Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 51 Gatterstädt (Stadt Querfurt), ev. Friedhofskirche (St. Peter) 2. H. 15. Jh.

Beschreibung

Sturz des ehemaligen Portals, Sandstein. An der äußeren Südwand des Kirchenschiffes befindet sich in 175 cm Höhe auf den Pfosten eines vermauerten Portals eine querrechteckige Platte mit einem reliefierten romanischen Bogenfeld. Innerhalb des etwas eingetieften und von einem zweifachen Wulst umgebenen Halbkreises erscheint eine segnende Hand über einem kleinen Kelch in Form eines Doppelbechers. Auf dem weiten Ärmel sind drei ovale Edelsteine und ein runder Knopf angedeutet. Die linke obere Ecke des Steinquaders zeigt eine geritzte Sonnenuhr, deren Legende (A) nur noch mit Mühe zu identifizieren ist. Unterhalb davon liest man in mittlerer Höhe das eingemeißelte Gebet (B). Auf der anderen Seite des Bogenfeldes ist ein eingehauenes Kruzifix mit einem reliefierten Korpus zu erkennen. Links und rechts des langen Kreuzstammes liest man in gleicher Höhe wie (B) die abgekürzten Nameninschriften (C). Über dem Kreuz steckt auf einem schmalen Sporn ein flach ausgehauenes Schild mit dem in erhabenen Lettern ausgeführten Kreuztitulus (D). Den unteren, 8 cm breiten Rand der Tympanonoberfläche füllt das eingemeißelte Gotteslob, gefolgt von einer knappen Bauinschrift (E).

Maße: H.: 77 cm; B.: 178 cm; Bu.: 6,2 cm (B, C, E), 2,2 cm (A, D).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (B), Gotische Minuskel mit Versal (C), Versalien der Gotischen Majuskel (D), Gotische Minuskel mit Versalien und einzelnen Kapitalisbuchstaben (E).

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Ilas Bartusch) [1/3]

  1. A

    7 [........] I II 3 4 5 6 7

  2. B

    ih(esv)sa) chr(istv)sb) am(en)c)

  3. C

    M(a)riad) //e) ioh(ann)esf)

  4. D

    I(ESVS) N(AZARENVS) [R(EX)] I(VDEORVM)1)

  5. E

    Gl(ori)ag) · p(at)ri · (et)h) · f(i)l(i)o · (et)h) · sp(iritu)si) · s(an)C(t)Oj) · sicV·T · E(rat)k)2) · a(nn)o · d(omi)ni · [m] · [.]c · vl) ·

Übersetzung:

Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist, so wie es war (...). Im Jahr des Herrn 1205 (?). (E)

Kommentar

Die Schrift der Texte (B), (C) und (E) ist durch starke Brechungen, eine rechtwinklige, gleichbleibend breite Kerbe sowie den völligen Verzicht auf Haar- oder Zierstriche gekennzeichnet. Bis auf wenige, besonders hervorgehobene Ausnahmen wurden sämtliche Ober- und Unterlängen in das Mittelband gezwängt, so daß sich die Größe der Buchstabenbestandteile entsprechend verminderte. Dabei sei vor allem auf das p verwiesen, dessen Bogen auffallend klein, nahezu quadratisch und oben offen ist. Den Rechtsschrägschaft des x ersetzt ein Quadrangel am oberen Ende des senkrecht gestellten Linksschrägschaftes, den in der Mitte ein waagerechter Balken durchschneidet. Auf den Balken des e wurde gänzlich verzichtet. Als Worttrenner dienen Quadrangel. Unter den noch erkennbaren Ziffern in (A) hat die 3 einen kleinen oberen und einen deutlich größeren, weit nach vorn gezogenen unteren Bogen. Die eckige, schlingenförmige 4 ist aufgerichtet und die linksgewendete 5 besitzt einen am oberen Schaftende ansetzenden, zum Deckbalken umgeformten Bogen. Die Buchstaben des Kreuzestitulus (D) sind stark verwittert. Deutlich erkennbar sind lediglich das als einfacher, gerader Schaft ausgeführte I und das runde N mit schwach wahrnehmbarer Bogenschwellung.

