Inschriftenkatalog: Stadt Düsseldorf

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 89: Stadt Düsseldorf (2016)

Nr. 45† Hamm, St. Blasius 1506

Beschreibung

Glocke, vielleicht des Gießers Jan van Neuss. Die Glocke mit Glockenrede (Name, Widmung, Datum und Meisterinschrift) war die größte der drei im Oktober 1823 wegen des Abrisses der alten Kirche aus dem Turm entfernten Glocken.1) Sie bekam nach der Zwischenlagerung am 7. Dezember 1825 bei der Benediktion der neu erbauten Kirche2) einen Riss3) und wurde 1860 umgegossen.4) Als der Hammer Pfarrer Johann Wilhelm Udalrich Krings (Pfarrer 1811–1832) die Glockeninschrift zum 6. Oktober 1823 verzeichnete, notierte er – vermutlich aufgrund eines Lesefehlers – falsch 1206 statt des vermutlich richtigen 1506 für das Jahr des Gusses. Angaben über Größe, Gewicht oder Einzelheiten der Glockenzier sind nicht überliefert.

Nach PfA St. Blasius Hamm, Akten über den Kirchenbau 1815–1864, Mappe A III, zum 6. Oktober 1823 (Krings).

Schriftart(en): Gotische Minuskel (?).

  1. Maria heis ichgott siehta) michsanct Blasius und sanct Catharinab) luden ichc)anno d(omi)ni MCCVI gos mich Wirthd)

Versmaß: Deutsche Reimverse (Zeilen 1–3).

Kommentar

Die Aufzeichnungen des Pfarrers Krings bieten in mehrfacher Hinsicht Anlass zu Fragen.5) Er gibt an, die Inschrift sei „in antiquis literis Petri“ geschrieben und deutet damit an, dass sie schwer zu lesen war.6) Lesefehler sind mithin mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die Jahreszahl 1206 für den Guss der ältesten Hammer Glocke haben bereits Walter und Renard als nicht zutreffend angesehen und die Angabe des Jahres zu 1706 korrigiert.7) Die hier vorliegende Inschrift in deutscher Sprache und mit der Angabe des Gießers kann nicht aus dem Beginn des 13. Jahrhunderts stammen.8) Bis zum Ende des 14. Jahrhunderts ist die Sprache der Glockeninschriften fast ausnahmslos Latein; die Verwendung deutscher Reimverse in Glockeninschriften verbreitet sich erst von der Wende des 14. zum 15. Jahrhundert von Köln aus im Rheinland.9)

Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hat die Inschrift jedoch die Zahl 1506 enthalten. Ausgehend von der Annahme, dass Krings mit seiner Angabe zur Schrift die für ihn schwer lesbare, gotische Minuskel beschrieben hat10) und die in der Inschrift angegebene Jahreszahl in römischen Ziffern ausgeführt war, ließe sich die falsche Jahreszahl durch einen einfachen Lesefehler erklären, bei dem mvcvi zu miicvi, bei Krings in der für seine Zeit typischen Weise als MCCVI wiedergegeben, verlesen wurde.11) Auch die Angabe in der Neusser Stadtrechnung von 1501–1502, dass „man zo s. Blasius ingen Hamm zo einre nuwer clocken gebeden was“,12) lässt den Guss einer Glocke für das Jahr 1506 wahrscheinlich erscheinen.13)

Auffällig ist auch das Formular: Gott sieht mich ist ansonsten nicht überliefert; die Reihenfolge von Gussjahr und Gießervermerk ist ebenso ungewöhnlich wie die Nennung des Namens auf das gos mich folgend, nicht vorangestellt. Ein Glockengießer namens Wirth konnte zudem bislang nicht nachgewiesen werden.14) Poettgen15) hat ausgehend von der Annahme, dass die Inschrift in gotischer Minuskel ausgeführt war, vermutet, dass Krings den Gießernamen nuiss (mit einer Kombination aus langem s und rundem Schluss-s ?) zu wirth verlesen hat, so dass als Gießer vielleicht Jan van Nuiss/Neuss16)genannt werden kann, zumal dieser nur wenige Jahre später auch je eine Glocke für Hubbelrath (Nr. 46) und Wülfrath gegossen hat. Da die ebenfalls von Jan van Nuiss stammende Glocke in Schöller die Inschrift ann heissen ich – ihesus marien dienen ich trägt, hat an Stelle des Gott sieht mich vielleicht Gott dienen ich gestanden. Demnach wäre nach Poettgen in Hamm folgender Wortlaut für den ersten Teil möglich: maria heis ich, gott dienen ich, [in] sant blasius ind sant catarina [er] luden ich. Die ungewöhnliche Reihenfolge von Datum und Gießervermerk lässt sich vielleicht damit erklären, dass ein Teil der Inschrift aus Platzgründen in einer zweiten Zeile gestanden hat und Krings diese an der ihm richtig erscheinenden Stelle eingefügt hat.

Die falsche Angabe des Jahres 1206 hat zu einer Reihe von nicht haltbaren Aussagen über das Alter der Hammer Kirche geführt,17) die sogar bis zu der Äußerung reichten, der hl. Suitbertus habe in Hamm, nicht in Kaiserswerth gewirkt.18)

Textkritischer Apparat

  1. sieth v. Trostorff; sicht Walter, Schaeben.
  2. Katharina v. Trostorff; Catherina Brzosa.
  3. mich Binterim/Mooren, v. Trostorff, Walter, Schaeben.
  4. gos mich wirth fehlt Binterim/Mooren, v. Trostorff, Schaeben.

