Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 64: Querfurt (2006)
Nr. 21† Gatterstädt (Stadt Querfurt), ev. Friedhofskirche (St. Peter) 1. D. 14. Jh.
Beschreibung
Glocke. Die genauen Verlustumstände sind unbekannt; vermutlich während des Zweiten Weltkrieges eingeschmolzen.1) Das Gebet (A) befand sich unterhalb der gewölbten Haube an der Schulter zwischen zwei doppelten Riemenstegen.2) Auf der Flanke schlossen sich etwa 1 cm darunter in gegenüberliegender Position zwei Reliefbildnisse der Kreuzigungsgruppe3) und der thronenden Muttergottes4) an. Kreuzstamm und -balken endeten kleeblattförmig.5) Über dem Haupt Christi war der Kreuztitulus (B) wiedergegeben. Den Wolm verzierten zwei weitere Stege.6)
Inschrift (A) nach BA Querfurt, Heinzel, (B) nach LfD Halle, Fotoarchiv.
Maße: Dm.: 99 cm.7)
Schriftart(en): Gotische Majuskel.
- A
VASa) DEVS · HOCb) SIGNA · PLEBSc) · SALUAd) · SITe) · AURAf) · BENIGNAg)
- B
I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM)h)8) ·
Übersetzung:
Gott segne diese Glocke, das Volk sei wohlbehalten, das Wetter freundlich (A).
Versmaß: Leoninischer Hexameter (A).
Textkritischer Apparat
- VAS] Fehlt im EGB; uas LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk. Trapezförmiges A, dessen linker Schrägschaft sich nach unten besonders stark verdickt. Zum folgenden Wort kein Spatium.
- HOC] Fehlt im EGB. Unziales H mit horizontalem Zierbalken zwischen Schaft und Bogen. Der in eine hakenförmig nach außen gekrümmte Zierlinie mündende Bogen bis unter die Grundlinie geführt. Zum folgenden Wort kein Spatium.
- PLEBS] Pbes EGB.
- SALUA] Saluta EGB.
- SIT] Soet EGB.
- AURA] mura EGB; Mura LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk. Die Cauda des R mit starker Schwellung, das zweite A trapezförmig.
- BENIGNA] benignat EGB; Benigm LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk.
- I(ESVS) N(AZARENVS) R(EX) I(VDEORVM)] Auf dem Foto nur undeutlich erkennbar.
Anmerkungen
- Den letzten stichhaltigen Existenznachweis bietet die Abreibung Richard Heinzels, vgl. BA Querfurt, Heinzel, Abreibung Nr. 10b C.
- Vgl. LfD Halle, Fotoarchiv (Karteikarte mit 4 Ablichtungen); Grundmann 1952, S. 27 (Abb. 12).
- Vgl. LfD Halle, Fotoarchiv (Karteikarten mit 1 und 4 Ablichtungen); LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk., Aufnahmebogen zu Gatterstädt vom 22. 3. 1917. Das Relief war unter dem Wort PLEBS angebracht. Dasselbe mehr oder minder vollständig auch auf Glocken in Pötnitz (Stadt Dessau) und Zerbst (Lkr. Anhalt-Zerbst; St. Bartholomäus), vgl. Schubart 1896, S. 400 (Abb. 191), 498 (Abb. 248), 500 (Abb. 250f.).
- Vgl. LfD Halle, Fotoarchiv (1 Ablichtung) sowie Schilling 1988, S. 323 (Abb. 596). Nach BA Querfurt, Heinzel, Abreibung Nr. 10 b C unter dem Wort BENIGNA angebracht.
- Vgl. wie Anm. 3.
- Vgl. LfD Halle, Fotoarchiv (Karteikarte mit 1 Ablichtung).
- Angabe nach Kdm. (Querfurt) 1909, S. 111; LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk., Aufnahmebogen zu Gatterstädt vom 22. 3. 1917.
- Io 19, 19.
- Vgl. Otte 1884, S. 120 mit Taf. II (Abb. 5); s. a. Nr. 7.
- Vgl. Schuster 1967, S. 333f.; Schubart 1896, S. 77 (hier Verweise auf Parallelbeispiele); Liebeskind 1921, S. 32. S. a. Otte 1884, S. 123; Walter 1913, S. 172f.
- Vgl. Nr. 19; als Beispiel für eine Kombination beider Inschriften vgl. die Salva-Glocke der Zwickauer Marienkirche in Knebel 1903, S. 15. Ein anderes Inschriftenformular bietet die aus derselben Gießhütte stammende Glocke in Göhrendorf, vgl. Nr. 7.
