Inschriftenkatalog: Ehemaliger Landkreis Querfurt

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 64: Querfurt (2006)

Nr. 7† Göhrendorf (Gem. Nemsdorf-Göhrendorf), ev. Kirche (St. Nikolaus) 4. V. 13. Jh.

Beschreibung

Glocke. Sie war die mittlere des dreitönigen Geläutes, das 1909 vollständig ersetzt wurde.1) Unterhalb der hochgewölbten Haube befanden sich an der Schulter „zwischen doppelten Riemenlinien“ Bibelzitat und Gebet.2) Daneben war darauf „der Abdruck von dreyn Monetis Bracteatis zu sehn (...).“3) Einer davon zeigte offensichtlich ein Stadttor, ein anderer zwei Engel, die gemeinsam eine Kerze halten.4)

Inschrift nach Faksimile der Abreibung in Kdm.

Maße: H.: ca. 90 cm5); Dm.: 87 cm2).

Schriftart(en): Gotische Majuskel.

Orig.: o. A. [1/3]

  1. +a) VOX DOMINI SV(PE)Rb) APVASc)6) GLO(RI)Ed) · PXEe) · UENIf) · CVM · PACEg)

Übersetzung:

Die Stimme des Herrn ist über den Wassern, (König) des Ruhms, Christus, komm mit Frieden.

Kommentar

Die im Glockenmantel im Ritz- und Ausschabeverfahren7) erstellte Schrift zeichnet sich durch das gleichzeitige Auftreten unzialer bzw. runder und kapitaler Formen aus. So erscheint das N in zwei Varianten und das flachgedeckte A sowohl mit geradem als auch geschwungenem linken Schaft. Das E ist durchgängig unzial, aber nicht geschlossen. Die Schrägschäfte des X sind beide geschwungen, das G eingerollt. Der Mittelteil des geraden kapitalen M ist auf die obere Zeilenhälfte begrenzt. Die Lettern weisen deutliche Bogenschwellungen auf und haben lange, dünne Sporen, die leicht nach außen gekrümmt sind. Teilweise sind letztere auch kräftiger und nahezu dreieckig ausgeführt. Die ersten fünf Wörter erscheinen in der Abreibung in scriptura continua. Als Worttrenner dienen danach kleine, von Punkten umgebene Kreise.8)

Die Schrift- und Zierformen zeigen eine deutliche Verwandtschaft mit denen auf der Gatterstädter Glocke und den typischen Gestaltungprinzipien des dort behandelten unbekannten Meisters bzw. seiner Werkstatt.9) Die Gemeinsamkeiten bestehen vor allem hinsichtlich der Worttrenner, der Halbnodi, der Bogenschwellungen am geschwungenen linken Schaft des trapezförmigen A und an der Cauda des R. Charakteristisch sind ebenso die als Haarlinien gestalteten Sporen und Deckstriche, deren Enden hakenförmig umgebogen sind. Andererseits fehlen hier die sonst häufig Schäfte und Bögen begleitenden Zierlinien mit den vegetabilen Ausbuchtungen.10) Auch in Anbetracht der relativ vielen kapitalen Lettern und der überwiegend fehlenden Buchstabenabschlüsse ist diese Glocke deshalb wohl eher in die Mitte der angenommenen Schaffensperiode, also etwa in das ausgehende 13. Jahrhundert einzuordnen.11)

Das Psalmzitat fand sowohl in die Benediktionen des Weihwassers12) als auch in die Liturgie der Glockenweihe13) Aufnahme und zählt zu den sprachlichen Wendungen, denen magische Kraft zugeschrieben wurde. Ähnliches gilt für das bekannte und weit verbreitete Glockengebet O REX GLORIE VENI CUM PACE, das sich vermutlich aus dem Ritus der Kirchweihe herleitet,14) aber auch in einer Segensformel gegen Blitze auftaucht.15) Die Ergänzung durch die Anrufung CHR(IST)E war durchaus üblich, weniger hingegen die Vernachlässigung des Wortes REX, die jedoch auch kein Einzelfall ist.16)