Anmerkungen

  1. PfA St. Blasius Hamm, Akten über den Kirchenbau 1815–1864, Mappe A III, zum 4.–6. Oktober 1823; vgl. Schmitz, Kunde, S. 5.
  2. Die 1824–1825 erbaute Hammer Kirche wurde ihrerseits 1910/11 vollständig umgebaut und erweitert und erhielt ihr heutiges Aussehen. Vgl. dazu Schmitz, Kunde, S. 51–59; Düsseldorf. Stadt und Kirche, S. 163.
  3. PfA St. Blasius Hamm, Akten über den Kirchenbau 1815–1864, Mappe A III, zum 7. Dezember 1825, sowie ein loses Blatt in der Mappe zum selben Datum; vgl. Schmitz, Kunde, S. 44 u. 60.
  4. PfA St. Blasius Hamm, Akten über den Kirchenbau 1815–1864, Mappe C III, zum 1. Juli 1860; vgl. Schmitz, Kunde, S. 60.
  5. Vgl. zu den Aufzeichnungen des Pfarrers auch Nrn. 20 und 30.
  6. Mit „litterae S. Petri“ wird die scrittura bollatica bezeichnet, eine an der Kurie von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis 1878 verwendete Schrift, die im 18. und 19. Jahrhundert so schwer lesbar war, dass jeder in ihr ausgestellten Urkunde eine beglaubigte Kopie in normaler Schrift beigelegt wurde. Vgl. dazu Frenz, Littera Sancti Petri.
  7. Walter, Glockenkunde, S. 387; Renard, Glocken, S. 83. Kraus, Inschriften 2, Anhang 2, S. 335, Nr. 50, vermerkt: „wahrscheinlich auf einem Schreibfehler oder einer Fälschung beruhend“.
  8. Vgl. dazu auch Poettgen, 700 Jahre, S. 53f.
  9. Vgl. dazu ebd., S. 27.
  10. Neben der Angabe zu den „litterae S. Petri“ (vgl. Anm. 6) ist darauf hinzuweisen, dass Krings an anderer Stelle die Inschrift zur Grundsteinlegung der 1823–1825 neugebauten Kirche korrekt in Großbuchstaben wiedergibt. Wenn er also diese Glockeninschrift ebenso wie die der Glocke von 1468 in Minuskeln abschreibt, scheint er in dieser Frage glaubwürdig zu sein.
  11. Vgl. dazu die Ausführungen bei Poettgen, 700 Jahre, S. 28 u. 73; zum hochgestellten c als Multiplikationsfaktor bei der Angabe des Jahrhunderts vgl. auch Glaser/Bornschlegel, Datierungen, S. 532.
  12. Friedrich Lau, Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der rheinischen Städte. Kurkölnische Städte I, Neuss (PGRhG XXIX, I), Bonn 1911, S. 399. Für den Hinweis auf diesen Beleg danke ich herzlich Frau Elisabeth Emler, Düsseldorf-Volmerswerth.
  13. Nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann allerdings die Möglichkeit, dass Krings lediglich eine Ziffer übersehen hat und die Glocke 1706 gegossen wurde.
  14. Walter, Glockenkunde, S. 910, und Renard, Glocken, S. 83, verzeichnen unter seinem Namen nur diese Glocke.
  15. Die folgenden Angaben ebenso wie die Anmerkungen zum Formular nach Hinweisen von Herrn Jörg Poettgen, Overath, dem ich an dieser Stelle sehr herzlich danken möchte.
  16. Zu Jan van Neuss vgl. Poettgen, Studien, S. 17; ders., Werkstätten, S. 30, Nr. 56.; weitere Angaben auch im Kommentar zu Nr. 46.
  17. PfA St. Blasius Hamm, Akten über den Kirchenbau 1815–1864, Mappe A III, loses Blatt zum 7. Dezember 1825: „ex campana hujus antiquitate facile colligi potest anterior veteris Ecclesie antiquitas“. Vgl. z. B. auch Schmitz, Kunde, S. 6f.
  18. Vgl. dazu die Zusammenstellung bei Brzosa, Geschichte, S. 115 Anm. 499.

Nachweise

  1. PfA St. Blasius Hamm, Akten über den Kirchenbau 1815–1864, Mappe A III, zum 6. Oktober 1823.
  2. Binterim/Mooren, Erzdiözese, S. 225, Nr. 56.
  3. Dies., Erzdiöcese Mittelalter, S. 283, Nr. 53.
  4. Kraus, Inschriften 2, S. 335, Nr. 50 (ohne Wiedergabe des Wortlautes).
  5. v. Trostorff, Beiträge, Bd. 4, S. 8 (nach Binterim-Mooren).
  6. Schmitz, Kunde, S. 6.
  7. Walter, Glockenkunde, S. 387 (zu 1706).
  8. HAEK, Nachlass Schaeben, Nr. 1825, ohne Paginierung (nach Walter).
  9. Brzosa, Geschichte, S. 114.

Zitierhinweis:
DI 89, Stadt Düsseldorf, Nr. 45† (Ulrike Spengler-Reffgen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di089d008k0004503.