Inschriftenkatalog: Stadt Düsseldorf
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 89: Stadt Düsseldorf (2016)
Nr. 55 Rathaus 1547
Beschreibung
Rathausglocke; gegossen von Derich (von) Overraide (von Coellen).1) Bronze. Die Glocke hing im Treppenturm des 1570–1573 errichteten Rathauses.2) Während des durch schwere Kriegsschäden erforderlich gewordenen Wiederaufbaus des Rathauses (1958–1961) wurde die verloren geglaubte Glocke in der höchsten Spitze des Treppenturms gefunden und nach einer Überholung zunächst in der Ehrenhalle des Rathauses aufgestellt und schließlich an ihrem alten Platz aufgehängt.3) Die Glocke ist nicht zugänglich.4) Die Haube ist mehrfach profiliert. Um die Schulter verläuft zwischen Stegen die zweizeilige Glockenrede (Spruch, Auftraggebervermerk und Datum) unterhalb eines Werkstattfrieses mit traubenförmiger Kreuzblume über einem Punktstab mit halbem Vierpass. Ihr Anfang ist durch ein Kruzifix gekennzeichnet. Am Wolm befinden sich fünf, am Schlagring drei Stege.
Nach Foto LVR-ZMB, Fotoarchiv, 024.1.1-000920 SN (Foto eines Abdrucks).
Maße: Dm. ca. 52 cm;5) Bu. ca. 1,5 cm.6)
Schriftart(en): Gotische Minuskel.
+ ir · boerger · zo · dosseldorp · laista) · uch · niedt · uerdriessen ·
der · raidt · unde · scheffen / · hadt · mich · doein · geissen · 1 · 5 · 4 · 7b) ·
Versmaß: Deutsche Reimverse.
Textkritischer Apparat
- s spiegelverkehrt.
- 1545 Kauhausen, Schürmann, Burgplatz, Schürmann, Düsseldorf.
Anmerkungen
- In der Literatur wird mehrfach das Jahr des Gusses falsch mit 1545 angegeben. S. dazu im textkritischen Apparat Anm. b und z. B. Moeller, Baugeschichte, S. 356 Anm. 2.
- Vgl. z. B. Heimeshoff, Häuser, Bd. 1, S. 175; Moeller, Baugeschichte, S. 356 Anm. 2.
- Heimeshoff, Häuser, Bd. 1, S. 176; Düsseldorf. Das Rathaus, S. 6. 1982 (ebd.) und 1988 (Schürmann, Burgplatz, S. 26) wird als ihr Standort der Turm angegeben. 1998 hat sie ihren Platz bei der Sanierung des Turms noch einmal verlassen und wird nach der Stadtchronik am 23. Oktober 1998 wieder an ihrem alten Platz aufgehängt (https://www.duesseldorf.de/stadtarchiv/stadtgeschichte/chronik/duesseldorfer-stadtchronik-1998.html; Zugriff: 03.05.2020).
- Die folgende Beschreibung nach zwei Fotos: StA Düsseldorf, Foto 037-111-035, Fotograf Wilfried Meyer; Foto eines Gipsabdrucks der Inschrift LVR-ZMB, Fotoarchiv, 024.1.1-000920 SN.
- Freundliche Mitteilung von Herrn Jörg Poettgen (Mail v. 10. Juni 2011) nach dem Abdruck. Die genauen Maße konnten aufgrund der Unzugänglichkeit nicht genommen werden.
- Der Schulterumfang beträgt ca. 82–83 cm. Diese und die Angabe zur Buchstabengröße erfolgt nach einem Vergleich mit den Maßen des Abdrucks auf dem Foto.
- Ich danke Herrn Jörg Poettgen für die Identifizierung des Gießers. Zum Werkstattfries vgl. Poettgen, 700 Jahre, S. 138; zum Renaissancefries ebd., S. 141, Abb. 137, Fries Nr. 3.
- Neben den ebd., S. 156, genannten vier Glocken zählt dazu auch die Glocke im Dom zu Essen von 1546 (DI 81 (Essen), Nr. 108).
- So bezeichnet bei Poettgen, 700 Jahre, S. 156.
- Zum Übergang von Johan von Coellen auf Derich vgl. ebd., S. 156f.
- DI 81 (Essen), Nr. 108.
- Zu der Verwendung unterschiedlicher Buchstabenformen vgl. Poettgen, 700 Jahre, S. 139.
- Ebd., S. 138; Die Kunstdenkmäler des Siegkreises, bearb. von Edmund Renard (Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz 5,4), Düsseldorf 1907, S. 180 mit falscher Jahreszahl. Ich danke Herrn Jörg Poettgen für den Hinweis auf diese beiden Glocken.
- Poettgen, 700 Jahre, S 148.
- Ebd., S. 121–163; zu Derich ebd., S. 152–159.
- Ebd., S. 121 Anm. 461.
- Vgl. die Auflistung ebd., S. 159 (45 Glocken) u. DI 81 (Essen), Nr. 108.
- Vgl. dazu Wisplinghoff, Mittelalter, S. 195; vgl. auch Leo Peters, Das „Ältere Düsseldorfer Bürgerhaus“ vor Übertragung der Besitzrechte an die Karmelitessen, in: Spohr, Theresienhospital, S. 25–28, bes. S. 25, sowie in diesem Band Nr. 62.
- Vgl. den kurzen Überblick bei Wisplinghoff, Mittelalter, S. 195 u. S. 194 Abb. 68; Schürmann, Burgplatz, S. 12f. u. S. 14 Abb. 19; dies., Düsseldorf, S. 106f.; Heimeshoff, Häuser, Bd. 1, S. 175. Zu M. Pasqualini vgl. Leo Baer, Art. Pasqualini, de, in: Thieme/Becker 26, S. 272f., 272.