Form und ikonographische Gestaltung des Tympanons lassen keinen Zweifel daran, daß es bedeutend älter ist als die eingehauenen Inschriften. Auch wenn sich auf den romanischen Bogenfeldern des sächsisch-thüringischen Raumes kein direktes Vergleichsstück findet – die segnende Hand Gottes kommt zwar mehrfach vor, jedoch nirgends in Verbindung mit einem Kelch –, so bleiben andere überzeugende Indizien, die für eine frühere Datierung der reliefierten Bildnisse sprechen.3) Dazu zählen vor allem die schlichte künstlerische Ausführung sowie der querrechteckige Sturzstein, auf dem das viel schmalere Bogenfeld genau die Breite des ehemaligen Einganges überspannt, wie an den Pfosten noch deutlich abzulesen ist. Diese Merkmale zeichnen eine Gruppe von mitteldeutschen Tympana aus, die sich stilistisch in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts einordnen lassen.4) Spätere Arbeiten erhielten häufig ein florales Dekor oder mehrfigurige Bildnisse, während der gesamte Stein auf die Bogenform reduziert wurde.5) Ferner spricht der Typus des schaftlosen Kelches, dessen Fuß ähnlich der Kuppa gestaltet ist, für eine Entstehung des Reliefs vor oder um 1200.6) Schließlich sei auch auf die Rahmung mittels eines schlanken, unverzierten Doppelwulstes verwiesen, wofür das Tympanon der St.-Nikolai-Kirche zu Obhausen die stilistisch nächste Vergleichsmöglichkeit bietet.7) In Anbetracht dieser Argumente dürften die Reliefs zeitgleich mit dem weitgehend original erhaltenen Kirchengebäude geschaffen worden sein, dessen Anlage nach bauhistorischem Befund in das 12. Jahrhundert datiert wird.8) Diese Zeitstellung läßt sich nun durch die mindestens zwei Jahrhunderte später angefertigte Inschrift (E) mit einiger Sicherheit präzisieren. Denn die am Ende verzeichnete Jahresangabe ist zwar stark verwittert, aber immerhin noch gut genug erhalten, um festzustellen, daß sie nicht die Anfertigung der Inschrift datieren kann. Zwischen dem deutlich erkennbaren c und dem voranstehenden Worttrenner ist lediglich für e i n weiteres Zeichen Platz. Da anhand der noch schwach erkennbaren Kerbe ein d oder ein v als Multiplikator auszuschließen sind, kommt letztlich nur ein weiteres c und damit die Jahreszahl 1205 in Betracht.9) Mit dieser retrospektiven Zeitangabe lassen sich die Reliefs im Bogenfeld und die ursprüngliche Errichtung der Kirche gut vereinbaren. Möglicherweise hat man infolge eines späteren Umbaus auf die originale Bauinschrift von 1205 an anderer Stelle verzichten müssen und die Jahreszahl deshalb auf das Tympanon übertragen. Zur zeitlichen Einordnung dieses Vorgangs bleiben mithin nur die paläographischen Indizien: Der unbeholfene, sehr breit laufende Schriftduktus, die Verwendung einzelner Buchstaben in Kapitalis innerhalb eines Wortes sowie der gebrochene Bogen des G lassen sich in ähnlicher Form auch auf der Grabplatte der Anna von Gleichen (gest. 1481) beobachten.10) Da arabische Ziffern in Inschriften des mitteldeutschen Raumes in der Regel erst ab der Mitte des 15. Jahrhunderts Verwendung finden, dürfte folglich eine zeitliche Eingrenzung auf die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts zutreffen.11) Einer besonderen Erörterung bedarf diesbezüglich der Kreuztitulus (D), dessen Buchstaben im Gegensatz zu den übrigen Inschriften erhaben ausgeführt und dem Typeninventar der Gotischen Majuskel entnommen sind. Es wäre deshalb denkbar, daß der Titulus zeitgleich mit den Reliefs um 1205 entstanden ist. Der parallelogrammförmige Zuschnitt ist bereits im 12. und 13. Jahrhundert nachweisbar.12) Allerdings finden sich für diese Zeit nur vereinzelt Belege für die Verbindung des scheinbar aufgesteckten Schildes mit dem Kreuzstamm durch einen schmalen Sporn bzw. Steg.13) Die überwiegende Mehrheit an Beispielen für diese Darstellungsart entstammt indes dem Spätmittelalter und der frühen Neuzeit.14) Auf dem Gatterstädter Tympanon irritiert zudem die unverhältnismäßige Nähe des Schildes zum Rand der Platte, so daß wohl davon auszugehen ist, daß auch das Kruzifix nachträglich, d. h. gemeinsam mit den übrigen Inschriften, ausgeführt wurde.

