Inschriftenkatalog: Stadt Düsseldorf

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 89: Stadt Düsseldorf (2016)

Nr. 23 Gerresheim, St. Margareta, Schatzkammer um 1400

Beschreibung

Hostienmonstranz. Silber vergoldet; getrieben, gegossen, graviert; Köln, um 1400. Die Turmmonstranz erhebt sich über einem sechsteiligen, achtzehnzackigen Fuß mit gravierten Rankenornamenten und aufgelegten Silberrosetten. An dem sechsseitigen Schaft befindet sich ein flachkugeliger Nodus, der von einem Reif umfasst ist, auf den umlaufend der Stiftervermerk graviert ist, unterbrochen durch vier rund gefasste Glassteine aus jüngerer Zeit. Auf dem glatten Trichter ein runder, schräger Sockel, geziert mit vier gekrönten Häuptern, der Schauzylinder in einer Fassung aus durchbrochenen Vierpassfriesen, Profilen und Blattkränzen; darüber eine Kuppel mit vier runden Öffnungen. Zu beiden Seiten des Zylinders über Volutenkonsolen Strebepfeilerarchitektur; zwischen Zylinder und Strebepfeiler jeweils eine doppelgeschossige Arkade. In deren Untergeschoss sind je eine Halbfigur mit Spruchband (ohne Inschrift), darüber Statuetten des seligen Gerricus oder des hl. Hippolyt1) auf der linken und des hl. Laurentius auf der rechten Seite eingestellt. Jeweils nach außen folgend eine weitere Arkade mit eingestelltem Türmchen, in deren Obergeschoss unter Wimpergen links die Figur der hl. Katharina und rechts die Figur der hl. Margareta seitwärts gestellt sind. Die äußeren, gegenläufigen Voluten mit den Statuetten der hl. Margareta links und des hl. Sebastian rechts wurden erst Anfang des 17. Jahrhunderts2) hinzugefügt. In der Kuppelmitte vorn und hinten eine Engelhalbfigur mit Leidenswerkzeugen; in den Arkaden des mehrgeschossigen, sechsseitigen Turms mit seitlichem Strebewerk vorn eine Statuette der Gottesmutter mit Kind, hinten des hl. Hippolyt3); in den Turmstreben befinden sich seitlich gestellt Statuetten der Gottesmutter (rechts) und des hl. Johannes des Evangelisten (links). Im Zylinder als neuzeitliche Ergänzung die Halbfigur eines Engels, der auf Kopf und Flügeln die Lunula trägt und in den Händen ein Spruchband mit Nomen sacrum4) hält. Die Kreuzspitze wurde im 19. Jahrhundert verändert. Zwei an die nachträglich angesetzten Voluten angehängte Medaillen stammen aus der zweiten Hälfte des 16. und der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der Zeitpunkt der Anbringung ist unbekannt.

Maße: H. 72 cm; D. 23 cm (Fuß); Bu. 0,7 cm.

Schriftart(en): Gotische Minuskel.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften (Kristine Weber) [1/5]

  1. co(mmun)isa) · // elei(mosin)aa) · // · me · // fecitb) · //

Übersetzung:

Allgemeines Almosen hat mich gemacht.

Kommentar

Die beiden ersten Worte der Inschrift wurden erstmals 1932 von Braun5) und Witte6) aufgelöst. Blatt- und Blütenranken, die an die Schaft- bzw. Bogenenden des jeweils letzten Buchstabens der einzelnen Wörter bzw. bei me auch zu Beginn angesetzt sind, dienen vielleicht weniger als Worttrenner, sondern zum Ausfüllen der Schriftfelder. Die Buchstaben sind in Kontur vor schraffiertem Hintergrund ausgeführt und wirken daher erhaben. Lediglich die Oberlänge des l ragt ein wenig aus dem Mittelband heraus. Das e ist mit abgeknicktem oberen Bogenabschnitt und zum Schräg­strich reduziertem Balken ausgeführt. Der linke Teil des oberen Bogens beim doppelstöckigen a ist schmaler; er ist rund nach innen gebogen und läuft in einem leichten Bogen nach links aus. Der senkrechte Teil des gebrochenen unteren Bogens wird nicht berührt. Die Schaft- und Bogenenden sind rechts- bzw. linksschräg abgeschnitten.

