Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 64: Querfurt (2006)
Nr. 134 Esperstedt, ev. Kirche (St. Peter) 1587, 1589, (1612)
Beschreibung
Kanzelaltar, Holz. Der dreigeschossige Aufbau setzt sich aus Fragmenten mehrerer Bauphasen zusammen, so daß in ihm Konstruktions- und Zierelemente der Renaissance, des Barock und des Klassizismus miteinander verbunden sind. Der querrechteckige Altarkörper besteht aus den zwei Hälften des ehemaligen Retabels, in dessen Mitte die Kanzel eingefügt wurde. Diese wird auf der Vorderseite von zwei klassizistischen Pilastern flankiert. In den beiden Schreinteilen waren noch 1895 jeweils vier geschnitzte Heiligenfiguren untergebracht.1) In die Altarrückwand sind links und rechts des Zugangs zum Kanzelkorb die Signaturen (A) bzw. (B) mitsamt den Jahresangaben eingeritzt. Das Hauptgeschoß umgibt ein ca. 15 cm breiter Rahmen, an den sich oben das mit Zahnschnitten, triglyphenartigen Vorsprüngen und Dreikantprofilen verzierte Gebälk anschließt. Darüber erhebt sich ein gesprengter Dreiecksgiebel, der in der Mitte den fast quadratischen Aufsatz umfaßt. Darin ist die Darstellung der Himmelfahrt Christi gemalt. Das Untergeschoß besteht aus einer Predella, die an den Seiten zwei Rundbogennischen begrenzen, und einem schmaleren Verbindungsstück zur Mensa, das mit einem reliefierten Feston dekoriert ist. In den Nischen liest man zwei Bibelzitate.2) Beide sind in weißer Farbe auf eine blaue Grundierung aufgebracht worden. Im Zentrum der Predella ist in einem ovalen Bildfeld die Abendmahlsszene dargestellt. Sämtliche Bestandteile des Kanzelprospekts waren seitlich von kräftigem Knorpelwerk verziert, das sich jedoch nicht überall erhalten hat.
Die Kanzel besteht aus einem fünfseitigen Polygon, über dem in Höhe des Giebels ein Schalldeckel gleicher Form angebracht ist. Bis auf die Stirnseite zeigen die Außenwände des Korbes die farbigen Darstellungen der in weite Gewänder gehüllten Evangelisten, die in sitzender Stellung ihr Evangelium geöffnet auf den Knien halten und darin auf ein entsprechendes Zitat verweisen. Im nördlichen Feld ist Matthäus mit dem Engel (D) dargestellt; in der anschließenden Abbildung Johannes vor dem Adler (E). Auf der Stirnseite des Korbes ist ein aufrecht stehender, bärtiger Mann in schwarzer Schaube und mit weißer Halskrause zu sehen, der in der Rechten ein geschlossenes Buch hält. Oberhalb seines Kopfes liest man auf abblätternder Farbe in winziger Schrift die Altersangabe (F). In Richtung Süden folgt nun Lukas neben dem Stier (G), und auf dem letzten, den Altarkörper wieder erreichenden Kanzelfeld erkennt man Markus mit dem Löwen (H). Sämtliche Bibelzitate wurden in schwarzen Lettern auf weißen Grund aufgetragen.
An den Innenseiten des Korbes haben sich große Teile eines inschriftlichen Gebets erhalten (C). Dieses ist allerdings beim Kanzeleinbau beschnitten und auseinandergerissen worden, so daß sich der Text auf die zwei schräg zum Retabel verlaufenden Bretter verteilt. Während der größte Teil des Wortlautes auf der rechten Seite zu lesen ist, finden sich vereinzelte Silben und Buchstaben mancher Zeilenschlüsse an der linken Schnittkante der gegenüberliegenden Kanzelwandung. Die untere Begrenzung des Korbes bildet ein geschnitztes Ornamentband, das aus sich einander überlagernden Kreisbögen besteht. Diesem ist an der Frontseite die Jahreszahl 18/18 eingefügt.
Maße: H.: ca. 400 cm; B.: 256 cm; T.: 25 cm; Bu.: 2,5–3 cm (A, B), 2,7 cm (C), 0,8–0,9 cm (D), 1 cm (E), 0,4–0,5 cm (F), 0,7–1,3 cm (G), 0,7 cm (H).