Die Funktion der Texte ist hier kaum auf einen Aspekt zu beschränken: Als Anrufung und Lobpreis bitten sie um göttlichen Beistand. Zugleich aber sollen die Heiligennamen die unvollständige Bildlichkeit ergänzen bzw. ersetzen.15)

Textkritischer Apparat

  1. ih(esv)s] Der senkrechte Schaft des h besonders lang und durch einen Querbalken als Kreuzzeichen gestaltet.
  2. chr(istv)s] Befund: xps. Über dem griechischen r (= ρ) als Kürzungszeichen zwei Quadrangel.
  3. am(en)] Über dem ersten und dritten Schaft des m je ein Balken als Kürzungszeichen. nzr . Kdm.
  4. M(a)ria] Das M links geschlossen. Das Bogen- r kleiner über das i gestellt.
  5. Stamm des Kruzifixes.
  6. ioh(ann)es] Der senkrechte Schaft des h durch einen Querbalken als Kreuzzeichen gestaltet.
  7. Gl(ori)a] Die Kontur des G außen eckig und innen rund gestaltet, darüber ein waagerechter Kürzungsstrich.
  8. (et)] et-Haken aus Deckbalken und Schrägschaft, mit Mittelbalken.
  9. sp(iritu)s] Ohne Kürzungszeichen. Lies: sp(iritu)i.
  10. s(an)C(t)O] Ohne Kürzungszeichen.
  11. E(rat)] Über dem E befindet sich innerhalb des eingetieften Bogenfeldes ein waagerechter Kürzungsstrich mit eckiger Ausbuchtung nach oben.
  12. a(nn)o · d(omi)ni · [m] · [.]c · v] anno domini 1512 oder 1515 PfA Gatterstädt, Theuner; i . principio Kdm. Ergänzung nach LfD Halle, Fotoarchiv. Die Zeichen der Jahreszahl sind heute stark verwittert, die Zifferntrenner jedoch noch deutlich erkennbar. Ergänze vermutlich zu der retrospektiven Jahresangabe a(nn)o · d(omi)ni · [m] · [c]c · v; vgl. Kommentar. Zumindest kann die scheinbar näherliegende Lesart [m] · [v]c · v für 1505 ausgeschlossen werden. Zu den verschiedenen, mit dem hiesigen Befund aber nicht zu vereinbarenden Schreibmöglichkeiten der Jahreszahlen um 1500 vgl. Otte/Wernicke 1, 1883, S. 410; Bergner 1905, S. 402f.

