Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 175 Esperstedt, ev. Kirche (St. Peter) 1612

Beschreibung

Zwei Schrifttafeln, Sandstein. An der äußeren Südwand des Kirchenschiffes befindet sich östlich vom Seiteneingang in ca. 2,50 m Höhe ein schmales, sich nach innen konisch verjüngendes Rundbogenfenster, dessen Öffnung innen verputzt und außen durch zwei übereinandergestellte, etwa 10 cm dicke Platten notdürftig zugesetzt worden ist. Die hochrechteckigen Tafeln wurden offensichtlich nicht für die Verwendung an dieser Stelle geschaffen, da der oberen die untere Leiste ihres einfach profilierten Rahmens fehlt. Ob und um wieviel dadurch die im Binnenfeld eingemeißelte Stiftungsinschrift (I) beschnitten wurde, bleibt unsicher. Das kleinere Binnenfeld der unteren Platte trägt die Bauinschrift (II), die sich unter der unteren Rahmenleiste fortsetzte, hier aber in unbekanntem Umfang abgeschlagen wurde.

Maße: H.: 56 cm (I), 58 cm (II); B.: 38 cm (I), 40 cm (II); Bu.: 2,8–3,5 cm.

Schriftart(en): Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Ilas Bartusch) [1/1]

  1. I

    JUSSU ET / DONATIO/NE · SINGU/LARI D(OMI)N(I) DA/VIDIS COMI=/TIS ET D(OMI)NI / IN MANSE:a) / DOMINI NO/STRI CLE=/ MENTIS(SIMI)b) / [– – –]c)

  2. II

    ANNO M · DC · / XII · HOC · TEMPLV(M) / RENOVATUM · PA/STORE · HENRICO / SYLBURGIO EBAL/DO · TRAUTMANNOd) / IO(ANNE)b) STEINKO[P]FIe) M Sf) //g) IOANN(E)b) NA[– – –]h)

Übersetzung:

Auf Veranlassung und durch die außerordentliche Schenkung des Herrn David, Grafen und Herrn zu Mansfeld, unseres gnädigsten Herrn (...) (I). – Im Jahre 1612 ist diese Kirche wiederhergestellt worden, als Heinrich Sylburg Pastor, Ebald Trautmann und Johannes Steinkopf Schöffenmeister (?), Johannes Naßes (?) (...) waren (II).

Kommentar

Die Schrift wurde von ungeübter Hand geschlagen und ist durch Unregelmäßigkeiten in Größe und Neigung gekennzeichnet. So verringert sich die Höhe der Buchstaben zum Textende hin immer mehr. Vor allem das O ist häufig deutlich kleiner als die übrigen Zeichen und sitzt über der Grundlinie. Der Mittelteil des geraden oder schwach konischen M endet in der Zeilenmitte. Die Cauda des R ist geradlinig oder geschwungen, aber stets ausgestellt. Als Worttrenner dienen kurze linksschräge Striche oder Dreiecke in Zeilenmitte.

Die Texte stiften auf den ersten Blick einige Verwirrung, weil sie trotz ihrer Verteilung auf zwei verschiedene Tafeln eine syntaktische und semantische Einheit bilden, jedoch nicht ursprünglich als solche konzipiert worden sein können. Es steht außer Zweifel, daß beide Inschriftenträger gleichzeitig erstellt und auf denselben Anlaß hin beschriftet wurden. Dafür sprechen die gleichen Rahmenprofile und die identischen Buchstabenformen. Folglich kann der neue Zuschnitt der oberen Tafel erst in einem zweiten Schritt geschehen sein, vermutlich zu dem Zeitpunkt, als man beide Steine in die Fensternische stellte. Dabei nahm man die Kürzung so vor, daß beide Texte einen neuen Sinnzusammenhang ergaben. Daß diese Konstellation indes ursprünglich so vorgesehen gewesen sein könnte, läßt sich auch auf Grund der ungewöhnlichen Position der Jahresangabe in der Mitte des Formulars ausschließen. Die Datierung befindet sich in der Regel entweder am Anfang oder am Ende einer Bau- bzw. Stiftungsinschrift.1) Als offene Fragen bleiben nun erstens, welche Nachricht mit dem neuen Zuschnitt verloren ging, zweitens, warum zunächst zwei Inschriften zu einem Umbau angefertigt wurden, und drittens, wann man diese zu einer Einheit zusammenfügte. Zum ersten Problem läßt sich zunächst einmal festhalten, daß man zur Zeit des neuen Zuschnitts durchaus am Erhalt der Inschrift interessiert war, den verlorenen Textabschnitt aber für vernachlässigenswert gehalten haben muß. In Bierings Topographia Mansfeldica wird die Erneuerung der Kirche mit folgenden Worten erwähnt: „Der hinten angebaute Chor ist angefangen worden 1612 den 24 Martij unt vollbracht in eben diesem Jahr den 4n Octobris.“2) Es handelte sich also nicht nur um die inschriftlich bezeugte Wiederherstellung der Kirche – HOC TEMPLV(M) RENOVATUM –, sondern zugleich um einen Neubau des Chores. Mit dieser Nachricht läßt sich nun die obere Inschrift überzeugend in Beziehung setzen und es wird klar, warum zwei unabhängige Steine beschriftet werden mußten: Die außerordentliche Stiftung Graf Davids von Mansfeld betraf vermutlich nur die Errichtung des Chores, weshalb die entsprechende Inschrift sicher auch dort angebracht werden sollte. Der verlorene Wortlaut müßte demnach sinngemäß so zu ergänzen sein: [HIC CHORVS CONSTRVCTVS (AEDIFICATVS / PERFECTVS) EST ANNO MDCXII] o. ä. Die Renovierung des Kirchenschiffes wird indes hauptsächlich die Gemeinde getragen haben, weshalb die untere Tafel lediglich die ansässigen Amtsträger nennt und zweifellos an anderer Stelle des Kirchengebäudes eingesetzt werden sollte. Im Zuge dieser Baumaßnahmen erhielt das Schiff u. a. seine gefelderte Holzdecke mit dem kunstvoll profilierten Längsunterzug.

Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wann man die Schrifttafeln schließlich in die Fensternische versetzte. Biering zitiert 1724 beide Inschriften bereits als Einheit.3) Aus zwei 1612 an die Innenwand der Kirche gemalten Inschriften geht allerdings indirekt hervor, daß das Fensterchen bereits in diesem Jahr von innen verschlossen worden sein muß, weil der eine Text sich über die verputzte Öffnung erstreckt4) und der andere auf derselben Farbschicht und in identischen Buchstabenformen durch ein entsprechendes Chronogramm5) datiert ist. Folglich kann die Nische auch außen nicht lange unverfüllt geblieben sein. Da es nun äußerst unwahrscheinlich ist, daß man eine bereits zugesetzte Fensteröffnung später nochmals geöffnet hat, um dort die Schriftplatten unterzubringen, dürften diese also noch im Zuge der letzten Baumaßnahmen von 1612 hier eingestellt worden sein. Diese Schlußfolgerung wiederum spricht dafür, daß man damals bestimmte Bauvorhaben nicht wie geplant zu Ende führen und die Tafeln deshalb nicht in die vorgesehenen Stellen einfügen konnte. Diese Vermutung gewinnt auch in Hinblick auf die finanzielle Situation Graf Davids von Mansfeld an Wahrscheinlichkeit. Er war 1571 als ein Sohn Volrads III. von Mansfeld geboren worden, hatte die Regierungsgeschäfte im Jahre 1593 übernommen und residierte in Schraplau.6) Sein Bestreben, die pekuniären Verhältnisse der Hinterort-Linie u. a. durch die Prägung der sog. Davidstaler zu verbessern, war ohne Erfolg geblieben.7) So sah er sich im Jahr des Kirchenumbaus 1612 sogar gezwungen, das Amt Sittichenbach für 94 000 Gulden an den Kurfürst Johann Georg von Sachsen zu verkaufen.8) Insofern ist durchaus denkbar, daß er für den Neubau des Esperstedter Chores zunächst mehr Geld bewilligt hatte als er letztlich zur Verfügung stellen konnte. Nur unter dieser Annahme wäre im übrigen auch die Bedenkenlosigkeit erklärbar, mit der man die inschriftliche Erinnerung an eine Stiftung des Landesherrn noch zu dessen Lebzeiten (gest. 1628) verstümmelte und in einen neuen Zusammenhang stellte. Letzte Gewißheit ist in diesen Fragen nicht zu erlangen. So bleibt ebenso die Möglichkeit, daß man es zunächst unterlassen hatte, den Spender der zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel inschriftlich zu erwähnen, und dieses Versäumnis nachträglich durch das Hinzusetzen von Text (I) behoben werden sollte.9)

Heinrich Sylburg stammte aus dem hessischen Frankenberg (Lkr. Waldeck-Frankenberg).10) Er trat die Esperstedter Pfarrstelle im März 1608 an, nachdem er zuvor als Lehrer in Hettstedt (Lkr. Mansfelder Land) und zwei Jahre als Rektor in der Eislebener Neustadt (Lkr. Mansfelder Land) tätig gewesen war.10) Nach einer fragmentarischen Nachricht im Kirchenbuch scheint er der Gemeinde im Jahre 1610 ein neues Leichentuch gestiftet zu haben.11) Während der verheerenden Pestepidemie von 1626 starb er am 25. Oktober im Alter von 51 Jahren und wurde zwei Tage später in der Kirche vor dem Altar beigesetzt.12)