- Vgl. hinsichtlich der fast identischen Buchstabenformen und Verzierungen die Abb. der Inschriften auf den Glocken zu Cösitz (Lkr. Köthen), Crüchern (Gem. Wohlsdorf, Landkreis Bernburg), Gnetsch (Lkr. Köthen), Gramsdorf (Gem. Pobzig, Lkr. Bernburg), Großpaschleben (Lkr. Köthen), Großweißandt (Gem. WeissandtGölzau, Lkr. Köthen), Ilberstedt (Lkr. Bernburg), Cörmigk (Lkr. Bernburg), Köthen (Lkr. Köthen; St. Jacobi), Reppichau (Lkr. Köthen) in Schubart 1896, S. 172, 178f., 246, 253, 281, 286, 317, 331, 337, 422; zu Seeburg (Lkr. Mansfelder Land) in Schuster 1967, S. 332–334 mit Abb. 13–17; zu Siersleben (Lkr. Mansfelder Land), Nelben (Stadt Könnern, Lkr. Bernburg), Freist (Lkr. Mansfelder Land) in Grössler 1878, Taf. 1 Nr. 11, Taf. 2 Nr. 14f.; zu Zeitz (Burgenlandkreis) in DI 52 (Zeitz) 2001, Nr. 11; zu Wegeleben (Lkr. Halberstadt) in Schilling 1988, Abb. 109. S. a. Nr. 7.
- Als früheste Beispiele mögen die Glocke in Reppichau (Lkr. Köthen), vgl. Schubart 1896, S. 424 (1215/33?), und jene in Veitsberg (Gem. Wünschendorf, Lkr. Greiz; 1. H. 13. Jh.?), vgl. Liebeskind 1905, S. 124, dienen, als eine der spätesten dürfen wohl die Ilberstädter Glocke (Lkr. Bernburg, 1320/50), vgl. Schubart 1896, S. 317, oder die Ascherslebener (Lkr. Aschersleben) von 1331 (oder später), vgl. Kdm. (Aschersleben) 1904, S. 61 f., gelten.
- Vgl. die am engsten verwandten Formen auf den Glocken zu Gnetsch (um 1300) und Cörmigk (Anf. 14. Jh.), siehe Anm. 12.
Nachweise
- PfA Leimbach, Chronik 1714/17, S. 51.
- Kdm. (Querfurt) 1909, S. 111, 342.
- EGB 1917, Nr. 7, o. S.
- LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk., Aufnahmebogen zu Gatterstädt vom 22. 3. 1917.
- LfD Halle, Fotoarchiv (Karteikarte mit 4 Ablichtungen).
- LfD Halle, Glockenaktenslg. (ungeord.), o. S.
- BA Querfurt, Heinzel, Abreibung Nr. 10b C.
- Grundmann 1952, S. 27 (Abb. 12).
- Schuster 1967, S. 333.
Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 21† (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0002109.
Kommentar
Das Schriftbild prägen deutliche Bogenschwellungen sowie einzelne Buchstaben begleitende Zierlinien. So sind das O durch ein Rankenornament gefüllt, U, A und R teilweise durch parallele Haarlinien hervorgehoben, die mehrere Ausbuchtungen und blattförmige Abschlüsse aufweisen. Daneben fallen die Nodi an N und I sowie die Halbnodi an den Bogeninnenseiten von E, B, S und G auf. Das A ist meist trapezförmig gestaltet, wobei der linke Schrägschaft mitunter geschwungen oder mit einer Schwellung versehen ist. Es besitzt zudem einen dünnen, beiderseits überstehenden und nach oben gebogenen Deckstrich sowie einen gebrochenen Mittelbalken. Das unziale E ist im Gegensatz zum offenen C durch einen Abschlußstrich vollkommen geschlossen. Das G ist eingerollt. Fast alle Buchstaben verfügen über lange, dünne und zum Teil hakenförmig ausgebildete Sporen. Als Worttrenner dienen in der Zeilenmitte liegende Kreise, die von mehreren Punkten umgeben sind.9)
Text und Schriftgestaltung weisen diese Glocke eindeutig jener namentlich nicht bekannten Gießhütte zu, aus der sich im mitteldeutschen Raum, vor allem um Halle, zahlreiche Arbeiten erhalten haben.10) Der oder die Meister beschränkten sich dabei auf wenige Inschriftenformulare, unter denen das hier wiedergegebene Gebet sowie die Glockenrede SIT TEMPESTATVM PER ME GENVS OMNE FVGATVM eine besondere Bevorzugung fanden.11) Beide Formulare wurden sehr häufig in ganz ähnlichen Lettern ausgeführt und mit gleichartigen Verzierungen versehen.12) Gleichwohl läßt sich bisher keine dieser Glocken exakt datieren. Buchstabenformen und baugeschichtliche Indizien der entsprechenden Kirchen verweisen auf einen Entstehungszeitraum, der fast das gesamte 13. und das ersten Drittel des 14. Jahrhunderts umfaßt.13) Innerhalb dieser Spanne dürfte die Gatterstädter Glocke relativ spät einzuordnen sein, da sich hier fast nur noch unziale Formen, starke Bogenschwellungen, zahlreiche Nodi und die typischen Zierstriche finden.14)