Anmerkungen

  1. Io 19, 19.
  2. Kleine Doxologie; Staffelgebet während des Introitus der Heiligen Messe, vgl. Missale Romanum 1926, S. 455. Siehe dazu Jungmann 1, 1962, S. 423–429.
  3. Vgl. Neubauer 1972, S. 19–28, 34. Das Gatterstädter Tympanon blieb darin unberücksichtigt. Zur ikonographischen Bedeutung der Hand Gottes vgl. LCI 2, 1970, Sp. 211–214; zum Kelch vgl. ebd., Sp. 496f.
  4. Vgl. CRKSTG B/1, 1972, S. 8f., 173f. mit Abb. 114 (Tympanon in Nauendorf, Saalkreis, um 1200, hier auch die segnende Hand Gottes mit weitem Ärmel). Siehe ebd. zum Vergleich die Tympana auf querrechteckiger Grundplatte S. 41f. mit Abb. 3 (Allstedt, Lkr. Sangerhausen, um 1200), S. 57f. mit Abb. 13 (Burgsdorf, Lkr. Mansfelder Land, um 1200), S. 100f. mit Abb. 57 (Groppendorf, Gem. Hakenstedt, Ohrekreis, um 1200), S. 124f. mit Abb. 83 (Hornburg, um 1200), S. 133–135 mit Abb. 85 (Ivenrode, Ohrekreis, Ende des 12. Jh.), S. 216f. mit Abb. 165 (Schkeuditz, Lkr. Delitzsch, 4. V. 12. Jh.) und S. 192f. mit Abb. 219 (Obhausen, 2. H. 12. Jh.).
  5. Vgl. CRKSTG B/1, 1972, S. 17f.
  6. Vgl. zu den Formen der europäischen Kelche bis zum Anfang des 13. Jh. Braun 1932, S. 67–95 v. a. mit den Abb. 2, 3, 33, 34; s. a. Elbern 1963, S. 1–76, 117–188.
  7. Vgl. CRKSTG B/1, 1972, S. 192f. mit Abb. 219; Kdm. (Querfurt) 1909, S. 181 Fig. 86.
  8. Vgl. Dehio 1999, S. 200.
  9. Vgl. Anm. l.
  10. Vgl. Nr. 41.
  11. Vgl. die Erstbelege für arabische Ziffern in DI 6 (Naumb. Dom) 1959, Nr. 54 (1505); DI 7 (Stadt Naumburg) 1960, Nr. 187 (1480); DI 9 (Lkr. Naumburg) 1965, Nr. 384 (1488); DI 11 (Merseburg) 1968, Nr. 21 (1494); DI 33 (Stadt Jena) 1992, Nr. 20 (1481); DI 39 (Lkr. Jena) 1995, Nr. 51 (1472); DI 52 (Zeitz) 2001, Nr. 45 (1487).
  12. Vgl. für den deutschsprachigen Raum die Beispiele in Schiller 2, 1968, S. 487 (Abb. 435), 492 (Abb. 446), 522 (Abb. 505).
  13. Vgl. für den deutschsprachigen Raum die Beispiele in Schiller 2, 1968, S. 465 (Abb. 385; 1. V. 11. Jh.), 571 (Abb. 603; 1181).
  14. Vgl. für den deutschsprachigen Raum die Beispiele in Schiller 2, 1968, S. 435 (Abb. 317; 1523–30), 528 (Abb. 516; 1331), 536 (Abb. 532; 1553–55), 601 (Abb. 667; um 1440), 602 (Abb. 668; um 1500), 604 (Abb. 677; 1490–99), 608 (Abb. 688; 3. V. 14. Jh.), 632 (Abb. 740; um 1410 / Abb. 741; um 1430), 635 (Abb. 747; 1443), 656 (Abb. 788; 1511). S. a. DI 11 (Merseburg) 1968, Nr. 60 (1517/18), 70 (1530); DI 46 (Minden) 1997, Nr. 87 (1564).
  15. Auf Glocken wurde denselben Heiligennamen und dem Gloria patri eine magische Kraft zugeschrieben, vgl. Reallexicon Dt. Altertümer 1885, S. 298.

Nachweise

  1. PfA Gatterstädt, Theuner 1896, o. S. (unvollst.).
  2. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 110.
  3. LfD Halle, Fotoarchiv, Aufnahme von 1941, o. Neg.-Nr.
  4. RdG Gatterstädt, Ortschronik, S. 41.

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 51 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0005107.