- Vgl. Schürmann, Burgplatz, S. 18–23; dies., Düsseldorf, S. 107; Heimeshoff, Häuser, Bd. 1, S. 176f.
Nachweise
- LVR-ZMB, Fotoarchiv, 024.1.1-000920 SN (Foto eines Abdrucks).
- StA Düsseldorf, Foto 037-111-035 (Fotograf Wilfried Meyer).
- LAV NRW R, Slg. Guntrum, Abt. II, Nr. 88 (auf einem Zettel, ohne Paginierung).
- Paul Kauhausen, Das alte Düseldorfer Rathaus und seine Geschichte (Beilage zu den „Mitteilungen für die Stadtverwaltung Düsseldorf“ Nr. 1 vom 01.01.1957), [Düsseldorf 1957], S. [2].
- Schürmann, Burgplatz, S. 26.
- Schürmann, Düsseldorf, S. 107.
- Düsseldorf. Das Rathaus, S. 6.
- [Clemens] v[on] L[ooz-]C[orswarem], Art. Rathausglocke, in: Das große Düsseldorf-Lexikon, hg. von Clemens von Looz-Corswarem/Benedikt Mauer, Köln 2012, S. 571.
Zitierhinweis:
DI 89, Stadt Düsseldorf, Nr. 55 (Ulrike Spengler-Reffgen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di089d008k0005500.
Kommentar
Da der Text der zweiten Zeile kürzer ist, wurde diese mit einem Renaissancefries, bestehend aus einem Medaillon mit einem unbedeckten Männerkopf zwischen Blattvoluten, aufgefüllt. Dabei wurde jeweils ein Abschnitt des Frieses als Worttrenner verwendet, während bei der Jahreszahl ebenso wie in der ersten Zeile lediglich das Medaillon als Trennzeichen dient.
An der als Quadrangel ausgeführten Fahne des r ist ein Zierstrich angesetzt; die unteren Schaftenden von p und h laufen in nach links bzw. rechts umgebogenen Zierstrichen aus. Das z setzt sich zusammen aus drei übereinander gesetzten Quadrangeln, an denen unten ein nach links umgebogener Zierstrich angesetzt ist. In laist findet sich ein spiegelverkehrtes rundes s, dessen unteres Bogenende ebenfalls in einen Zierstrich ausläuft. Der obere Bogen bei g ist unten offen. Insgesamt sind die Buchstabenformen typisch für die gotische Minuskel.
Als Gießer konnte aufgrund des Werkstattfrieses und des zur Worttrennung und Zeilenfüllung verwendeten Renaissancefrieses Derich (von) Overraide (von Coellen) identifiziert werden.7) Die Glocke gehört zu einer Gruppe von insgesamt sechs Glocken dieses Gießers aus den Jahren 1546 bis 1549,8) die nicht bezeichnet sind und nicht die „,offizielle’ Kennleiste“9) aus der Werkstatt seines Vorgängers Johan von Coellen aufweisen, da dieser selbst noch tätig war.10) Die Inschrift ist in Minuskeln ausgeführt, während jene auf der ein Jahr zuvor für Essen gegossenen, sehr viel größeren Glocke11) in Kapitalis gegossen wurde. Die Verwendung beider Typen, auch kombiniert auf einer Glocke, ist allerdings für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Kölner Werkstätten nicht ungewöhnlich.12) Auch der Wortlaut verweist auf die Kölner Gießerwerkstatt Overraide/van Coellen, denn das Wort „verdrißen“, allerdings in den Formen „verdrossen“ bzw. „unverdrossen“, erscheint lediglich auf zwei weiteren Glocken der 1540er Jahre, einer Glocke des Gießers Heinrich von Coellen von 1541 für Ruppichteroth13) und einer des Gießers Johan van Coellen aus dem Jahr 1547 für Much.14)
Derich (von) Overraide (von Coellen) gehörte zu einer seit 1474 in Köln tätigen Gießerfamilie;15) der Name (von) Overraide gibt lediglich die Herkunft, nicht den Werkstattort, an.16) Insgesamt sind von ihm 47 Glocken aus den Jahren 1546 bis 1585 bekannt.17) Er starb vor dem 16. Juli 1587.
Der Rat der Stadt Düsseldorf hat nach der Stadterhebung zunächst seine Sitzungen in der Lambertuskirche abgehalten, später dann in mehrfach wechselnden Gebäuden.18) 1544/45 nahm die Stadt Geld auf, um das am Markt gelegene und wohl bereits als Bürgerhaus genutzte Haus der Familie Monheim zu erwerben, das sich jedoch rasch als zu klein und wohl auch in schlechtem baulichen Zustand erwies. Daher wurde ab 1567 der Neubau des Rathauses geplant, der 1570 bis 1573 durch den Duisburger Maurermeister Heinrich Tußmann nach Plänen ausgeführt wurde, die vermutlich von Maximilian Pasqualini stammen.19) Mitte des 18. Jahrhunderts ließ Kurfürst Carl Theodor das Rathaus umgestalten. Nach schweren Beschädigungen des alten Rathauses im Krieg wurde es 1958–1961 wiederaufgebaut und erhielt seine ursprüngliche Fassade zurück.20)
Die Glocke hängt heute wieder in der Laterne des Treppenturmes, der in der Mitte der Fassade des Alten Rathauses mit fünf Seiten eines Achtecks hervortritt. Da dieser Turm jedoch zum Rathausbau von 1570–1573 gehört, muss sie zuvor in dem als Rathaus genutzten Monheimschen Haus untergebracht worden sein. Ihre Anschaffung steht in engem zeitlichen Zusammenhang zum Erwerb dieses Hauses und dem Bestreben, ein Rathaus am Markt einzurichten.