Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 64: Querfurt (2006)
Nr. 14† Liederstädt (Gem. Vitzenburg), ev. Kirche A. 14. Jh.
Beschreibung
Glocke. Nachdem sie 1917 nicht abgeliefert werden mußte,1) ist sie während des Zweiten Weltkrieges eingezogen und zerschnitten worden.2) Durch fotografische Aufnahmen sind jedoch ihre schlanke Form3) und die Gestaltung des Schulterringes gut dokumentiert.4) Unter einer steilen, kaum abgeschrägten und mit einem kleinen Kruzifix5) verzierten Haube umliefen die Schulter vier Schnurstege. Dazwischen waren in unterschiedlichen Abständen zehn 4–5 cm große Medaillons angebracht, die folgende Reliefs enthielten4): 1) Enthauptung des hl. Sixtus, vom Henker am Schopf aus einem Turm gezogen;6) 2, 3, 5–10) Evangelistensymbole; 4) sitzender Heiliger mit leerer Banderole.7) Die symbolischen Wesen der Evangelisten waren nimbiert und trugen jeweils ein entrolltes Schriftband mit den entsprechenden Nameninschriften (A, B, C, D). Neben den Medaillons war zusätzlich ein Maastrichter Pilgerzeichen angebracht, das den heiligen Servatius als Bischof auf einem Drachen stehend in einer Ädikula zeigte.8) Am Wolm der Glocke lag ein weiterer Steg an.
Inschriften nach Fotos in Schilling.
Maße: Dm.: 82 cm.
Schriftart(en): Romanische Majuskel.
- A
· S(ANCTVS) · IOHANNES
- B
· S(ANCTVS) · LVC//AS
- C
S(ANCTVS) · // MATHEVS
- D
· S(ANCTVS) · // MARCV(S)
Anmerkungen
- Vgl. die Übersicht über die Ablieferung der Glocken im Landkreises Querfurt o. J., o. S. in: LfD Halle, Glockenaktenslg. (ungeord.).
- Schlußfolgerung aus Schilling 1988, S. 334 (Beitext zu Abb. 378–383, 385f.).
- Sie ähnelte stark der Schlagglocke von Lodersleben, vgl. Nr. 15 und Abb. 614 in Schilling 1988, S. 334.
- Die folgende Aufzählung erschlossen aus den jeweils unvollständigen Angaben in Schilling 1988, S. 334 (Beitext zu Abb. 378–383, 385f.; Abb. 614) und Kdm. (Querfurt) 1909, S. 147.
- Vgl. Plath 1891, S. 273.
- Vgl. zur Identifikation Schubert/Ramm in DI 11 (Merseburg) 1968, Nr. 4 sowie Burkhardt/Küstermann/Otte in Kdm. (Merseburg) 1883, S. 131 in bezug auf das gleiche Medaillon auf dem Tragaltar im Domarchiv zu Merseburg. Ein Relief mit einer ähnlichen Szene befindet sich am Nordportal des Halberstädter Domes, vgl. Flemming/Lehmann/Schubert 1976, Abb. 13. Schilling 1988, S. 334 (Beitext zu Abb. 380), Schubart 1896, S. 251, Plath 1891, S. 275 identifizieren den Heiligen mit Johannes dem Täufer. S. a. dasselbe Medaillon in Nr. 15 sowie auf Glocken zu Görzig (Lkr. Köthen), Gröna (Lkr. Bernburg) und Reinsdorf (Gem. Görzig, Lkr. Köthen) in Schubart 1896, S. 266, 250f., 417.
- Schubart 1896, S. 251 meint, auf dem Medaillon an einer Glocke zu Görzig (Lkr. Köthen) die Schrift: S. PAVLVS entziffern zu können. Auf einer Glocke zu Nienburg (Lkr. Bernburg), vgl. ebd., S. 374 (Abb. 168), steht hingegen der Name: S. VIPERTVS. S. a. Nr. 23 mit Anm. 5.
- Zur Identifizierung vgl. Pöttgen 1997/1999, S. 90 mit Anm. 58; 98b (Abb.) unter Berufung auf Kösters Zuschreibung im Deutschen Glockenarchiv (DGA Nr. 6/9/83); Schilling 1988, S. 335 (Beitext zu Abb. 386). Plath 1891, S. 274, Bergner in Kdm. (Querfurt) 1909, S. 147 und Schröder 1933, S. 111 erkennen darin den hl. Petrus.
- Vgl. Nr. 15; DI 11 (Merseburg) 1968, Nr. 4; Schubart 1896, S. 249, 266, 280, 357, 417. Liebeskind 1905, Nr. 15, S. 119 zählt zahlreiche Beispiele auf, u. a. die Saalfelder Glocke von 1353, vgl. dazu Kdm. (Saalfeld) 1892, S. 85. Allerdings befinden sich darunter einige, die nur ähnliche, nicht identische Medaillons tragen, vgl. dazu z. B. DI 39 (Lkr. Jena) 1995, Nr. 17 (Nennsdorf), 19 (Wenigenjena), 20 (Altendorf).
- Vgl. Poettgen 1997/1998, S. 83 mit Anm. 17.
- Vgl. DI 11 (Merseburg) 1968, Nr. 4.
- Vgl. Köster 1984, S. 205; Poettgen 1995/96, S. 198.
- Ebenso datieren Plath 1891, S. 276 und Liebeskind 1905, Nr. 15, S. 119. Schilling 1988, S. 334 ordnet hingegen die Glocke ohne Begründung in das 13. Jh. ein.
Nachweise
- Kdm. (Querfurt) 1909, S. 147 (Abb.).
- Schilling 1988, Abb. 378–383, 385, 386.
Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 14† (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0001404.
Kommentar
Die bemerkenswerten Besonderheiten der Schrift beschränken sich auf das trapezförmige A mit dem beiderseits überstehenden Deckbalken, das retrograde N sowie das gerade M, dessen Mittelteil die Grundlinie berührt. Der einzige Unzialbuchstabe ist das offene E in Inschrift (C). Die gleichmäßig schmalen Schäfte und Bögen blieben weitgehend unverziert. Die Worttrenner sind im Foto nur als Punkte identifizierbar.
Die beschriebenen Medaillons begegnen im mitteldeutschen Raum in unterschiedlicher Zusammenstellung auf mehreren Glocken und anderen Metallarbeiten des 12., 13. und 14. Jahrhunderts.9) Es ist anzunehmen, daß ihre Matrizen aus Goldschmiedewerkstätten stammen und später von benachbarten Handwerksbereichen übernommen wurden.10) Die ältesten bisher bekannten Abdrücke finden sich auf dem Merseburger Tragaltar, den die Forschung unter Vorbehalt in die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts einordnet.11) Für die Datierung der Liederstädter Glocke ist vor allem das Pilgerzeichen ausschlaggebend. Da es eindeutig ein Gitterguß war, wie er erst seit ca. 1300 in Gebrauch kam,12) kann die Glocke nicht vorher entstanden sein.13) Da die verwendeten Medaillonmatrizen aus früherer Zeit stammen, zeigen die Inschriften hier nicht die zum Zeitpunkt des Glockengusses typische Buchstabengestalt, sondern älteres Formengut.