Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 118 Großosterhausen (Gem. Osterhausen), ev. Kirche (St. Wigbert) 1575

Beschreibung

Epitaph eines Herrn P. S., Sandstein. Die an der nordöstlichen Innenseite des Chores aufrecht in die Wand eingelassene Platte ist in Form einer Rundbogennische gestaltet. Der etwa 10 cm breite Rand setzt sich jedoch nur wenig von dem eingetieften Binnenfeld ab. Der mit dem zweizeiligen Sterbevermerk (A) versehene Bogen ruht auf zwei blattwerkverzierten Kapitellen und ist an der Innenseite mit zwei Engelsköpfen ausgestattet. Auf der rechten senkrechten Rahmenleiste liest man die Bibelparaphrase (B), auf der linken das Bibelzitat (D). Der untere waagerechte Teil der Umrahmung ist überputzt worden und läßt nur noch einzelne Schaftenden erkennen (C). Im Zentrum ist der Verstorbene lebensgroß in farbig gefaßtem Halbrelief dargestellt. Der bärtige Mann trägt eine runde Kappe mit umgeschlagener Krempe, eine kleine Halskrause und knielange Pluderhosen. Die um die Schultern geworfene Schaube mit hohem, aufgestelltem Kragen läßt nur die vor der Brust im Betgestus zusammengelegten Hände frei. Auf dem unteren Saum verläuft das Bibelzitat (E). In der linken Ecke der Platte befindet sich oberhalb des rechten Fußes ein reliefiertes Vollwappen, dessen Helmzier von den Namensinitalen (F) flankiert wird. Auf der rechten Seite gegenüber ist eine hochrechteckige, von Rollwerk umgebene und horizontal in zwei Zonen unterteilte Kartusche angebracht, in deren oberen Feld das Bibelzitat (G), im unteren der Hymnenvers (H) in schwarz gefaßten Lettern auf braunem Grund erscheinen. Zwischen den Beinen der Figur erkennt man in Knöchelhöhe die Meistersignatur (I). Sämtliche Inschriften wurden eingemeißelt. An verschiedenen Stellen sind in den Kerben noch Farbreste wahrnehmbar.

Maße: H.: 195 cm; B.: 100 cm; Bu.: 2,5 cm (A, B, C, D), 1,8 cm (E), 2,5 cm (F), 1,5 cm (G, H), 4,1 cm (I).

Schriftart(en): Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Ilas Bartusch) [1/4]

  1. A

    OBDORMIVIT · IN · CHRISTO · ANNO · AETATIS · SVAE · CLIMACTERICOa)1) 42 / ANNOb) · POST · NATVM · CHRISTVM · 75c) · PRIDIE · CALENDAS · IAN(VARII) ·

  2. B

    [AP]O[CAL ·] 14 · SELIG [· SI]ND · DIE · TODTEN · DIE [·] IM [HERREN] / ENTSCHLAFFEN2) [....]:d)

  3. C

    [– – – / – – –]e)

  4. D

    [1 · TI]MOTH · 1 · KEMPF · EIN · RITTERLICHN · KAMPF · BEHALT · / DEN · GLAVBNf) · VND · EIN · GVT · GEWISSENd)3)

  5. E

    IOH: //g) ALSO · HAT · GOT · DIE · WELT · GELIEBET · DAS · ER · SEINEN · EINIGEN · SOHN · GAB ·4) //g) ETC(ETERA)h)

  6. F

    · P · //i) Sj) ·

  7. G

    CHRISTVSk) · IST · MEIN / LEBEN · STERBEN · / IST · MEIN · GEWINl) ·5)

  8. H

    MORS HAEC / REPARATIO / · VITAE · EST6)

  9. I

    ONWFm)

Übersetzung:

Er entschlief in Christus im gefahrvollen 42. Jahr seines Alters, im Jahre (15)75 nach Christi Geburt, am Tag vor den Kalenden des Januar (A). – Dieser Tod ist die Wiederherstellung des Lebens (H).

Versmaß: Katalektischer anapästischer Dimeter (H).

Datum: 31. Dezember 1575.

Wappen:
unbekannt.7)

Kommentar

Die Schrift läßt das Bemühen um Symmetrie und Gleichmäßigkeit erkennen. Die mit schmaler Kerbe geschlagenen Buchstaben haben alle etwa dieselbe Breite und sind mit deutlichen Sporen versehen. Charakteristisch sind das trapezförmige, leicht nach rechts aus der Achse verschobene A mit beiderseits knapp überstehendem Deckbalken, außerdem das konische M, dessen Mittelteil stets oberhalb der Grundlinie endet, und die geradlinigen Schrägbalken des K, die annähernd rechtwinklig zueinander gemeinsam am Schaft ansetzen. Als Worttrenner dienen kleine Dreiecke in Zeilenmitte.