Schriftart(en): Kapitalis (A, B, C, F, G), Fraktur und Kapitalis (D, E, H).
- A
· Aa) · S · 1 · 5 · 8 · 7b)
- B
Aa) · S 1589c)
- C
COR MENTEMd) LINGVA[M]3) / TV REGE, CHRISTEe), MEA[M] / VENIf), SPIRITVS SANCTE, / [VE]NI DATOR MVNERVM4) / DONA MIHI OS ET SAP[I]/ENTIAMg)5) AD ANNVNCIAN[DA]Mh) / LAVDEM TVAM; EFFICEi) [NE] / QUOD VERBVM IMPR[V]/DENTERj) MIHI EXCIDATk) [QV]Ol) / POSSIT NOMINIS TVI G[LO]RIAm), / AVT CONSCIENTIAn) MEA [LAE]DIo), / FAC, VT CV(M) FRVCTV DOC[EA]M;p) / ACCENDE CORTAq) AVDI/[T]ORVM VT ATTENTEr) / MANGNAs) CVM RE–VE[RE]NTIAt) / VERBVM TVVM AVDIAN[T] /u) ATQVE INDE EMEND[ENT]VRv)
- D
MATTH: / 11. / Kompt her / Zu mir / alle die ir / mühselig // v(n)d be/laden seid / ich wil eu(ch)w) / erquicken6)
- E
IOHAN: / 3. Also / hadt Gott // die weldt / geliebet, / das er sei=/nen ein/igen Son gabx)7)
- F
AETAT(IS)w) / 41.
- G
LV[C]: 1. / GLORIA / IN EXCEL/SIS DEO, / ET IN // TERRA / PAX HO=/MINIBVS / BONNy) VO/LVNTATI/S8)
- H
MARC: 16. / Wer gleubt / vnd getauft / wirdt, der wi//rt selig, wer / aber nicht / gleubet, der / wirdt ver/damptt9)
Übersetzung:
Lenke Du, Christus, mein Herz, meinen Geist und meine Zunge. Komm, heiliger Geist, komm, Gabenspender, schenke mir die Beredsamkeit und die Weisheit zur Verkündigung deines Lobes. Verhindere, daß mir irgendein Wort unklug entschlüpft, durch das der Ruhm deines Namens oder mein Gewissen verletzt werden könnten. Mach, daß ich mit Erfolg predige, entzünde die Herzen der Zuhörer, damit sie aufmerksam und mit großer Ehrfurcht dein Wort hören und sich daraufhin bessern (C). – (Seines) Alters 41 (F). – Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen guten Willens (G).
Versmaß: Pentameter, leoninisch gereimt (C, Zeile 1 und 2).
Textkritischer Apparat
- A] Spitzes A mit waagerechtem Deckbalken und senkrecht angesetzten Sporen.
- 1 · 5 · 8 · 7] Die 1 als kleiner, nach oben gesetzter Schaft ohne Anstrich ausgeführt, der unten nach links umgebogen ist.
- 1589] Der Schaft der 1 ohne Anstrich, aber mit i-Punkt. Der Balken der 5 im Halbkreis nach oben gebogen.
- MENTEM] Schrägschaft des N als Haarlinie gestaltet und nach oben ausgebuchtet.
- CHRISTE] Mittelbalken des H als Haarlinie gestaltet und nach oben ausgebuchtet. Das S ist nachträglich in halber Größe eingefügt worden.
- VENI] Versal in doppelter Größe und in die obere Zeile hineinragend.
- SAPIENTIAM] Das N retrograd.
- ANNVNCIAN[DA]M] Das M auf der gegenüberliegenden Kanzelwand.
- EFFICE] Über dem zweiten E irrtümlich ein i-Punkt.
- IMPR[V]/DENTER] Schrägschaft des N als Haarlinie gestaltet und nach oben ausgebuchtet.
- EXCIDAT] Das D aus einem T verbessert.
- [QV]O] Das O auf der gegenüberliegenden Kanzelwand. Diese Ergänzung verdanke ich Herrn Prof. Dr. R. Jakobi, Universität Halle-Wittenberg.