Das Figurenprogramm mit dem in Gerresheim als heilig verehrten Stiftsgründer Gerricus,7) den beiden Kirchenpatronen St. Hippolyt und St. Margareta, der ebenfalls als Stiftspatronin verehrten hl. Katharina8) und dem hl. Laurentius, der der Legende nach den hl. Hippolyt, seinen Gefangenenwärter, bekehrt haben soll,9) lässt die Herstellung für die Gerresheimer Kirche als gesichert erscheinen.10)

Zu Datierung und Herkunft der Gerresheimer Monstranz, die zu den ältesten erhaltenen Monstranzen des Rheinlandes11) zählt und als „ein Meisterwerk kölnischer Goldschmiedekunst um 1400“ gilt,12) wird übereinstimmend auf die enge Verwandtschaft zu der Turmmonstranz in St. Peter und Paul in Ratingen verwiesen, die Kölner Werkstätten zugeschrieben wird.13) Diese Verwandtschaft zeigt sich nach Fritz in der Form des achtzehnzackigen Fußes mit seinen Ornamenten14) und aufgesetzten Rosetten, dem Schriftband um den Knauf und einigen nahezu identischen Statuetten (z. B. der hl. Georg der Ratinger und der hl. Hippolyt der Gerresheimer Monstranz).15) Unterschiede verzeichnet Fritz in der Ausführung der Statuetten, dem architektonischen Aufbau (z. B. in Ratingen vier, in Gerresheim zwei Strebepfeiler am Sockel des Schaugefäßes) und der Kuppel.16) Da die Ratinger Monstranz laut Inschrift aus dem Jahr 1394 stammt, wird die Gerresheimer übereinstimmend als etwas jünger – Ende des 14. Jahrhunderts,17) um 140018) – und wie die Ratinger vermutlich aus einer – vielleicht derselben – Kölner Werkstatt stammend beurteilt. Nach Fritz zählt sie als „das zweite Hauptwerk“ zu „einer größeren …Gruppe von untereinander verwandten Werken“, denen er zwei Reliquiare aus Düsseldorf und Paderborn sowie zwei Monstranzen aus Ohlenberg und Briedel hinzufügt.19)

Das Fronleichnamsfest, bereits in einem Gerresheimer Ordo aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erwähnt, wurde vor der Reformation mit einer Prozession um den Marktplatz begangen.20) Am Sonntag nach dem Fronleichnamsfest fand, verbunden mit der „Blutkirmes“, die Gerresheimer Gottestracht statt, bei der eine nach der lokalen Überlieferung 1319 durch den Ritter Arnold von Eller der Kirche vermachte Reliquie des Blutes Christi verehrt wurde.21) Wegen der Schauöffnungen in der Kuppel wurde vereinzelt vermutet, dass die Monstranz, die bei der Prozession am Sonntag nach Fronleichnam ebenfalls mitgeführt wurde, ursprünglich, d.h. bis zur Erstellung des Hl.-Blut-Reliquiars um 1420–30, auch zur Aufnahme der Hl.-Blut-Reliquie gedient haben könnte.22) Nach Heppe wurde die Monstranz noch im 19. Jahrhundert als „Hl. Blut-Monstranz angesprochen“,23) wohingegen Achter darauf hinweist, dass dies in Gerresheim eine „übliche Benennung“24) des Reliquiars sei, dass in seinem Aufbau durchaus Ähnlichkeiten mit der Monstranz besitzt.

Über die Stifter, die sich hinter der co(mmun)is elei(mosin)a verbergen, ist nichts bekannt.

