Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 9 Alberstedt, ev. Kirche (St. Peter u. Paul) 2. H. 13. Jh.

Beschreibung

Glocke, Bronze. An der Schulter, die sich ohne Absatz an die gewölbte Glockenhaube anschließt, treten zwischen zwei doppelten Riemenstegen vier Gottesbezeichnungen, ein Synonym für Christus sowie der Name der Gottesmutter rückläufig und spiegelverkehrt hervor. Knapp 1 cm darunter befinden sich auf der Flanke in nahezu gleichen Abständen vier Quadrate mit einer Seitenlänge von etwa 7,5 cm. Ihre Flächen sind allesamt gitterartig gestaltet, die Rasterbereiche jedoch unterschiedlich gefüllt. Das erste unter dem Invokationskreuz der Inschrift verfügt über 16 Binnenfelder, in deren Mitte jeweils ein Punkt sitzt.1) Das zweite2) ist nur in vier Quadrate unterteilt, von denen jedes ein x-förmiges Kreuzchen umrahmt. Das dritte3) Viereck ist durch zwei Diagonalen in vier Dreiecke aufgeteilt. Darin weisen weitere vier gleichschenklige Dreiecke mit ihren Spitzen zum Zentrum. Das letzte Quadrat4) ist wie das zweite in vier kleinere Bereiche untergliedert, die hier jedoch von jeweils zwei Diagonalen zur Gänze durchkreuzt werden. Die sonst unverzierte Flanke begrenzen am Wolm zwei Stege.

Maße: H.: 90 cm; Dm.: 106 cm; Bu.: 4,6–5,2 cm.

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

SAW Leipzig, Inschriftenkommission (Ilas Bartusch) [1/3]

  1. +a) ALFAb) ET O5) ·c) TETRAGRAMATON6) ·c) EL7) · ELOYd)8) · MESSIASe) · MARIA

Übersetzung:

Alpha und O(mega), Tetragrammaton, Gott, mein (?)7) Gott, der Gesalbte, Maria.

Kommentar

Die gratigen Schäfte der im Mantelritzverfahren erstellten, gleichwohl sehr regelmäßig angeordneten Buchstaben heben sich deutlich von der Wandung ab. Das trapezförmige A verfügt über einen beiderseits weit überstehenden Deckbalken. Schaft und Balken des L sowie das Y sind stark gebogen. Das unziale E ist vollständig geschlossen, der Kapitalbuchstabe besitzt drei gleich lange Balken. Das G verfügt über eine relativ kleine, eingerollte Cauda. Das O und der hier rechts erscheinende linke geschlossene Bogen des unzialen M sind spitzoval geformt. Die geschwungene Cauda des R und der andere Bogen des M enden in einem Zierhaken. Die kräftigen, mitunter keilförmigen Sporen besitzen am S einen zusätzlichen gekrümmten Abstrich. Als Worttrenner fungieren einfache Punkte in Zeilenmitte.

Die Inschrift ist eine Gottesanrufung in apotropäischer Absicht.9) Dabei fällt auf, daß die in der christlichen Symbolik zentrale Drei- bzw. Vierzahl10) hier sowohl sprachlich als auch in der Gestaltung zum Ausdruck gebracht wurde. Einerseits liest man vier Varianten des Gottesnamens, die andererseits mit Christus und Maria zusammen eine Dreiergruppe bilden. Parallel dazu finden sich Verknüpfungen von Drei- und Vierecken in den geometrischen Figuren auf der Flanke. Über diese allgemeine Feststellung hinaus ist bisher jedoch noch keine überzeugende Interpretation der Quadrate gelungen, obwohl ähnliche Gitterzeichen auch auf anderen Glocken begegnen.11) Formal gleichen sie frühen Steinmetzzeichen, auch manchen Schreiber- bzw. Notarsigneten, denen neben ihrer Funktion als Verweis- bzw. Beglaubigungszeichen auch eine magische Kraft zugeschrieben wird.12)

Die Zeitstellung läßt sich vor allem anhand einiger Buchstabenformen näher eingrenzen, die in erstaunlicher Ähnlichkeit auf der datierten Glocke von 1290 in Gonna bei Sangerhausen wiederkehren.13) Dazu zählen vor allem das trapezförmige A, das spitzovale O und das M mit dem Zierhaken. Drei übereinandergesetzte Punkte als Worttrenner finden sich außerdem auf einer Mindener (1251), einer Tornower (Lkr. Ostprignitz-Ruppin; 1276) und einer Kittendorfer Glocke (Lkr. Demmin; 1288).14)

Textkritischer Apparat

  1. Griechisches Kreuz, bewinkelt von vier Punkten.
  2. ALFA] Das erste A mit Deck- und gebrochenem Mittelbalken, der linke Schrägschaft stark verkürzt, der rechte geschwungen und unten eingerollt.
  3. Drei senkrecht übereinanderstehende Punkte.
  4. ELOY] Eloy(m) Kdm., Glockenbestandserfassung 1. Wk., Neuß.
  5. MESSIAS] Das letzte S im Mittelteil durch einen ovalen Ring verziert.