Der Verstorbene ließ sich trotz des Wappens und der abgekürzten Wappenbeischrift nicht identifizieren.8) Die fehlende adlige Namensergänzung V(ON) zwischen den Initialen sowie die Wiedergabe eines Stechhelmes im Oberwappen deuten jedoch darauf hin, daß es sich um eine Person bürgerlichen Standes gehandelt haben wird.9) Dafür spricht außerdem die Kleidung, die man in ganz ähnlicher Zusammensetzung und Form auf den Epitaphien einiger Rektoren bzw. Lehrer im nahegelegenen Schulpforte abgebildet findet.10)

Der sich mit der Signatur ONWF bezeichnende Künstler ist bisher nur auf diesem Grabdenkmal nachweisbar.11)

Textkritischer Apparat

  1. CLIMACTERICO] CLI MAC . IFI . ICO Kdm.
  2. ANNO] Die Konturen der Buchstaben breiter ausgehauen.
  3. CHRISTVM 75] CHRISTI 1575 Kdm. Die 5 schräggestellt.
  4. GEWISSEN] Im Anschluß ein langgestrecktes Rankenornament als Zeilenfüller.
  5. Die Höhe mancher noch schwach sichtbarer Buchstabenbestandteile läßt auf zwei Zeilen schließen.
  6. KAMPF · BEHALT · / DEN · GLAVBN] KAMPE BEHALTEN Kdm.
  7. Saumanfang bzw. -ende.
  8. ETC(ETERA)] Kürzung durch Doppelpunkt.
  9. Unterbrechung durch Helmzier.
  10. S] Die Bogenenden gespalten.
  11. CHRISTVS] Das C geschlossen.
  12. GEWIN] Das N beschädigt; es könnte auch retrograd gebildet oder ein NN-Nexus sein.
  13. ONWF] ONW Kdm. Die Buchstaben sind durch Verschränkungen und Nexus miteinander verbunden. Dadurch die Reihenfolge der Buchstaben unsicher. Auch ist nicht auszuschließen, daß weitere Lettern in der Signatur „versteckt“ sind; vgl. Fig./Stz./M. Nr. 21.

Anmerkungen

  1. Der Begriff „annus climactericus“ bezeichnet das sogenannte Stufenjahr, das einen sieben- oder neunjährigen Zyklus beendet und stets als besonders gefährlich erachtet wurde. Im 17. Jahrhundert war es mitunter Sitte, jeden, der ein weiteres Stufenjahr überstanden hatte, mit besonderen Glückwünschen zu bedenken; vgl. HdA 8, 1936/37, Sp. 562f.; Zedler 2, 1732, Sp. 421.
  2. Off 14, 13.
  3. 1 Tim 1, 18–19.
  4. Jh 3, 16.
  5. Phil 1, 21.
  6. Prud. cath. 10, 117 (Circa exequias defuncti), vgl. CCL 126, 1966, S. 57. Die dazugehörige Strophe (Iam maesta quiesce querella / lacrimas suspendite, matres! / Nullus sua pignera plangat, / mors haec reparatio vitae est.) wurde zum Beginn eines der bekanntesten christlichen Begräbnislieder, vgl. Schatz ev. Kirchenges. 1, 1848, S. 335 Nr. 510; Wackernagel 1, 1864, S. 40 Nr. 42. S. a. ICL 1977, Nr. 7502; Early Latin hymns 1922, S. 145. Die letzten beiden Nachweise verdanke ich Herrn Prof. Dr. Thomas Klein, Universität Halle-Wittenberg.
  7. Vielleicht Schreck, vgl. Anm. 8. Ein gestürzter gesichteter Mond über einer Blume; als Helmzier über einem Helmwulst ein liegender gesichteter Mond. Die Tingierung ist bis auf einen rötlichen Schimmer auf der heraldisch rechten Schildoberfläche gänzlich verblichen.
  8. Die ältesten erhaltenen Kirchenbücher setzen erst 1669 ein, vgl. PfA Großosterhausen, Kb. 1. Das Sittichenbacher Erbregister von 1541 nennt mehrere Großosterhausener Familiennamen, die mit S beginnen, vgl. UB Mansfeld 1888, S. 510–515. Möglicherweise handelt es sich um einen Verwandten des zwischen 1550 und 1582 amtierenden Klosterverwalters von Sittichenbach mit dem Namen Hans Schreck, vgl. Grössler, Hermann, Reisen und Erlebnisse des Sittichenbacher Klosterverwalters Hans Schreck. 1550–1582, in: Mansfelder Blätter 12, 1898, S. 1–19.
  9. Vgl. beispielsweise die Wappenbeischriften adliger Familien in DI 9 (Lkr. Naumburg) 1965, Nr. 442 (1577), 443 (1578). Zur bevorzugten Verwendung des Stechhelms im Oberwappen durch bürgerliche Wappenführer vgl. Wappenfibel 1998, S. 79.
  10. Vgl. DI 9 (Lkr. Naumburg) 1965, Nr. 460 (1590), 462 (1590), 466 (1593).
  11. Vgl. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 329 Nr. 8.

Nachweise

  1. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 187.

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 118 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0011807.