Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 176 Esperstedt, ev. Kirche (St. Peter) 1612

Beschreibung

Wandbemalung. Zwischen dem östlichen und mittleren Fenster der inneren Südwand des Kirchenschiffes erscheint in etwa 250 cm Höhe unter drei sich lösenden Farbschichten auf der untersten weißen Grundierung eine in Schwarz aufgemalte Ermahnung an den Pfarrer. Unter der letzten Zeile markiert ein noch halb verdecktes vegetabiles Ornament das Ende des Textes. Wie mehrere nur fragmentarisch freigelegte Konturen von Mustern und Figuren ringsum erkennen lassen, war die Inschrift Bestandteil einer großflächigen Wandgestaltung. Zum Ende des 17. Jahrhunderts erfolgte der Einbau einer geräumigen, teilweise zweistöckigen Empore.1) Ihre Ausmaße waren so groß, daß ein an der Wand anliegender Balken den dritten Vers überdeckte. Der übrige Text verschwand unter einer damals neu aufgetragenen Farbschicht. Nachdem man die Seitenflügel 1936 oder später im Rahmen einer nicht zu Ende geführten Sanierungsmaßnahme gekürzt haben muß,2) ist diese Zeile erneut zum Vorschein gekommen. Dadurch konnte die Inschrift im Jahre 1999 lokalisiert und wieder vollständig aufgedeckt werden.

Maße: H.: 37 cm; B.: ca. 160 cm; Bu.: 4,5–5 cm.

Schriftart(en): Humanistische Minuskel mit einzelnen Buchstaben der Fraktur.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Ilas Bartusch) [1/1]

  1. Scanderea) qui Cathedram cupis hanc sis rite vocat(us). Et factis precibus Bibliab) sacra doce. Utq(ue) doces. vivas: persuadet vita docentis. Sit Deus ante oculos: sit populiq(ue) salus.

Übersetzung:

Der du begehrst, diese Kanzel zu besteigen, seist dazu feierlich berufen. Und lehre die Heilige Schrift (erst) nach Verrichtung der Gebete. Wie du aber lehrst, sollst du leben: Es überzeugt des Predigers Leben. Vor Augen sei Gott und das Heil des Volkes.

Versmaß: Zwei Elegische Distichen.

Kommentar

Den Schriftduktus prägen vor allem deutliche Bogenverstärkungen. Während der Mittellängenbereich der Buchstaben mit Ausnahme des stark gebogenen v durch noch sichtbare Hilfslinien nahezu in gleicher Höhe gehalten wurde, ragen die Oberlängen unterschiedlich weit aus dem Mittelband hervor. Dabei sind die Schäfte von h und d vor allem in der ersten Zeile besonders lang ausgeführt, während sie bei den Buchstaben f und Schaft-s, die überwiegend in Fraktur wiedergegeben sind, bis unter die Grundlinie reichen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die unten und oben hervorstehenden Zierhäkchen am o und teilweise auch am e. Das obere Schaftende des t wurde nach rechts, das des symmetrischen r spiegelbildlich zur Fahne nach links umgebogen. Über dem u erscheint als diakritisches Zeichen stets ein fast kreisrunder Haken mit Anstrich. Die Lettern werden durch rechtwinklig angesetzte Sporen begrenzt. Interpunktionszeichen und i-Punkte sind als kurze linksschräge Striche zwischen dünnen, rechtsschrägen Zierlinien ausgeführt. Vor allem diese Besonderheit gehört zum typischen Formeninventar des Malermeisters Christoph Faust aus Freyburg (Burgenlandkreis), dem deshalb die Ausgestaltung des gesamten Kircheninnenraumes um 1612 zuzuweisen sein dürfte.3)

