Inschriftenkatalog: Stadt Düsseldorf

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 89: Stadt Düsseldorf (2016)

Nr. 74† † Schloss (?) 1585

Beschreibung

Bühne für die Aufführung eines opernhaften Singspiels, das vor dem Ringrennen, dem ersten der anlässlich der sogenannten Jülicher Hochzeit zwischen Herzog Johann Wilhelm I. von Jülich-Kleve-Berg und Markgräfin Jakobe von Baden gehaltenen Turniere, am 18. Juni 1585 auf der in Pempelfort gelegenen Turnierbahn aufgeführt worden ist. Eine Abbildung der in Form eines Berges gestalteten Bühne ist überliefert auf einem der Kupferstiche von Hogenberg, die die ausführliche, von Dietrich Graminäus verfasste Beschreibung der Hochzeitsfeierlichkeiten illustrieren. Graminäus gibt auch eine Beschreibung und Erläuterung des Dargestellten. Auf einem der beiden Gipfel saß ein Jüngling als Amphion, der „also genehm und lieblich singen und die Cyther schlagen können“, dass sich Steine aus dem Berg lösten und sich zu der an der Vorderseite errichteten Stadt und der Mauer von Theben symmetrisch zusammenfügten; im Tor der Stadt ein Mann und eine Frau, die durch die Geburt eines männlichen Erben glücklich vereint waren. Oberhalb des Tores auf dem Gesims und über den Säulen befanden sich „Latinische Carmina mit gar herrlicher schöner Schrifft“, die den dargestellten Figuren zugeordnet waren. Ihr Wortlaut ist nicht überliefert. Auf einem anderen Teil des Berges saß zwischen Bäumen auf einem zweiten Gipfel ein Jüngling mit Lyra als Orpheus, der mit seinem Spiel die zahlreichen wilden Tiere, die den Berg bevölkerten, friedlich stimmte. Seitlich fast am Fuße des Berges der Hirtengott Pan, der zwei streitende Böcke an den Hörnern hielt. Hinten auf dem Berg war eine „erklerung und ausslagung“ der Gesänge und des Berges in Prosa, eine Allegorese, angebracht (A) und über dem Ganzen waren sechs Verse „so der Figuren des Bergs auch beygeschnitten /zugeordnet vnd darüber künstlich gestelt“ (B).1)

Nach Graminäus.

  1. A

    Interpretatio montis ac versuum.a)Orpheus et Amphion bonorum principum imagines sunt. Eorum cytharae religio ius et aequum. Caprae cornua inter quae nerui tonsi potestas est innocua, plectrum lingua, nerui leges habentur. Harum concentus harmoniam vel veram concordiam reddit.Coelestem harmoniam colere et amplecti principem decet nam haec ratio est homini diuinitus infusa. Haec leniet rapidas tigres id est passionum impetus et tumidos leones hoc est rebelles et superbos spiritus mitigabit. Quadrupedum et bipedum choreae sunt ciuium atque ordinum congrua officia et pacati conuictus legibus temperate. Saxa et cautes dura et obstinata rudium hominum pectora signant quae ritae formari ac in ordinem redigi rationis ac legum harmonia possunt. Haec etiam denique foedera et societates connubia et necessitudines sola religiose iunget ac indissolubili vinculo firmabit.

  1. B

    Harmoniam coelo venientem amplectere princepsLeniet haec rapidas tigreisa) tumidosque leones Quadrupedum et bipedum choreas agitabit amicasSaxa trahet rigidas formabit in oppida cauteisb)Blandiloqui plectri ductu taedasque iugaleisb)Accendet ritu sacro connubia nectens

Übersetzung:

Auslegung des Berges und der Verse. Orpheus und Amphion sind Abbilder guter Regenten, ihre Kitharae sind Gottesverehrung, Recht und Billigkeit. Die Hörner der Ziege, zwischen die die Saiten gespannt sind, sind die rechtschaffene Herrschaft. Das Plektrum steht für die Sprache, die Saiten für die Gesetze. Ihr Zusammenwirken bringt Harmonie und wahre Eintracht hervor. Es ziemt sich, dass der Herrscher die himmlische Harmonie in Ehren hegt und pflegt, denn diese Vernunft ist dem Menschen von Gott eingegeben worden. Diese wird die wilden Tiger besänftigen, das heißt den Ansturm der Leidenschaften, und die aufbrausenden Löwen, das heißt die aufrührerischen und hochmütigen Geister, wird sie milde stimmen. Die Reigen der Vier- und Zweifüßler sind die entsprechenden Ämter der Bürger und Stände und das friedliche Zusammenleben, das durch Gesetze geregelt ist. Die Steine und Felsen bedeuten die harten und verstockten Herzen der rohen Menschen, die in rechter Weise unterwiesen und durch den Einklang von Vernunft und Gesetzen in die rechte Ordnung zurückgebracht werden können. Diese (d. i. die Harmonie) nämlich wird schließlich Bündnisse und Gemeinschaften, Eheverbindungen und Verwandtschaften allein heilig verbinden und mit einem unauflöslichen Band festigen. (A)

Die Harmonie, die vom Himmel kommt, hege, Herrscher. Diese wird die wilden Tiger und die aufbrausenden Löwen besänftigen. Sie wird die freundschaftlichen Reigen der Vier- und Zweifüßler anspornen. Sie wird die Steine schleifen, die harten Felsen zu Städten formen. Und veranlasst durch das schmeichelnde Plektrum wird sie die Hochzeitsfackeln entzünden und in heiliger Zeremonie die Ehebande knüpfen. (B)

Versmaß: Hexameter (B).

