Inschriftenkatalog: Stadt Düsseldorf

Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.

DI 89: Stadt Düsseldorf (2016)

Nr. 11† Kaiserswerth, † St. Georg um 1200

Beschreibung

Mittelteil der Westfassade. Nach einer in den Farragines Gelenii überlieferten Zeichnung befanden sich an der Westfassade oberhalb eines Portals mit Rundbogen drei hochrechteckige Reliefs:1) in der Mitte der Salvator, im linken Relief die Personifizierungen der sich freundschaftlich an den Händen haltenden Barmherzigkeit und Wahrheit, im rechten der sich küssenden Gerechtigkeit und des Friedens. Die beiden äußeren Reliefs besaßen einen Rahmen; darin jeweils von der Mitte der linken zur Mitte der rechten Längsseite verlaufend die Bibelzitate als Bildbeischriften (A, B), auf dem jeweils unteren Rand fortlaufend vom linken zum rechten Relief die Bildbeischrift C. Die Reliefs wurden 1688 zerstört.2)

Die Überlieferung in der Handschrift PfA St. Suitbertus Rheinbrohl, Kopiar Kaiserswerth ist zwar älter, doch werden hier die Aufzeichnungen der Farragines Gelenii zugrunde gelegt, da deren Schreiber den Träger vor Ort gesehen und gezeichnet sowie das Bibelzitat ohne Ergänzung des Wortlauts wiedergegeben hat.3)

Nach HAStK, Best. 1039 (Farragines Gelenii).

  1. A

    M(isericord)ia et veritasa) obviaveru(n)t sibi4)

  2. B

    Iustitia et pax osculat[ae]b) sunt5)

  1. C

    Has sibi virtutes spec) discat quisq(ue) colendasd)

Übersetzung:

Barmherzigkeit und Wahrheit begegnen einander. (A)

Gerechtigkeit und Friede küssen sich. (B)

Diese Tugenden möge ein jeder für sich hoffnungsfroh zu pflegen lernen. (C)

Versmaß: Hexameter (C).

Kommentar

Der Wortlaut von C, wie er im Rheinbrohler Kopiar und den Editionen, die sich auf diese Fassung stützen, wiedergegeben wird, ist vermutlich auf einen Fehler des Schreibers zurückzuführen, der in A auch das Bibelzitat um ein erst in B begegnendes Wort ergänzt hat. Vielleicht hat der Schreiber den Wortlaut der Inschriften aus seiner Erinnerung heraus verändert niedergeschrieben. In der Fassung des Rheinbrohler Kopiars kann C nicht als Hexameter gelesen werden.

Da zur Datierung der Inschrift paläographische Kriterien aufgrund des Überlieferungsbefundes entfallen, ist die mit Hilfe der Zeichnung zu ermittelnde Datierung der Reliefs bzw. der Westfront heranzuziehen.

Verbeek nimmt für die Reliefs eine Höhe von ca. 1,5 m an sowie eine Kastenform mit eingetieftem, ebenen Grund und einem Rahmen mit ausgeprägtem Profil (Kehle und Wulst), die Figuren mit z. T. frei herausgearbeiteten Gliedern. Er datiert die Reliefs „um 1200 oder in das frühe 13. Jahrhundert“.6) 1976 wird die Bauzeit der gesamten Front von Kubach und Verbeek gegen Ende des 12. Jahrhunderts angesetzt.7) Die Reliefs zeigen nicht nur eine bildliche Darstellung von PsG 84,11, sondern verweisen auch auf den im Anschluss an den Psalmvers ab der Mitte des 12. Jahrhunderts entwickelten und im damals zeitgenössischen Schrifttum in zahlreichen Fassungen verbreiteten „Streit der vier Töchter Gottes“,8) in dem Wahrheit und Gerechtigkeit auf der einen und Barmherzigkeit und Friede auf der anderen Seite vor Gott um die Erlösung Adams bzw. des Menschen streiten. Verbeek spricht darüber hinaus der Kaiserswerther Darstellung eine „ähnliche Bedeutung“ wie den Weltgerichtsdarstellungen an anderen Kirchenportalen zu.9) Da über die Funktion der Georgskirche um 1200 allerdings nichts bekannt ist, ist die Annahme, dass es sich hier um eine Gerichtspforte des in späterer Zeit an der Walburgiskirche gelegenen Hauptgerichts gehandelt haben könnte, rein spekulativ.10)

