Relief);3) 3) drei sitzende Heilige, die je ein Buch in den Händen halten (Relief);4) 4) sitzende(r) Heilige(r) mit entrolltem Schriftband (Medaillon);5) 5) sprengender Reiter mit Topfhelm und Schild (Medaillon);6) 6) Brakteat mit griechischem Kreuz; 7) thronende Muttergottes (Relief, wie 1); 8) Heiliger in langem Gewand (Relief); 9) Profilansicht einer Heiligen, die einen schmalen Palmzweig (?) senkrecht vor sich hält (Relief). Unterhalb des vorletzten Reliefs erkennt man auf der Flanke ein erhabenes Kruzifix mit Maria und Johannes. Den Wolm umläuft ein einzelner Steg.

Maße: H.: 65 cm; Dm.: 77,5 cm; Bu.: 3,7 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Ilas Bartusch) [1/3]

  1. +a) · Ab) · Ѡc)7) · S(ANCTA)d) · Ae) · Nf) · Ng) · Ah) ·

Kommentar

Die Buchstaben waren in den Glockenmantel geritzt worden und sind teilweise konturiert wiedergegeben. Dabei erfuhren auch die sich wiederholenden Lettern eine unterschiedliche Gestaltung: So erscheinen neben einem nahezu spitzen A zugleich trapezförmige A-Formen. Das erste der beiden runden N ist innen von einem leicht rechtsschrägen Zierbalken durchzogen. In der Regel sind die Enden der nicht konturierten Balken und Schäfte umgebogen, mitunter auch gespalten und eingerollt. Die übrigen Zeichen besitzen rechtwinklig angesetzte Sporen, die jedoch häufig ebenfalls hakenförmig auslaufen. Die Spatien zwischen den Buchstaben sind 8 bis 14 cm breit.

Die Medaillons und Reliefs lassen sich im mitteldeutschen Raum auf mehreren Glocken nachweisen, deren Entstehungszeit zwischen dem 12. und dem 14. Jahrhundert liegt.8) Die Schriftformen und die zickzackförmigen Trennlinien gestatten hier jedoch eine engere Eingrenzung. Letztere stellen vermutlich das Stilmerkmal einer Werkstatt dar, aus der im anhaltinischen und Querfurter Raum mehrere Glocken hervorgegangen sind.9) Aus dieser Gruppe zeigt die kleinere Coswiger Glocke (Lkr. Anhalt-Zerbst) ein Medaillon mit der Jahreszahl 1330.10) Etwa in dieselbe Zeit passen auch die geritzten, teilweise konturierten Buchstaben.11) Die 1323 gegossene Leihaer Glocke (Gem. Roßbach, Lkr. Merseburg-Querfurt) verfügt über sehr ähnliche S-Formen.12) Auch das nahezu spitze A mit gebrochenem Mittelbalken und den einwärts gebogenen Schrägschäften bietet sich als Vergleichsmöglichkeit an: Dieselbe Gestaltung begegnet auf der Balgstädter Glocke von 1311 (Burgenlandkreis), die ebenfalls den Namen ANNA trägt.13) Wie mehrere ältere Glocken dieses Namens im Mansfelder Gebiet vermuten lassen, scheint der Mutter Marias hier im Gegensatz zu anderen Gebieten schon sehr früh eine besondere Verehrung zuteil geworden zu sein.14)

Textkritischer Apparat

  1. Tatzenkreuz, die Enden des senkrechten Schaftes beiderseits mit Perlsporen ausgestattet.
  2. A] Nahezu spitz und rein linear wiedergegeben. Der Deckbalken beiderseits weit überstehend, der Mittelbalken gebrochen, die Schäfte leicht einwärts gebogen, die Enden nach außen eingerollt.
  3. Ѡ] Mittelschaft als Strich, Bogenenden oben eingerollt. Der rechte der konturierten Bögen etwa in der Mitte mit einer waagerechten Zierlinie ausgestattet.
  4. S(ANCTA)] spiegelverkehrt, Konturlinie am oberen Bogen fehlt.
  5. A] Trapezförmig und rein linear wiedergegeben, Schaftenden eingerollt, linksschräger Mittelbalken, Deckbalken beiderseits überstehend, die Enden gespalten mit beiderseits eingerollten Sporen.
  6. N] Obere Konturlinie des Bogens fehlt.
  7. N] Spiegelverkehrt, Sporen einseitig angesetzt und umgebogen. Am Treffpunkt von Bogen und Schaft setzt ein nach außen gezogener waagerechter Sporn an, dessen rechtes Ende gespalten und beiderseits eingerollt ist.
  8. A] Trapezförmig, beide Schäfte stark nach rechts durchgebogen, unten durch rechtwinklig angesetzte und sich vereinigende Sporen abgeschlossen. Konturlinien nicht vollständig.