- G[LO]RIA] Die letzten drei Buchstaben auf der gegenüberliegenden Kanzelwand.
- CONSCIENTIA] Das zweite I in halber Größe unter den rechten Teil des T-Deckbalkens gestellt.
- [LAE]DI] Die letzten zwei Buchstaben auf der gegenüberliegenden Kanzelwand. Diese Ergänzung verdanke ich Herrn Prof. Dr. R. Jakobi, Universität Halle-Wittenberg.
- DOC[EA]M;] Das M und das Semikolon auf der gegenüberliegenden Kanzelwand.
- CORTA] Lies: CORDA.
- ATTENTE] Danach zunächst nochmals NTE geschrieben und durch Übermalung getilgt.
- MANGNA] Lies: MAGNA.
- RE–VE[RE]NTIA] Der Bindestrich knapp über der Grundlinie; die letzten vier Buchstaben auf der gegenüberliegenden Kanzelseite.
- Fortsetzung der Inschrift nach Leerzeile.
- EMEND[ENT]VR] Die letzten zwei Buchstaben auf der gegenüberliegenden Kanzelwand.
- Abkürzung durch Punkt auf der Grundlinie.
- gab] Das b neben der Buchseite.
- BONN] Lies: BONAE. Zwischen beiden N ein verbindender Schrägschaft.
Anmerkungen
- Vgl. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 219. Eine Marienfigur stand zu dieser Zeit auf dem nördlichen Chorgestühl. Die beschädigten Bildwerke befinden sich gegenwärtig im ev. Pfarramt Querfurt.
- Links steht: Jac: 4. 8. / Nahet euch zu / Gott, / so nahet Er sich / zu euch; rechts: Jac: 4: 10. / Demüthiget euch / vor Gott: / so wird Er euch / erhöhen.
- COR MENTEM LINGVA[M]] Vgl. die Anfänge der Sequenzen Nr. 15783 in AH 55, 1922, S. 282 und Nr. 15784 in AH 40, 1902, S. 139: „Lingua corde mente tota (...)“.
- VENI, SPIRITVS SANCTE, / [VE]NI DATOR MVNERVM] Vgl. den Beginn und den zweiten Vers der zweiten Strophe der Sequenz zum Pfingstsonntag im Missale Romanum 1926, S. 558: „Veni, Sancte Spiritus (...) veni dator munerum“. S. a. LThK 10, 2001, Sp. 592 f.
- DONA MIHI OS ET SAP[I]/ENTIAM] Vgl. Lc 21, 15: „ego enim dabo vobis os et sapientiam“.
- Mt 11, 28.
- Jh 3, 16.
- Paraphrase nach Lc 2, 14; Beginn des Gloria nach dem Ordo Missae, vgl. Missale Romanum 1926, S. 457 f.
- Mk 16, 16.
- Vgl. Nr. 176 u. 177.
- Vgl. Nr. 30.
- Vgl. Nr. 175.
- Vgl. Nr. 176.
- Vgl. dazu die Maßgaben der heutigen ev.-lutherischen Agende mit den ähnlichen Gebetstexten in Agende 1, 1969, S. 61, 385 f.
- Vgl. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 14–16.
- Vgl. die Abschrift eines Gutachtens des Konservators der Denkmale der Provinz Sachsen zur Esperstedter Kirche aus dem Jahre 1936 in Kirchenrat Esperstedt, John 1978, S. 101–103, hier insbes. den Verweis auf eine Bauinschrift aus dem Ende des 17. Jh. an einem verlorenen Unterzug der oberen Empore. Zum Emporeneinbau s. a. Nr. 176.
- Vgl. Nr. 176 u. Nr. 177. Vgl. auch die i-Punkte in Inschrift (C).
Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 134 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0013401.