Den Versen lassen sich zwei fast gleichlautende Inschriften an den Kanzelzugängen in der St.-Annen-Kirche zu Eisleben (Lkr. Mansfelder Land) und in der ehemaligen Klosterkirche St. Johannis Baptistae zu Alsleben (Lkr. Bernburg) aus der Zeit zwischen 1590 und 1608 gegenüberstellen.4) Die Datierung der Esperstedter Inschrift ergibt sich aus der Tatsache, daß dieselben Buchstaben- und Zierformen in dem zwar nicht ganz vollständig erhaltenen, jedoch zweifelsfrei ergänzbaren Chronogramm von 1612 zu beobachten sind, das sich etwas weiter westlich an derselben Wand und auf derselben Farbschicht befindet.5) Folglich können die Distichen nur im Zuge der ersten Ausgestaltung des Innenraums nach der im gleichen Jahr vorgenommenen Chorerweiterung entstanden sein.6) Der Text selbst und die genannten Parallelen weisen darauf hin, daß damals an dieser Stelle die Kanzel errichtet wurde. Als sie gegen Ende des 17. Jahrhunderts den neuen Emporen weichen mußte, ist ihr Korb vermutlich in den Altar integriert worden.7) Er zeigt noch heute den Wortlaut eines älteren Gebetes, das sich auf die hier formulierte Ermahnung zum Gebet vor der Verkündung der Heiligen Schrift beziehen dürfte. Eine ähnliche Konstellation wird für die oben erwähnte Alslebener Kirche überliefert: Auch dort las man an der Innenseite der Kanzeltür unterhalb der leicht variierten Mahninschrift das Dankgebet für die Befähigung zur Predigt und die Bitte, daß diese tatsächlich nützen möge.8)

Die hiesige Inschrift erinnert daran, daß nur ordnungsgemäß berufene Pfarrer zur Predigt zugelassen sind. Sie sollen sich auf die Heilige Schrift konzentrieren sowie Lehre und Leben beispielgebend in Übereinstimmung bringen. Der Text reflektiert damit allgemeine Grundsätze protestantischer Theologie, wie sie für die Geistlichen der Grafschaft Mansfeld zuletzt in der Kirchenordnung von 1580 formuliert worden waren.9)

Textkritischer Apparat

  1. Scandere] Der Versal mehr als doppelt so hoch wie die übrigen Buchstaben.
  2. Biblia] Der Akk. Plur. ist aus der griechischen Etymologie des Wortes zu verstehen; zur seltenen Verwendung vgl. Blaise 1966, S. 32, 298 mit Anm. 3.

Anmerkungen

  1. Vgl. Kirchenrat Esperstedt, John 1978, S. 102, hier die Abschrift eines Gutachtens des Konservators der Denkmale der Provinz Sachsen vom 5. 5. 1936. Die Datierung stützt sich darin auf eine leider verlorene Bauinschrift auf einem Unterzug der ehemaligen oberen Empore.
  2. Vgl. PfA Esperstedt, Protokollbuch 1894–1935, den Eintrag zur Versammlung am 25. 10. 1935, o. S.: „Die kirchlichen Körperschaften beschließen, daß die dringend nötigen Instandsetzungsarbeiten am Kirchengebäude und am Pfarrhaus in Angriff genommen werden sollen, sobald die erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen.“ S. a. wie Anm. 1, insbes. die Mitteilung: „Die Beseitigung der oberen Empore wird für den Raum zweifellos ein großer Gewinn sein.“
  3. Vgl. zum Maler Christoph Faust Einl. Kap. 5. 4. 5., Kap. 5. 5. 2., Kap. 5. 6. 1.; s. a. Nr. 30. Die übrigen von ihm ausgeführten Inschriften siehe unter Nr. 134 (C), 177.
  4. Vgl. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 14 f., 159.
  5. Vgl. Nr. 177.
  6. Vgl. Nr. 175.
  7. Vgl. zum Kanzelkorb Nr. 134, zum Einbau der Emporen vgl. Anm. 1.
  8. Vgl. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 16; s. a. Nr. 134.
  9. Vgl. Ev. Kirchenord. 2, 1904, S. 186, 215–245.

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 176 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0017609.