Textkritischer Apparat

  1. Lateinisches Kreuz, dessen Balken fast in der Mitte sitzt.
  2. SV(PE)R] Ohne Kürzungszeichen. Die geschwungene Cauda des R verfügt über eine starke Schwellung.
  3. APVAS] Lies nach Ps 28, 3: AQVAS. Das P möglicherweise ein spiegelverkehrtes Q. Beide A waren trapezförmig gestaltet, besaßen einen geschwungenen linken Schrägschaft, einen gebrochenen Mittelbalken und einen beiderseits überstehenden Deckstrich mit hakenförmig nach oben gebogenen Enden. Die geschwungenen linken Schrägschäfte zeigen deutliche Schwellungen. Die Kontur des zweiten A ist nur umrissen, aber nicht ausgehoben, vgl. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 115.
  4. GLO(RI)E] Ohne Kürzungszeichen. Lies nach dem bekannten Glockenspruch: REX GLO(RI)E. Bergners Angaben zufolge soll die Kontur des eingerollten G nur umrissen, der Buchstabe aber nicht ausgehoben gewesen sein, vgl. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 115.
  5. PXE] Fehlt in PfA Leimbach, Chronik. Lies: XPE für CHR(IST)E. Die Vertauschung der Lettern läßt sich auf vielen Glocken dieser Gießhütte nachweisen, vgl. Schubart 1896, S. 76; Liebeskind 1921, S. 32.
  6. UENI] UENI DOMINE PfA Leimbach, Chronik.
  7. PACE] Das A ist trapezförmig, der Deckstrich beiderseits nach oben umgebogen, der Mittelbalken gebrochen. C und E weisen in den inneren Rundungen oben und unten Halbnodi auf.

Anmerkungen

  1. Vgl. LfD Halle, Glockenaktenslg. (ungeord.), Querfurt, Kreis No. 9, I. Abgabe (handschriftl. Zusammenstellung, ca. 1917), o. S. (Aufzeichnungen zu Göhrendorf). Das alte Geläute bestand außerdem aus einer Glocke von 1580, vgl. Nr. 128, und einer dritten kleineren ohne Inschrift, vgl. PfA Leimbach, Chronik 1714/17, S. 5.
  2. Vgl. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 115.
  3. Vgl. PfA Leimbach, Chronik 1714/17, S. 5 (Skizze).
  4. Siehe Abb. 16, 17.
  5. Näherungswert, errechnet aus der Angabe: „Die ander Glocke ist im Perimetro 9½ Fuß und 3. Fuß in der Höhe“, vgl. PfA Leimbach, Chronik 1714/17, S. 4. Ein Fuß umfaßt in der Regel eine Länge von 29–31 cm, vgl. Meß- u. Währungssysteme 1998, S. 19.
  6. Ps 28, 3. Lehfeldts Lesart derselben Inschrift auf der Kalbsriether Glocke (Kyffhäuserkreis) in Kdm. (Apolda) 1888, S. 284 abwegig: VOX DOMINI SV(MMI) R(ESONO) A(D) P(OPULUM) V(OCO) A(D) S(ACRA) etc.
  7. Vgl. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 115.
  8. Vgl. Otte 1884, S. 120 mit Taf. II, Nr. 5. Dieselben Worttrenner auf einer Gatterstädter Glocke, vgl. Nr. 21.
  9. Vgl. Nr. 21.
  10. Vgl. hierfür beispielsweise die Glocken zu Kalbsrieth (Kyffhäuserkreis) in Kdm. (Apolda) 1888, S. 284, zu Gramsdorf (Lkr. Bernburg), Großmühlingen (Lkr. Schönebeck), Großweißand (Gem. Weissandt-Gölzau, Lkr. Köthen), Streetz (Lkr. Anhalt-Zerbst) u. a. in Schubart 1896, S. 253, 278, 287, 462.
  11. Zur Schaffensperiode der Werkstatt vgl. Nr. 21, Schubart 1896, S. 76. Als bezüglich der Schrift enger verwandtes Beispiel vgl. die Inschrift der Gnetscher Glocke (Lkr. Köthen; um 1300) in Schubart 1896, S. 246.
  12. Vgl. Franz 1, 1909, S. 171.
  13. Vgl. Steffens 1893, S. 181.
  14. Vgl. Schubart 1896, S. 537f.; Poettgen 1999/2000, S. 75f. Allg. zu diesem Spruch s. a. Otte 1884, S. 121; Walter 1913, S. 162–168; Dt. Glockenatlas (Württ./Hohenzollern) 1959, S. 15.
  15. Vgl. Franz 2, 1909, S. 87; Kizik 1992, S. 204f.
  16. Vgl. diesselbe Auslassung auf der Glocke in Kalbsrieth (Kyffhäuserkreis) in Kdm. (Apolda) 1888, S. 284.

Nachweise

  1. PfA Leimbach, Chronik 1714/17, S. 5.
  2. LHASA Merseburg, Landraths Acta 1828, fol. 60r.
  3. Kdm. (Querfurt) 1909, S. 115f.

Zitierhinweis:
DI 64, Querfurt, Nr. 7† (Ilas Bartusch), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di064l002k0000709.