Zum Aussehen der Georgskirche und ihrer Geschichte vgl. auch Kap. 2.2 der Einleitung und Nrn. 1, 3, 4, 5 und 12.

Textkritischer Apparat

  1. Misericordia, Veritas et Justitia Rheinbrohler Kopiar. Terwelp korrigiert ohne Angaben und ediert das korrekte Zitat.
  2. Kein Kürzungszeichen erkennbar.
  3. spe] semper Rheinbrohler Kopiar, Terwelp, Kelleter, Clemen. SEMPER (?) Verbeek.
  4. Nach der Zeichnung in den Farragines Gelenii Has sibi virtutes spe auf der linken, discat quisq(ue) colendas auf der rechten Seite. recolendas Rheinbrohler Kopiar, Terwelp, Kelleter, Clemen.

Anmerkungen

  1. HAStK, Best. 1039 (Farragines Gelenii), Bd. 20, p. 541: „Ex occasu vero talis in quadro 1 sunt exsculpta duae statuae pedales …“.
  2. Die Überlieferung der Inschriften in den Farragines Gelenii belegt, dass sie im 17. Jh. noch vorhanden waren. Zur Zerstörung im Jahr 1688 s. im Kommentar zu Nr. 1.
  3. Vgl. dazu Kap. 3 der Einleitung. Zu der Ergänzung des Wortlauts im Rheinbrohler Kopiar vgl. Anm. a.
  4. PsG 84,11a.
  5. PsG 84,11b.
  6. Verbeek, Georgskirche, S. 367.
  7. Kubach/Verbeek, Baukunst, Bd. 1, S. 432. Zu dem Versuch von Kelleter, UB Kaiserswerth, S. LIV, die Inschriften an der Kirche in einen inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang zu der von ihm fälschlich auf 1244 datierten Inschrift der Pfalz (Nr. 7) zu stellen, vgl. Verbeek, Georgskirche, S. 367.
  8. Dazu ebd., S. 367f. Zum „Streit der vier Töchter Gottes“ vgl. auch Waltraud Timmermann, Art. Streit der vier Töchter Gottes, in: Verfasserlexikon 9 (1995), Sp. 396–402.
  9. Verbeek, Georgkirche, S. 368.
  10. Ebd., S. 368f.; zum Kreuzberger Hauptgericht vgl. Lorenz, Kaiserswerth, S. 185–188.

Nachweise

  1. HAStK, Best. 1039 (Farragines Gelenii), Bd. 20, p. 541.
  2. PfA St. Suitbertus Rheinbrohl, Kopiar Kaiserswerth, S. 114.
  3. BSBM, Cgm 2213 (Slg. Redinghoven), Bd. 18, fol. 351r (nach Farragines Gelenii).
  4. LAV NRW R, Hss. B XI 2, fol. 355r (Abschrift Slg. Redinghoven).
  5. Terwelp, Kaiserswerth, S. 130 (nach Rheinbrohler Kopiar).
  6. Clemen, KDM Düsseldorf, S. 139 (nach Redinghoven).
  7. Kelleter, UB Kaiserswerth, S. XLIIf. (nach Farragines Gelenii u. Rheinbrohler Kopiar).
  8. Verbeek, Georgskirche, S. 366 (nach Farragines Gelenii) u. S. 369 (Abb. Farragines Gelenii).

Zitierhinweis:
DI 89, Stadt Düsseldorf, Nr. 11† (Ulrike Spengler-Reffgen), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di089d008k0001100.