Textkritischer Apparat

  1. Kürzungszeichen fehlt.
  2. Bei dem e fehlt der zum Schrägstrich reduzierte Balken.

Anmerkungen

  1. Zumeist wird die Statuette als Darstellung des Gerricus angesehen. Verschiedentlich wird sie jedoch auch als Figur des hl. Hippolyt angegeben. So z. B. Achter, Stiftskirche, S. 138; zuletzt in Kat. Besser als Silber und Gold, S. 44f. (J[ohanna] F[leischmann]), S. 44.
  2. Perpeet-Frech, Monstranzen, Nr. 50, S. 156f., hier S. 156 (16. Jh.); Kat. Stift und Stadt Gerresheim, Nr. 63 (16. Jh.); Kat. Frommer Reichtum, Nr. 16, S. 259f. (K[arl] B[ernd] H[eppe]), hier S. 259 (im 17. Jh.); Fritz, Goldschmiedekunst, Nr. 412, S. 243f. (Anfang des 17. Jhs.); Heppe, Düsseldorf-Gerresheim, S. 29 (17. Jh.); Kampmann, Verzeichnis, S. 33 (Anfang 17. oder 19. Jh.).
  3. Kat. Frommer Reichtum, Nr. 16, S. 259f. (K[arl] B[ernd] H[eppe]): statt Hippolyt an dieser Stelle der hl. Gereon genannt; ebenso Kat. Wallfahrt am Niederrhein, S. 55, Nr. 309. Vgl. dazu auch Kat. Besser als Silber und Gold, S. 44f. (J[ohanna] F[leischmann]), S. 45.
  4. Auf dem Spruchband: SANCTUS.
  5. Braun, Altargerät, S. 407.
  6. Witte, Tausend Jahre, Bd. 1, S. 192 Anm. 1.
  7. Dazu zusammenfassend Brzosa, Geschichte, S. 572–575.
  8. Dazu ebd., S. 61 Anm. 201.
  9. Clemens Scholten, Art. Hippolyt von Rom, in: LThK 5 (1996), Sp. 147–149.
  10. So z. B. auch Kat. Frommer Reichtum, Nr. 16, S. 259f. (K[arl] B[ernd] H[eppe]); Achter, Stiftskirche, S. 138; Kat. Verborgene Schätze, Nr. 6, S. 30f. Allerdings wird in einem Band zur 2013 eröffneten Schatzkammer an St. Margareta die eindeutige Zuweisung in Frage gestellt. Vgl. dazu Kat. Besser als Silber und Gold, S. 44f. (J[ohanna] F[leischmann]).
  11. Die älteste erhaltene Hostienmonstranz stammt von 1286, 42 weitere sind aus dem 14. Jahrhundert bekannt. Vgl. dazu Guster, Hostienmonstranzen, S. 210–215 u. der Katalog S. 245–380, der die Gerresheimer nicht mehr in seinen Katalog aufgenommen hat. Zu den rheinischen Monstranzen vgl. den Katalog bei Perpeet-Frech, Monstranzen, S. 126–227.
  12. So Achter, Stiftskirche, S. 138; vgl. z. B. auch Kat. Frommer Reichtum, Nr. 16, S. 259f. (K[arl] B[ernd] H[eppe]), S. 259; Kat. Verborgene Schätze, Nr. 6, S. 30f. Zur Kölner Goldschmiedekunst vgl. zuletzt zusammenfassend Leonie Becks, Köln – Zentrum der gotischen Goldschmiedekunst, in: Kat. Glanz und Größe, S. 112–121.
  13. Zur Ratinger Monstranz Guster, Hostienmonstranzen, Nr. 24, S. 323–328; Kat. Verborgene Schätze, Nr. 5, S. 28f.; zuletzt Kat. Glanz und Größe, Nr. 47, S. 294f.
  14. Gelegentlich wird darauf hingewiesen, dass die Gravuren am Fuß auch Parallelen zum Fuß des Reliquienkreuzes in St. Mariä Himmelfahrt in Solingen-Gräfrath aufweisen. Dazu z. B. Fritz, Gestochene Bilder, S. 479, Nr. 239 u. S. 82 mit Abb. 57; Kat. Frommer Reichtum, Nr. 16, S. 259f. (K[arl] B[ernd] H[eppe]), S. 259; Kat. Verborgene Schätze, Nr. 6, S. 30f.
  15. Fritz, Goldschmiedekunst, Nr. 412, S. 243f.; auf diese Verwandtschaft verweisen z. B. auch Perpeet-Frech, Monstranzen, Nr. 50, S. 156f., unter Hinweis auf die „Ständer, Maria, Ritter, Spruchbandengel“ (ebd., S. 157); Kat. Frommer Reichtum, Nr. 16, S. 259f. (K[arl] B[ernd] H[eppe]); Achter, Stiftskirche, S. 138; Heppe, Düsseldorf-Gerresheim, S. 29; Kat. Verborgene Schätze, Nr. 6, S. 30f.
  16. Fritz, Goldschmiedekunst, Nr. 412, S. 243f.
  17. So z. B. Clemen, KDM Düsseldorf, S. 103; Braun, Altargerät, S. 356; Fritz, Goldschmiedekunst, S. 243f, Nr. 412.
  18. So z. B. Kat. Stift und Stadt Gerresheim, Nr. 63; Kat. Frommer Reichtum, Nr. 16, S. 259f. (K[arl] B[ernd] H[eppe]); Achter, Stiftskirche, S. 138. Perpeet-Frech, Monstranzen, S. 157, hält es unter Hinweis auf die 1398 erlangte Unabhängigkeit des Stiftes von St. Ursula für „wahrscheinlich“, dass sie „nach 1398“ gestiftet wurde. Die Ansicht von einer endgültigen Gütertrennung im Jahr 1398 ist allerdings seit den Untersuchungen von Hugo Weidenhaupt, Kanonissenstift, S. 38–43, aus dem Jahr 1954 nicht mehr haltbar. Vgl. auch Brzosa, Geschichte, S. 67f. Anm. 246.
  19. Fritz, Goldschmiedekunst, Nr. 412, S. 243f., das Zitat ebd. Entschiedener urteilte noch Perpeet-Frech, die sie als „Werk des Meisters der Ratinger Monstranz“ bewertet (Monstranzen, S. 157; vgl. dazu zuletzt Guster, Hostienmonstranzen, S. 328). Sie nennt als Nachfolgewerke Monstranzen in (Solingen-)Gräfrath und Briedel. Nicht über die grundsätzliche Verwandtschaft zur Ratinger Monstranz, sondern zu den Details, in denen sich diese zeigt, gibt es gelegentlich voneinander abweichende Ausführungen, die über die in der Quellen- und Literaturzeile angegebenen Titel auffindbar sind. Zur Datierung und der Meisterfrage auch Braun-Balzer, Mikro- und Makroarchitektur, S. 144f. (Zugriff: 05.03.2014).
  20. Dresen, Feier, S. 216; Brzosa, Geschichte, S. 576.
  21. Zu Gottestracht und Blutkirmes Dresen, Feier, S. 217f., Kat. Wallfahrten am Niederrhein, S. 54f.; Brzosa, Geschichte, S. 577–582; ebd. S. 578f. auch zu den unterschiedlichen Beschreibungen der Reliquie.
  22. Kat. Wallfahrten am Niederrhein, S. 55, Nr. 309; Heppe, Düsseldorf-Gerresheim, S. 29; Dehio, Handbuch, S. 322. Zum Hl. Blut-Reliquiar vgl. z. B. Kat. Wallfahrten am Niederrhein, S. 55, Nr. 310; Kat. Frommer Reichtum, S. 260, Nr. 17; Achter, Stiftskirche, S. 138f.
  23. Das Zitat: Kat. Wallfahrten am Niederrhein, S. 55, Nr. 309; vgl. auch Heppe, Düsseldorf-Gerresheim, S. 29.
  24. Achter, Stiftskirche, S. 138f.