Anmerkungen

  1. Vgl. Otte 1884, S. 120f., Taf. II, Nr. 26.
  2. Vgl. dasselbe Medaillon auf einer Glocke zu Görzig (Lkr. Köthen) in Schubart 1896, S. 251 (Abb. 81).
  3. Vgl. dieselben Reliefs auf den Glocken zu Bornstedt (Lkr. Mansfelder Land) in Schilling 1988, S. 323 (Abb. 595), zu Gröna (Lkr. Bernburg) in Schubart 1896, S. 266 (Abb. 92).
  4. Vgl. dasselbe Relief auf der Glocke zu Gröna (Lkr. Bernburg) in Schubart 1896, S. 267 (Abb. 94). Schubart interpretiert die Szene als Weissagung Simeons bei der Darstellung im Tempel. Die beiden rechten Figuren finden sich auch in Steinthaleben (Kyffhäuserkreis), vgl. Rein 1934, S. 160f. (mit Abb.).
  5. Vgl. dieselben Medaillons auf den Glocken zu Görzig (Lkr. Köthen) und Nienburg (Lkr. Bernburg) in Schubart 1896, S. 251 (Abb. 82), 374 (Abb. 168), zu Liederstädt in Schilling 1988, Abb. 381, s. a. Nr. 14 mit Anm. 7. Ebenso findet es sich auf dem Merseburger Tragaltar, vgl. Kdm. (Merseburg) 1883, S. 130 f. (Abb. 131 b); DI 11 (Merseburg) 1968, Nr. 4.
  6. Vgl. dasselbe Medaillon auf den Glocken zu Gröna (Lkr. Bernburg) in Schubart 1896, S. 268 (Abb. 96) und zu Reinsdorf (Burgenlandkreis) in Kdm. (Querfurt) 1909, S. 234 (mit Abb.).
  7. Vgl. Apc 1, 8; 21, 6; 22, 13. Siehe hierzu unter Nr. 3.
  8. Vgl. Anm. 2–6.
  9. Vgl. Nr. 20 Anm. c, Nr. 22. S. a. die Zusammenstellung derartiger Glocken in Schubart 1896, S. 201.
  10. Vgl. Schubart 1896, S. 177.
  11. Vgl. auch die Glocken zu Obhausen in Nr. 16, zu Balgstädt (Burgenlandkreis; 1311), Leiha (Gem. Roßbach, Lkr. Merseburg-Querfurt; 1323) und Thalwinkel (Burgenlandkreis; ca. 1350) in Kdm. (Querfurt) 1909, S. 39, 144, 278, zu Bad Doberan (1301) in Schilling 1988, S. 139 (Abb. 248).
  12. Vgl. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 144 (mit Faksimile der Abreibung).
  13. Vgl. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 39 (mit Faksimile der Abreibung).
  14. S. a. die Glocken zu Naundorf (Gem. Dölbau, Saalkreis) und Seeburg (Lkr. Mansfelder Land) in Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 381, 375. Zur spätmittelalterlichen Annenverehrung im Mansfelder Land vgl. Hornenmann 2000, S. 307–325 unter Bezug auf Dörfler-Dierken 1992.

Nachweise

  1. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 356.
  2. LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk., Aufnahmebogen zu Schraplau vom 15. 3. 1917.
  3. Burkhardt 1935, S. 144.
  4. LfD Halle, Glockenaktenslg. (ungeord.), Glockenbestandsaufnahme 1942, Aufnahmebogen zu Schraplau (Leitnr. 6/6/89 C).

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 23 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0002303.