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts gab es in Esperstedt zwei Personen namens Ebald oder Eobald Trautmann. Hier dürfte es sich um den Landschöffen und späteren Landrichter handeln, der ebenfalls im Jahre 1626, am 6. Mai, 58-jährig verstarb.13) Auch Hans Steinkopf gehörte zum Gremium der Zent- oder Landschöffen.14) Er wurde am 7. Mai 1627 im Alter von 73 Jahren begraben.15) Mit IOANN(ES) NA[– – –] kann schließlich nur der Schulmeister Johannes Naßes gemeint sein, dem 1610 zwei Töchter getauft wurden.16)

Textkritischer Apparat

  1. MANSE:] Verschlagen, lies: MANSF(ELD); Mansfeld HB Eisleben, Biering; Mansf. Kdm.; MANSF Kirchenrat Esperstedt, John.
  2. Abk. durch Doppelpunkt.
  3. Textverlust unsicher. Ergänze möglicherweise zu [HIC CHORVS CONSTRVCTVS (auch : AEDIFICATVS / PERFECTVS) EST ANNO MDCXII] o. ä., vgl. Kommentar.
  4. TRAUTMANNO] Die letzten drei Buchstaben nur noch undeutlich erkennbar. Trautmanio Kdm.
  5. STEINKO[P]FI] Anscheinend so statt STEINKOPFIO. Die letzten zwei Buchstaben allerdings kaum mehr erkennbar; das zu ergänzende O möglicherweise kleiner und hochgestellt.
  6. M S] Die Buchstaben nur noch schwach erkennbar, auch die Lesung N S nicht auszuschließen. Die Abk. nicht auflösbar.
  7. Ab hier Fortsetzung der Inschrift unterhalb der unteren Rahmenleiste der unteren Platte.
  8. NA[– – –]] Ergänze möglicherweise nach dem Namen des damaligen Schulmeisters Johannes Naßes, vgl. Anm. 16, zu NA[SSE LVDI MAGISTRO – – –] o. ä. Der Umfang des weiteren Textverlustes unsicher.

Anmerkungen

  1. Vgl. z. B. Nr. 54, 64, 142, 148, 156, 157, 169, 171, 209, 223.
  2. HB Eisleben, Biering 3, 1724, fol. 634 v.
  3. Vgl. ebd., fol. 634 v, 637 r.
  4. Vgl. Nr. 176.
  5. Vgl. Nr. 177.
  6. Vgl. Europ. Stammtaf. NF 19, 2000, Taf. 89; Seidel 1998, S. 220 f. S. a. Niemann 1834, S. 119 ff.; Grote 1877, S. 243; Francke 1723, S. 261–263.
  7. Vgl. Niemann 1834, S. 119.
  8. Vgl. Krumhaar 1872, S. 115.
  9. Die Erwägung basiert auf einem Hinweis von Dr. Harald Drös, Heidelberg. Für diese Rekonstruktion des Hergangs spricht, daß nach der letzten Zeile in Inschrift (I) keinerlei Schriftreste mehr zu erkennen sind, obwohl solche in Anbetracht der übrigen Zeilenabstände durchaus zu erwarten wären. Demnach könnte Inschrift (I) doch nicht gekürzt, sondern bereits als – schlecht angepaßte – Ergänzung zu (II) konzipiert worden sein.
  10. Vgl. Biering 1742, S. 151, 268.
  11. Vgl. PfA Esperstedt, Kb. 1, o. S. (Begräbnisreg. zu 1610); s. a. HB Eisleben, Biering 3, 1724, fol. 635 v.
  12. Vgl. PfA Esperstedt, Kb. 1, o. S. (Begräbnisreg. zu 1626). An Verwandten lassen sich seine Frau Dorothea und ein Vetter namens Jacob nachweisen.
  13. Vgl. PfA Esperstedt, Kb. 1, o. S. (Hochzeitsreg. zu 1609; Begräbnisreg. zu 1626). Der andere, etwa 12 Jahre ältere Ebald Trautmann war bereits am 30. 3. 1617 begraben worden, vgl. ebd. (Begräbnisreg. zu 1617). Der Namensidentität wegen lassen sich die zahlreichen Verwandten nicht sicher zuordnen.
  14. Vgl. PfA Esperstedt, Kb. 1, o. S. (Hochzeitsreg. zu 1616).
  15. Vgl. PfA Esperstedt, Kb. 1, o. S. (Begräbnisreg. zu 1627). An Verwandten läßt sich Martin Steinkopf nachweisen, der 1627 im Alter von 34 Jahren starb, vgl. ebd.
  16. Vgl. PfA Esperstedt, Kb. 1, o. S. (Taufreg. zu 1610). Vgl. zu den übrigen Esperstedter Familiennamen, von denen aber keiner in Frage kommen dürfte, Gräfe 1937, S. 76.

Nachweise

  1. HB Eisleben, Biering 3, 1724, fol. 634 v.
  2. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 219.
  3. Kirchenrat Esperstedt, John 1978, S. 98.

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 175 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0017502.