Nachweise

  1. Clemen, KDM Düsseldorf, S. 103.
  2. Witte, Tausend Jahre, Bd. 1, S. 192 Anm. 1.
  3. Braun, Altargerät, S. 407.
  4. Perpeet-Frech, Monstranzen, Nr. 50, S. 156f.
  5. Kat. Stift und Stadt Gerresheim, Nr. 63.
  6. Kat. Frommer Reichtum, Nr. 16, S. 259f. (K[arl] B[ernd] H[eppe]).
  7. Fritz, Goldschmiedekunst, S. 9, 92 u. Nr. 412, S. 243f.
  8. Kat. Wallfahrten am Niederrhein, S. 55, Nr. 309.
  9. Achter, Stiftskirche, S. 138.
  10. Heppe, Düsseldorf-Gerresheim, S. 29.
  11. Saeger, Düsseldorf-Gerresheim, S. 22.
  12. Braun-Balzer, Mikro- und Makroarchitektur, S. 144 (Zugriff: 05.03.2014).
  13. Kampmann, Verzeichnis, S. 33.
  14. Guster, Hostienmonstranzen, S. 230.
  15. Kat. Verborgene Schätze, Nr. 6, S. 30f.
  16. Kat. Besser als Silber und Gold, S. 44f. (J[ohanna] F[leischmann]).

Zitierhinweis:
DI 89, Stadt Düsseldorf, Nr. 23 (Ulrike Spengler-Reffgen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di089d008k0002303.