Anmerkungen

  1. Vgl. Fig./Stz./M. 3.
  2. Vgl. Fig./Stz./M. 4. Unter den Buchstaben ETR des Wortes TETRAGRAMATON.
  3. Vgl. Fig./Stz./M. 5. Unter den Buchstaben ON des Wortes TETRAGRAMATON.
  4. Vgl. Fig./Stz./M. 6. Unter den Buchstaben ME des Wortes MESSIAS.
  5. Vgl. Apc 1, 8; 21, 6; 22, 13.
  6. Gemeint ist der Gottesname ‎‏יהוה‏‎, der aus vier Buchstaben besteht, vgl. Jüd. Lex. 4/2, 1930, Sp. 926f. Auf Glocken u. a. nachweisbar in Diemeringen (Elsaß, dép. Bas-Rhin), vgl. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 4, in Hartmannsweiler (Elsaß, dép. Haut-Rhin), vgl. Otte 1884, S. 124, in Straßburg, vgl. Walter 1913, S. 159, in Strögen (Gem. Horn, Niederösterreich), vgl. ebd., in München, vgl. ebd., S. 270f.
  7. EL ist die transliterierte Form für die hebräische Gottesbezeichnung ‎‏אֵל‏‎, vgl. Gesenius 1915, S. 36; Jüd. Lex. 2, 1928, Sp. 1235. Auf Glocken u. a. nachweisbar in Diemeringen, vgl. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 4.
  8. Die Form ELOY läßt sich in mittelalterlichen Gebetstexten und auf Glocken mehrfach nachweisen, vgl. Franz 2, 1909, S. 92, 101; Oratio Sancti Brandani in: CCM 47, 1977, S. 19; DI 9 (Lkr. Naumburg) 1965, Nr. 364; Otte 1884, S. 124 (Glocke von Hartmannsweiler im Elsaß). Sie scheint neben ELOHIM eine gebräuchliche Transliteration der hebräischen Gottesbezeichnung ‎‏אֱלהִֹים‏‎ gewesen zu sein, in der das Schluß- M keine Berücksichtigung fand, vgl. z. B. die Übertragung Petrus Abaelardus’ in seinen Epitome theologiae christianae, in: Migne PL 178, 1885, Sp. 1705f. Zur Herleitung der im Alten Testament nicht belegten Form aus der Singularbildung ‎‏אֱלֹהַּ‏‎ in Verbindung mit dem Possessivsuffix der 1. Pers. Sing. im Sinne von „mein Gott“ vgl. HdA 2, 1930, Sp. 793.
  9. Vgl. zu ALFA ET O Nr. 3, HdA 1, 1927, Sp. 310, Poettgen 1999/2000, S. 70–72; zu TETRAGRAMATON Otte 1884, 124; zu ELOY und MESSIAS die Segensformel gegen Stürme in Franz 2, 1909, S. 92: „(...) inclitus Ely Eloy Ely Messias Yeye Sother (...).“ S. a. Mc Kenzie 1948, S. 170–181.
  10. Vgl. zu Dreizahl bzw. Dreieck LCI 1, 1994, Sp. 524f.; Meyer/Suntrup 1987, Sp. 214-331; zu Vierzahl bzw. zum Quadrat LCI 4, 1994, Sp. 459f.; LCI 3, 1994, Sp. 485; Meyer/Suntrup 1987, Sp. 332-402. Zur Zeremonie der Glockenweihe gehörte es, den Himmelsrichtungen entsprechend vier Kreuze mit Chrisam aufzutragen, vgl. Steffens 1893, S. 179.
  11. Vgl. die Köchstedter Glocke (Saalkreis) in Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 286; die Untergreißlauer Glocke (Lkr. Weißenfels) in DI 62 (Weißenfels) 2005, Nr. 73 oder Schilling 1988, S. 151. S. a. das Quadrat auf der Großosterhausener Glocke, vgl. Nr. 13 Anm. b, oder die sehr ähnlichen geometrischen Verzierungen auf dem Benndorfer Taufstein (Lkr. Mansfelder Land) in Kdm. (Merseburg) 1883, S. 8.
  12. Vgl. List 1986, S. 32 (Basel), 40 (Trifels), 41 (Worms); Schuler 1996, S. 675, 677 (Abb. 11), 678 (Abb. 19), 679 (Abb. 26); Mateu Ibars/Mateu Ibars 1996, S. 488 (Abb. 52–57).
  13. Vgl. das Faksimile der Abreibung Nr. 28 in Grössler 1878, o. S. (Taf. 3); Schilling 1988, S. 147 (Abb. 280).
  14. Vgl. DI 46 (Minden) 1997, Nr. 16 (Abb. 9); Schilling 1988, S. 135 (Abb. 229), 138 (Abb. 241). S. a. die Burgdorfer Glocke (Lkr. Hannover; 1270) in Schönermark 1889, Sp. 181 (Abb. 11, Bl. 7) oder die Glocke der Ascherslebener St.-Stephanus-Kirche (Lkr. Aschersleben-Staßfurt) in Kdm. (Aschersleben) 1904, S. 62 Nr. 7.

Nachweise

  1. Grössler 1878, S. 37f.
  2. Sommer 1889, S. 405.
  3. Kdm. (Mansf. Seekr.) 1895, S. 3f.
  4. LfD Halle, Glockenbestandserfassung 1. Wk., Aufnahmebogen zu Alberstedt vom 13. März 1917.
  5. Schmeißer 1922, Nr. 41, S. 164.
  6. Schilling 1988, S. 136.
  7. Neuß 1999, S. 325f.

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 9 (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0000900.