Kommentar

Die 1585 in Düsseldorf gezeigte Aufführung war nach Riemenschneider die erste in Deutschland nachgewiesene eines Singspiels über Orpheus und Amphion.2) Mauern und Stadt von Theben bildeten den Bühnenrahmen, in dessen Hintergrund sich der mit Tieren, Pflanzen und Bäumen belebte Berg erhob. Wenn die Proportionen auf dem Kupferstich einigermaßen korrekt wiedergegeben wurden, hat die Bühne eine beachtliche Größe besessen; zumindest Orpheus und Amphion sind durch lebende, musizierende Personen dargestellt worden. Angaben über Materialien macht Graminäus nicht. Vermutlich war die Bühne auf riesigen Wagen angebracht, für die Riemenschneider die Vorbilder in den florentinischen „Trionfi“ sieht.3) Der Berg ist nach Graminäus „algemach gar langsam bey der Erden, dass man sein vorziehen kaum ermercken mögen, auffgetragen worden“. Er ist auch auf einem weiteren, in zwei unterschiedlichen Fassungen erhaltenen Kupferstich zum Turnier zu sehen. In der älteren Fassung befindet er sich im Turnierrund vor der Tribüne, in der jüngeren, der Beschreibung beigegeben Fassung an der linken oberen Seite neben der Tribüne.4) Möglicherweise zeigt die ältere Fassung die Position der Bühne während der Aufführung, die jüngere die Stelle, an der die Bühne abgestellt wurde, um für das Turnier Platz zu schaffen.5) Über den weiteren Verbleib nach den Hochzeitsfeierlichkeiten findet sich keine Angabe.

Den Inhalt des Singspiels, der den Sagen der griechischen Mythologie über Orpheus und Amphion entnommen war, legt Graminäus sehr ausführlich als Huldigung an den Herrscher und seine Tugenden aus. Eine Zusammenfassung für die Zuschauer am Turniertag boten die Inschriften auf dem Berg. Orpheus und Amphion stehen für den guten Regenten, der in Frömmigkeit und Gottesverehrung mit von Gott gegebener Vernunft die Welt – dargestellt durch die Tiere, Steine und Felsen – in einen Zustand des Einklangs und der Harmonie führt, zu deren wesentlichen Bestandteilen die sorgfältig geschlossenen, unauflöslichen Beziehungen zwischen den Menschen, darunter die Ehe, zählen. Mit dem Inhalt der Inschriften und den dargestellten Figuren werden die bereits bei dem Virginal (Nr. 60) anzutreffenden Motive des Orpheus und der Bedeutung der Musik bzw. Harmonie aufgegriffen, ausgeweitet und in den Dienst des Herrscherlobes gestellt.

Nach Riemenschneider6) handelt es sich bei dem Singspiel wahrscheinlich um eine gemeinsame Arbeit des ehemaligen Düsseldorfer Druckers und Lehrers Johannes Orydryus7) und des Hofmusikers Martin Peudargent.8) Letzterer soll neben Graminäus selbst auch an den konkreten Vorbereitungen des Singspiels beteiligt gewesen sein. Graminäus fügt seiner Beschreibung noch eine – allerdings nicht vollständige9) – Liste der Musiker hinzu, die an diesem Singspiel sowie an anderen Stellen des Festes mitgewirkt haben.10)

Textkritischer Apparat

  1. Wegen der Länge des Textes wurden zur besseren Verständlichkeit an einigen Stellen Satzzeichen eingesetzt.
  2. Zu der abweichenden Form des Akk. Pl. vgl. Kühner/Holzweissig, Grammatik, Bd. 1, S. 334, § 73a,1.

Anmerkungen

  1. Die Beschreibung des Bergs und alle Zitate bei Graminäus, Beschreibung, nicht paginiert; zum 18. Juni 1585; die Abb. ebd., Kupferstich 10. Zu der Hochzeit selbst sowie der Beschreibung vgl. Kap. 2.1.5 der Einleitung.
  2. Riemenschneider, Theatergeschichte, Bd. I, S. 33.
  3. Ebd.
  4. Kupferstich 7 (ältere Fassung) bzw. 9 (jüngere Fassung). Zu den beiden Fassungen vgl. Kap. 2.1.5 der Einleitung, dort Anm. 161. Beide Fassungen sind abgebildet bei v. Büren, Hof, S. 32f., u. ders., Hochzeit, S. 296.
  5. In beiden Fassungen wirkt die Bühne im Verhältnis zur Umgebung kleiner als auf Kupferstich 10, was jedoch auch auf die unterschiedliche Perspektive zurückgeführt werden kann. Dazu Riemenschneider, Theatergeschichte, Bd. I, S. 34.
  6. Vgl. zum Folgenden ebd., S. 39–41.
  7. Kat. Land im Mittelpunkt, S. 495, Nr. K 31 (H[einz] F[inger]/I[nge] Z[acher]); v. Büren, Hof, S. 21; Kloosterhuis, Erasmusjünger, S. 409.
  8. Vgl. zu ihm Nr. 60.
  9. Es fehlen unter anderem die Namen der beteiligten Sängerinnen. Vgl. Riemenschneider, Theatergeschichte, Bd. I, S. 40f.
  10. Zu den genannten Musikern vgl. die Angaben bei v. Büren, Hof, S. 30–33.

Nachweise

  1. Graminäus, Beschreibung, nicht paginiert; zum 18. Juni 1585 u. Kupferstich 10.

Zitierhinweis:
DI 89, Stadt Düsseldorf, Nr. 74† (Ulrike Spengler-Reffgen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di089d008k0007406.