Kommentar
Die Gestaltung der Inschrift (C) zeichnet sich durch einen regelmäßigen Wechsel von Haar- und Schattenstrichen aus, wobei die Richtung der verstärkten Schäfte durchaus variiert. Sämtliche Buchstaben tragen rechtwinklig oder schräg angefügte Sporen, die meist asymmetrisch nach einer Seite versetzt sind. Der obere Bogen des B wurde deutlich kleiner ausgeführt als der untere. Das E besitzt drei unterschiedlich lange Balken; der untere und längste ist am Ende leicht nach oben gekrümmt. Die eingestellte Cauda des G ist gerade, die des R stark geschwungen. Der Mittelteil des geraden bis leicht konischen M bleibt auf die obere Zeilenhälfte beschränkt. Das I hat stets einen quadrangelförmigen i-Punkt, den zwei schräg anliegende Zierlinien begrenzen. Diese Besonderheit in Verbindung mit dem Wechsel von Haar- und Schattenstrichen und mit der Gestaltung des E lassen keinen Zweifel daran, daß Inschrift (C) von derselben Hand stammt wie die Südwandgestaltung10) und damit schon 1612 zur Ausstattung der Kirche gehörte. Der ausführende Meister kann anhand der Schriftund Zierformen mit dem Freyburger Maler Christoph Faust identifiziert werden, dessen Name lediglich auf dem Niedereichstädter Altar überliefert ist.11)
Da Inschrift (C) beidseitig beschnitten ist, muß sie sich zuvor an anderer Stelle befunden haben. Die Kanzel war nach der Chorerweiterung von 161212) zunächst an der östlichen Südwand des Kirchenschiffes errichtet worden. Die im Zusammenhang damit erstellte Wandinschrift ermahnt den Pfarrer ausdrücklich dazu, jede Predigt mit einem Gebet einzuleiten.13) Der hier erhaltene Gebetstext dürfte darauf Bezug nehmen und das entsprechende Formular vorgeben.14) Eine ganz ähnliche Konstellation ist für die Dorfkirche von Alsleben (Lkr. Bernburg) überliefert, wo über dem Eingang zur Kanzel die mit Inschrift Nr. 176 nahezu identischen Distichen angebracht waren und an der Innenseite der Kanzeltür ein Gebetstext stand, der mit dem Esperstedter Fragment in vielen inhaltlichen und formalen Aspekten übereinstimmt.15) Somit dürften die heute den Kanzelkorb bildenden Bretter schon Bestandteile der älteren Kanzelkonstruktion von 1612 gewesen sein. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhielt die Kirche eine geräumige Empore, der die Kanzel an der Südwand weichen mußte.16) Zu dieser Zeit ist sie in den Schrein, den ein sonst nirgends nachweisbarer Kistner (?) A. S. zwischen 1587 und 1589 entweder gefertigt oder überarbeitet hatte, integriert worden. Etwas unsicher bleibt, ob die Evangelistendarstellungen erst zu dieser Zeit entstanden oder nur aufgefrischt und den neuen Gegebenheiten angepaßt wurden. Auffällig ist, daß die Maße der einzelnen Bilder genau mit denen des Korbes abgestimmt sind, der jedoch der beschnittenen Innenflächen wegen nicht unverändert von der älteren Kanzel übernommen worden sein kann. Vielmehr hat man für den Neubau nur wenige Bestandteile der ursprünglichen Konstruktion wiederverwendet und diese anders zusammengefügt. Insofern gehen wohl die Inschriften (D–H) auf die Neugestaltung des Kircheninneren am Ende des 17. Jahrhunderts zurück, obwohl sich die Buchstabenformen mit den Inschriften von 1612 durchaus vergleichen lassen. Diesbezüglich sei hier lediglich auf die Verwendung des i-Punkts in der Kapitalis von (E) oder auf den nach rechts abgeknickten oberen Schaftabschnitt des t in der Fraktur verwiesen. Die letzte Umgestaltung des Altares muß nach inschriftlichem Zeugnis im Jahre 1818 geschehen sein. In dieser Phase wurden sicher die klassizistischen Verzierungen, wie der Feston, die Zahnschnitte oder auch die Pilaster angebracht. Gleichzeitig dürften die jüngeren Bibelzitate entstanden sein.2) Aber auch hierbei könnte es sich um die imitierende Erneuerung eines älteren Zustandes handeln, da der Schriftmaler sich derselben, mit rechtsschrägen Begrenzungslinien ausgestatteten Interpunktionszeichen bediente, die ebenso in den Wandtexten von 1612 begegnen.17) Ob der Altar später weitere Überarbeitungen erfuhr – wie beispielsweise die mit der Jahreszahl 1876 versehene Orgel –, muß eingehenderen Untersuchungen überlassen bleiben.