Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 55 Saxdorf (Lkr. Elbe-Elster), ev. Kirche A. 16. Jh.

Beschreibung

Altarretabel, Holz. Das Retabel stammt ursprünglich aus der St.-Nicolai-Kirche zu Obhausen, wurde jedoch infolge des zunehmenden Gebäudeverfalls zeitweilig in der Obhäuser St.-Petri-Kirche eingelagert.1) 1973 kam der Altar als Leihgabe an die Pfarrkirche nach Saxdorf (Lkr. Elbe-Elster), wo man ihn 1999 restaurierte.2) Den nahezu quadratischen Schrein verschließen zwei Flügel, deren Außenseiten eine den Rahmen imitierende, gemalte Leiste horizontal in je zwei Zonen unterteilt. Links oben ist die Verkündigungsszene dargestellt, in der der Erzengel Gabriel auf die Jungfrau zutritt und mit dem rechten Zeigefinger auf sie weist. Er ist in eine Albe, eine darüberliegende Dalmatika sowie einen roten Umhang gehüllt und hält in der Linken das Lilienzepter. Der dunkle Besatz seines Amikts ist mit den zwei ersten Buchstaben des Englischen Grußes versehen (A). Maria trägt ein rotes Kleid unter einem bläulichen Überwurf, hat die Hände vom Lesepult erhoben und wendet ihr nimbiertes Haupt nach rechts dem Erzengel zu. Zwischen beiden Köpfen liest man in golden gemalten Buchstaben das hier als Bilderklärung verwendete Gebet (B). Die untere linke Flügelzone zeigt die Geburt Christi: Vor dem Kind kniend hält Josef eine Spindel, während Maria sich den Faden um die rechte Hand wickelt. Im oberen Feld des rechten Flügels ist die Heimsuchung Mariä dargestellt. Darunter überreichen die Heiligen Drei Könige dem auf Mariens Schoß sitzenden Christusknaben ihre Geschenke.

Der Schrein und die Flügelinnenseiten bergen hinter vorgeblendetem Distelrankenwerk im Dreiviertelrelief geschnitzte Heiligenfiguren. In einer etwas tieferen Mittelnische steht zentral die Muttergottes im Strahlenkranz, links von ihr die hl. Ursula, rechts die hl. Barbara. Die vergoldeten polygonalen Podeste der Märtyrerinnen tragen auf punziertem Grund die trassierten Namen (C, D). In den Flügeln finden übereinander jeweils vier kleiner ausgeführte Apostelfiguren Platz. Die entsprechenden Attribute tragen nur noch die Heiligen Petrus (Schlüssel), Paulus (Schwert), Johannes (Kelch), Matthäus (Beil) und Jakobus der Ältere (Pilgerstab mit Muschel). Alle Figuren sind in goldene Gewänder gehüllt und vor einen mit Granatapfelmotiven verzierten Behang gestellt.

Maße: H.: 177 cm; B.: 150 cm; T.: 23 cm; Bu.: 1,5 cm (A, B), 7,2 cm (C), 7 cm (D).

Schriftart(en): Frühhumanistische Kapitalis.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Ilas Bartusch) [1/5]

  1. A

    AVa)3)

  2. B

    AVE MARIAb) GR(ATI)Ac) PLE/NAd) D(OMI)N(V)Se) TECV(M)4)

  3. C

    S(ANCTA) / · VRS/VL/Af)

  4. D

    S(ANCTA) / · BAR/BAg)

Übersetzung:

Gegrüßt seist du, Maria, voll der Gnade, der Herr ist mit dir (B).

Kommentar

Als Kennzeichen der Frühhumanistischen Kapitalis begegnen hier das äußerst schmale, epsilonförmige E und das retrograde N, dessen Schrägschaft mit einer unauffälligen Ausbuchtung nach oben versehen ist. Das spitze A besitzt einen beiderseits überstehenden Deck- und einen gebrochenen Mittelbalken. Seine Schäfte sind leicht nach innen eingebogen. Das auffällig große G ist schwach eingerollt und oben fast geschlossen, das unziale D offen. Die Buchstaben der Inschriften (C) und (D) tragen deutliche Sporen. Die Bögen des B vereinigen sich oberhalb der Zeilenmitte, ohne den mit einem Halbnodus besetzten Schaft zu berühren. Die Cauda des offenen R ist gewölbt. Als Worttrenner dienen Quadrangel.

Gerstenberg weist das Retabel einem Meister fränkischer Stilrichtung zu, der auch den Schnitzaltar in der Stadtkirche zu Könnern (Lkr. Bernburg) geschaffen habe, und schlägt eine Datierung in die 20er Jahre des 16. Jahrhunderts vor.5) Diese Zeitstellung läßt sich mit den beschriebenen Schriftformen gut vereinbaren, jedoch nicht ganz so eng eingrenzen.6)

Textkritischer Apparat

  1. AV] Lies: AVE. Das A ohne Mittelbalken.
  2. M(ARIA)] Marienmonogramm. Das M konisch, die Schrägbalken des Mittelteils vereinigen sich im oberen Zeilendrittel, bilden dadurch ein gestürztes A und erreichen als senkrechter Schaft (=I) die Grundlinie. Im unteren Bereich des linken Schaftes das R, an den rechten das A angefügt.
  3. GR(ATI)A] Über dem A ein waagerechter Kürzungsstrich mit Ausbuchtung nach oben.
  4. PLE/NA] Der Schaft des P in den Unterlängenbereich gezogen; das L besteht wie die Minuskel nur aus einem senkrechten Schaft, der allerdings oben über die Zeile hinausragt.
  5. D(OMI)N(V)S] Über dem N ein waagerechter Kürzungsstrich mit Ausbuchtung nach oben.
  6. VRS/VL/A] Das A nur halb so groß und in die obere Zeilenhälfte versetzt.
  7. BAR/BA] Ergänze zu BAR/BARA.

Anmerkungen

  1. Die Angabe in Kdm. (Querfurt) 1909, S. 182f., der Altar gehöre zur Kirchenausttattung der Obhäuser St.-Petri-Kirche, beruht auf einer Verwechslung, die leider auch in Dehio 1999, S. 634 übernommen wurde. An der Rückseite des barocken Hauptaltares zu St. Petri befindet sich ein anderer spätmittelalterlicher Schnitzaltar, der hier nicht gemeint ist.
  2. Vgl. Denkmale Sachsen-Anhalt 1986, S. 506.
  3. Lc 1, 28 oder Anfang des Ave Maria, vgl. z. B. CAO 3, 1968, 64 Nr. 10539.
  4. Anfang des Ave Maria; vgl. z. B. CAO 3, 1968, 64 Nr. 10539. Zum Marienmonogramm vgl. Marienlexikon 3, 1991, S. 309 (Lemma: Inschriften).
  5. Vgl. Gerstenberg 1932, S. 20.
  6. Vgl. zur Frühhumanistischen Kapitalis im Bearbeitungsgebiet Nr. 66 (um 1506); Nr. 76 (1519); Nr. 77 (um 1520). S. a. die vorgeschlagene Datierung des Altars im Dehio 1999, S. 634: „A. 16. Jh.“.

Nachweise

  1. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 182f. (erw.), o. S. (Abb.).

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 55 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0005505.